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Zweitmächtigster Mann der USA zeigt keine Amtsmüdigkeit

Von Daniel Jahn

Politik

Washington - Er gilt als der zweitmächtigste Mann der USA. Er wacht über Dollar und Zinsen, und ein Wort aus seinem Munde kann ein weltweites Beben an den Märkten auslösen. Am Sonntag war Alan Greenspan 15 Jahre als Chef der US-Notenbank Fed im Amt. Schon seit einer Weile wird in Washington heftig über den Zeitpunkt seines Abgangs und den Nachfolger spekuliert.


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Zwar läuft Greenspans Amtszeit erst Mitte 2004 aus. Doch Gerüchte sagen, er könnte früher gehen, um Unruhe aus dem nächsten Präsidentschaftswahlkampf herauszuhalten. Der 76-Jährige selbst lässt bisher jedoch keine Anzeichen von Amtsmüdigkeit erkennen.

Schon jetzt ist Greenspan eine Legende. Er hat für vier Präsidenten den Dollar gehütet, das Land durch mehrere Wirtschafts- und Börsenkrisen gesteuert und seinen Teil zum Boom der neunziger Jahre beigetragen. Der etwas kauzig wirkende Herr mit dem gebeugten Gang und dem gewinnendem Grinsen ist der Star der Cocktail-Parties und Medien, auch wenn seine Sprache oft schwer verständlich ist. Selbst privat sind seine Botschaften nicht immer klar. Jedenfalls schreibt Bob Woodward in einer Greenspan-Biographie, der Notenbank-Chef habe seiner zweiten Frau, der NBC-Reporterin Andrea Mitchell, den Heiratsantrag zwei Mal machen müssen - das erste Mal habe sie ihn nicht verstanden.

Zumindest im öffentlichen Bereich sind die verschlungenen Sätze des Fed-Chefs von Vorsicht diktiert. Greenspan weiß, dass er mit jedem Wort Broker, Anleger und Verbraucher beeinflusst. So löste er 1996 einen globalen Ausverkauf von Aktien aus, nur weil er in einer Rede angedeutet hatte, dass die Kurse generell zu hoch seien. Greenspans Behutsamkeit entspringt aber auch dem Bewusstsein eines Mannes, der um den Wert jedes Dollars weiß. Schließlich hat er selbst, aus ärmlichen Verhältnissen stammend, als Dreikäsehoch an den Stränden von Queens in New York nach Münzen gebuddelt.

Drei Jahre vor dem großen Börsencrash von 1929 geboren, wuchs Greenspan mit der Mutter und den Großeltern in einem engen Appartement im Norden Manhattans auf. Er hatte zwei Talente: die Mathematik und die Musik, und fast wäre aus ihm ein wohl ebenfalls bekannter Musiker geworden. Er besuchte die Juillard School, das renommierteste Musikkonservatorium der USA, und spielte ein Jahr lang Saxofon und Klarinette in einer Swing-Band. Doch schließlich zog es ihn von den Noten zu den Zahlen zurück. Greenspan studierte Wirtschaft und gründete danach eine erfolgreiche Beratungsfirma.

Greenspan arbeitete für die Präsidenten Richard Nixon und dessen Nachfolger Gerald Ford, bevor ihn Ronald Reagan 1987 an die Spitze der Fed holte. Als die US-Wirtschaft 1998 durch die Krisen in Asien, Lateinamerika und Russland bedroht war, vermied er den Reflex, die Zinsen zu erhöhen, sondern senkte sie. Mit Erfolg: Arbeitslosigkeit und Inflation sanken. Auch auf den 11. September reagierte Greenspan mit Zinssenkungen und milderte so die Rückschläge für die Konjunktur.

Der Kult um den Fed-Chef erschwert die Suche nach dem Nachfolger. So richtig scheint keiner der gehandelten Kandidaten den Anforderungen zu entsprechen. Lawrence Lindsey, Chefökonom im Weißen Haus, hat zwar den kurzen Draht zu Präsident George W. Bush, doch könnte ihm seine Vergangenheit beim Skandalkonzern Enron schaden. John Taylor, als Erfinder der "Taylor-Regel" ein führender Kopf der Geldtheorie und derzeit Staatssekretär im Finanzministerium, gilt als zu akademisch. Robert Rubin, Finanzminister unter Bill Clinton, dürfte als Demokrat durchfallen.

Vielleicht bleibt für die Suche auch noch Zeit. Greenspan jedenfalls scheint rüstig genug, um ein paar Jahre weiter zu machen.