Die Frage nach der Schulsprengelpflicht impliziert nicht nur eine Wahlfreiheit für Eltern und Kinder, sondern auch eine Änderung der Schulfinanzierung. Ein Stimmungsbild von Wien bis Vorarlberg.
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Ja, nein oder was dazwischen: Die unterschiedlichen Regelungen der Schulsprengelpflicht in den einzelnen Bundesländern spiegelt die kontroverse Debatte wider. In Wien gibt es keine solche Verpflichtung, die vorschreibt, dass Kinder eine Schule in ihrem Schulbezirk zu besuchen haben. In Kärnten und im Burgenland gibt es sie - mit dem Unterschied, dass im Burgenland die Mittelschulen ausgenommen sind.
Die Diskussion, wie man eine freie Schulwahl und trotzdem ein gewisses Maß an Planbarkeit für Gemeinden ermöglichen kann, ist seit dem Schulrechtsänderungsgesetz, das seit September in Kraft ist, erneut aufgeflammt.
Für die Befürworter der Schulsprengelpflicht, wie die Vorarlberger ÖVP-Schullandesrätin Bernadette Mennel, ist die Reform, die nach einem Beschluss der Landesbildungsreferentenkonferenz vom September 2015 umgesetzt wurde, ein guter Kompromiss.
Den Hingergrund erklärt Mennel so: "Nach der neuen Regelung müssen zwar weiterhin Schulsprengel für jede Pflichtschule bestehen. Jetzt hat es aber der Landesgesetzgeber in der Hand, flexible Lösungen zu schaffen, die in bestimmten Fällen den Besuch einer sprengelfremden Schule unabhängig von der Zustimmung des Schulerhalters ermöglichen."
Mennel sieht in der Aufhebung der Sprengelpflicht eine zusätzliche Gefährdung für Kleinschulen. "Die rückläufigen Schülerzahlen stellen für die Erhaltung dieser Schulen schon jetzt ein erhebliches Problem dar. Gerade für Eltern in ländlichen Gebieten ist es wichtig, eine Schule im Dorf zu haben, die ihre Kinder zu Fuß erreichen können", sagt Mennel.
Trägermodell statt Abschlagszahlungen
Eine Aufhebung würde zu Planungsunsicherheit in den Gemeinden führen. "Die Gemeinden haben in den vergangenen Jahren - ausgehend von den im Schulsprengel geborenen Kindern - Schulen gebaut und bestehende saniert. Die Schulerhalter und das Land haben hier erhebliche Mittel investiert, eine Aufhebung der Sprengelpflicht würde daher für Gemeinden, deren Schulen dann von weniger als den prognostizierten Schülern besucht werden, zu Problemen führen. Andere Gemeinden, deren Schulen von mehr Schülern besucht werden, müssten möglicherweise ihre Schulen erweitern", so Mennel.
Einer Diskussion über ein Alternativmodell steht Mennel offen gegenüber. Ein solches legt Eva-Maria Haubner auf den Tisch. Haubner ist Bildungsexpertin der Industriellenvereinigung und plädiert für eine Aufhebung.
"Dies würde eine echte Autonomie, eine Wahlfreiheit und weniger bürokratischen Aufwand bedeuten." Aufgrund des jetzigen Systems sei das aber nicht möglich. "Das System geht in eine falsche Richtung, das müsste man ändern", sagt Haubner. Grundsätzlich muss jeder Bürgermeister ein Auge darauf haben, dass die Schule, die die Gemeinde finanziert, auch mit den Kindern aus der Gemeinde gefüllt werden kann. Wenn ein Bürgermeister nun einem Kind einen sprengelfremden Schulbesuch erlaubt, hat die Gemeinde die doppelten Kosten. "Aus der Sicht der Gemeinde hätte ich auch kein Interesse daran, dass ich einerseits die eigene Schule finanziere und dann noch für jene Kinder Abschlagszahlung leisten muss, die in einen anderen Schulsprengel gehen. Das ist nachvollziehbar", sagt Haubner.
