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Zwischen Erfolgsdruck und Disziplin

Von Petra Tempfer

Politik
Emma (mit Pädagogin Karina Leban im Bild) entdeckt gerade ihre Kreativität an der "Künstlerwand" -Tobias Neugier wird hingegen durch das Objektiv des Fotoapparates geweckt. Foto: Andreas Pessenlehner

Eigene Talente drohen unentdeckt zu bleiben. | "Kritisches Denken und Kommunikation müssen gefördert werden." | Unter den Eltern wächst Ratlosigkeit bei Erziehungsfragen. | Wien. Glühend rote Lava fließt den Vulkan herab, daneben glitzern silberfarbene Astronautenhelme. Plötzlich schnappt sich ein Vierjähriger einen Helm und setzt ihn auf, um damit lachend durch das Zimmer zu laufen. Beim näheren Hinsehen entpuppt sich seine Kopfbedeckung als eine in Alufolie gehüllte Schachtel - und der nur noch sporadisch spuckende Vulkan als Papierstanitzl.


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Die Basteleien sind Teil jenes Programms, das im "Lerngarten" in der Gumpendorfer Straße in Wien-Mariahilf geboten wird. Erst vor kurzem wurde dieser als erster seiner Art in Wien gegründet: Er bietet ein spezielles, von amerikanischen Bildungsexperten entwickeltes Förderungsprogramm ("FasTracKids") für Kinder im Alter zwischen sechs Monaten und acht Jahren an, damit diese für das zunehmend leistungs- und erfolgsorientierte Leben gewappnet sind.

"Durch den steigenden Druck in der Schule und später im Beruf laufen die Kinder Gefahr, ihre eigenen Fähigkeiten und Talente erst gar nicht zu entdecken, zu wecken oder zu fördern", betont Leiterin Tanja Tomic im Gespräch mit der "Wiener Zeitung". Auch das Interesse an vielen Dingen gehe dadurch verloren - im "Lerngarten" soll dieses auf spielerische Art und Weise geweckt werden. Denn oft schon im Kindergarten werden Kinder laut Tomic zu Befehlsempfängern getrimmt, bei denen eigenständiges Denken nicht groß geschrieben wird. "Vielmehr lässt man sie nur selten Probleme selber lösen", so die Leiterin, "und schüttet sie dafür mit Informationen zu."

Im "Lerngarten" wird der umgekehrte Weg begangen. Ziel ist, die naturgegebene Wissbegier und Neugier im Fragealter zu unterstützen und damit die Kreativität, kritisches Denken und vor allem die Kommunikation zu fördern. Zu diesem Zweck wartet Therapie-Bär Lolo in einem Zimmer. Er soll im Kurs "Zeichensprache" schon Kindern im Alter von sechs Monaten bis zwei Jahren zeigen, dass die Fähigkeit zur Kommunikation unzählige Türen öffnet. "Lolo deutet den ganz Kleinen, die noch nicht sprechen können, wie man etwa das Wort ,Hunger in der Gebärdensprache sagt", erklärt Tomic, während sie ihre Arme in jene des braunen Plüschbären steckt. Ihre Hände, die somit die Funktion der Pfoten übernehmen, stecken dem Bären nun imaginäres Essen ins Maul.

"Gerade das Erlernen der richtigen Gestik in der vorverbalen Kommunikation ist extrem wichtig", meint die Psychotherapeutin und Leiterin der Arge-Erziehungsberatung in Wien, Martina Leibovici-Mühlberger, dazu. Denn die Gestik als Möglichkeit zum Ausdruck verliere in der hoch technologischen Welt, wo Jugendliche bereits überwiegend übers Internet plaudern, zunehmend an Bedeutung. Auch die Fähigkeit, die Gestik der anderen richtig zu deuten, gehe somit verloren.

Gebärdensprache lernen

Durch die Gebärdensprache lernen schon die Kleinsten, mit ihrer Umwelt gezielt in Kontakt zu treten - was sich später auch positiv auf das Erlernen der verbalen Kommunikation auswirkt. "Was will ich, und wie kann ich es erreichen - dass die Sprache der Schlüssel dazu ist, ist auch für Kinder mit Migrationshintergrund enorm wichtig", sagt Tomic und öffnet die Tür zu einem großen Raum, von dessen Wand ein aufgemalter, pinkfarbener Bühnenvorhang leuchtet. "Das ist unsere Bühne", meint Tomic: Im Zuge jenes Kurses, bei dem sich Drei- bis Achtjährige auf "Entdeckungsreise" begeben, treten diese vor den Vorhang, erzählen eine Geschichte und werden dabei gefilmt. "Vollständige Sätze und eine klare Sprache stehen dabei im Vordergrund", so die Leiterin. Danach führen die Kurs-Pädagogen den Kindern den Film auf einer großen Leinwand vor, "damit sie durch ihre Selbstkritik schließlich lernen, frei zu sprechen."

Der Bogen der "Entdeckungsreise" spannt sich von naturwissenschaftlichen Themen über die Förderung des Zahlenverständnisses bis hin zur wirtschaftlichen Thematik. "Gerade in der heutigen Zeit wäre es falsch, die Marktforschung auszusparen", meint Tomic, die selbst im Marketing und Tourismus tätig war, bevor sie umsattelte und eine pädagogische Ausbildung absolvierte. Im "Lerngarten", den sie derzeit als privates Unternehmen führt, wird das Prinzip der Ein- und Ausgaben anhand von Spielzeug demonstriert: Dabei wird etwa der Frage, was Verpackungen von Stofftier & Co bei den Käufern bewirken sollen, auf den Grund gegangen.

In den Kursen, die ein- bis zweimal pro Woche stattfinden, zwischen zehn Wochen und zwei Jahre lang dauern und pro Stunde rund 20 Euro kosten, sind auch Eltern willkommen. Auffällig ist laut Tomic, dass hauptsächlich junge Mütter dieses Angebot wahrnehmen. "Das ist ein typisches Phänomen", erklärt Leibovici-Mühlberger, "denn bezüglich Erziehungsfragen macht sich unter den jungen Eltern immer mehr Ratlosigkeit breit." Vielen scheine das Gespür und die Sicherheit im Umgang mit dem Kind abhanden gekommen zu sein. Die Ursache sieht die Psychotherapeutin in dem vorherrschenden Überfluss an Erziehungsratgebern in gedruckter und elektronischer Form - die zum Teil widersprüchliche Tipps geben.

Vorbereitung auf den Beruf

"Die rasche Entwicklung und Veränderung des Umfeldes wirft außerdem immer neue Probleme wie die Gefahr durchs Internet oder Gewalt im Fernsehen auf", fährt Leibovici-Mühlberger fort. Die Erziehungsmethoden, die die eigenen Eltern angewendet haben, müssten somit adaptiert werden - was ebenfalls zu Unsicherheit unter den Müttern und Vätern von heute führe. Ihr Balanceakt besteht laut Psychotherapeutin darin, einen Weg zwischen den traditionellen Bildungswerten und den Anforderungen der Gegenwart zu finden, in der die Vorbereitung auf den Beruf ein zentrales Thema darstellt. Dem kann Tomic nur zustimmen. Denn schon die Allerkleinsten kommen mit Fragen über wirtschaftliche Themen zu ihr - auf die selbst die Leiterin mitunter nicht sofort eine Antwort weiß.