Aus Sicht der Bildungsexpertin müsse man die Finanzierung gänzlich auf neue Beine stellen. "Deshalb sprechen wir uns für ein Schulträgermodell aus, das in Holland gut funktioniert", erklärt sie. Der Träger von Bildungseinrichtungen kann ein Bundesland, eine Gemeinde oder ein Privater sein. "Die Finanzierung erfolgt nach der Anzahl der Schüler. Das Geld bekommt dann der jeweilige Träger", so Haubner. Abschlagszahlungen für schulsprengelfremde Kinder, wie es derzeit üblich ist, obwohl Gemeinden auch freiwillig darauf verzichten können, würde es keine mehr geben.
Mehrere Gemeindenbilden einen Verband
Niederösterreich hat trotz Sprengelpflicht ein dem holländischen Modell ähnliches System. "In Niederösterreich ist die Organisationsform ein Schulverband. Das heißt, dass mehrere Gemeinden einen Schulverband mit einem Steuerungsgremium bilden", erklärt Daniel Kosak, Sprecher des Gemeindebundes. Er selbst steht einem Schulverband vor. Das Steuerungsgremium verwaltet die Schule in nichtpädagogischer Hinsicht. "Da werden Sanierungen und diverse Anschaffungen besprochen. Für jedes Kind, das die Schule besucht, muss die jeweilige Wohnsitzgemeinde einen Schulerhaltungsbeitrag an den Schulverband entrichten."
In Zahlen ausgedrückt: Für diesen einen Schulverband, den drei Gemeinden für 160 Volksschüler betreiben, sind es rund 2000 Euro pro Schüler und Jahr. Ein Zehntel schulsprengelfremde Schüler besuchen derzeit die Schule. Die Schüler werden nur dann aufgenommen, wenn der andere Bürgermeister das Geld mitschickt. Den Vorteil von Schulverbänden erklärt Daniel Kosak so: "Alle beteiligten Gemeinden können mitreden und alle Entscheidungen werden gemeinsam getroffen."
Für Kurt Scholz, von 1992 bis 2001 Präsident des Wiener Stadtschulrates, ist die Sprengelpflicht ein Anachronismus, der "in krassem Widerspruch zur Wahlmöglichkeit steht". Er sagt: "Mich wundert die Geduld, mit der Eltern sowie Erzieherinnen und Erzieher das ertragen. Ich war immer der Meinung, dass nicht die Eltern einer Organisation dienen sollen, sondern die Schulorganisation den Eltern. Gerade in der Bildungspolitik geht es nicht darum, die Menschen zu verwalten, sondern die Verwaltung zu vermenschlichen." Die Abschaffung der Sprengelpflicht in Wien sei ein richtiger Schritt gewesen, sagt Scholz. Dass andere Bundesländer damit zögern, verstehe er nicht. "Ich will mich aber auch nicht zum Richter über ländliche Regionen aufwerfen, die eine völlig andere Ausgangslage als städtische Ballungsgebiete haben."
"Anachronistisch" - ein Begriff, den auch Eva-Maria Haubner von der Industriellenvereinigung in Zusammenhang mit der Sprengelpflicht verwendet. "Es kann keine echte Autonomie mit fixen Schulsprengeln geben, das passt einfach nicht zusammen. Und nur, weil die rechtliche Situation so ist, wie sie ist, und aus meiner Sicht ist sie nicht gut, sollte man dieses bürokratische System nicht aufrechterhalten."
Oberösterreichs Landesschulratspräsident Fritz Enzenhofer sieht in der Sprengelpflicht dagegen kein Problem. Auch nicht, wenn Kinder eine Schule außerhalb des Schulsprengels besuchen möchten. "Außer es führt zu einer Klassenteilung oder einer Klassenzusammenlegung. Eine Klassenteilung ist mit Kosten von 60.000 bis 80.000 Euro pro Jahr verbunden. Und das ist verdammt viel Geld."
Ein weiterer Aspekt in der Schulsprengel-Debatte kommt mit den Ganztagsschulen hinzu. "Wenn der Zug in die Richtung fährt, so wie es der Bund vorhat, dass für jedes Kind in einer zumutbaren Entfernung eine verschränkte Unterrichtsform angeboten werden muss, dann hat das ebenfalls Auswirkung auf die Sprengelpflicht", sagt Daniel Kosak. Denn es gibt schlicht und einfach nicht in jeder Gemeinde eine Ganztagsschule.