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Zwischen Frust und Ungewissheit

Von Veronika Eschbacher aus Kabul

Politik

US-Soldaten sind unbeliebt, aber auch über die eigene Regierung herrscht Ärger.


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Kabul. Nach einer Nacht mit Schneesturm legt der strahlend blaue Himmel über Kabul den Blick frei auf die Stadt und die schneebedeckten Berge, die sie imposant umrunden. Die Luft ist ob der frühen Stunde noch eiskalt, aber in Khairkhana, einem Stadtteil im Nordwesten der afghanischen Hauptstadt, haben bereits alle Straßenläden geöffnet. Lediglich hier und da wird noch emsig gefegt und die letzte Ware ausgelegt. "Wieso fragen Sie mich? Sie werden von mir ohnehin nur hören, was alle hier denken", sagt ein Händler vor seinem Teppich- und Deckengeschäft, angesprochen auf die in der ganzen Stadt diskutierten Abzugspläne der US-Soldaten. Auf die Nachfrage, was denn alle denken würden, antwortet der Bazari, seine Hand in die Luft reißend: "Wenn wir nicht einen sehr großen Stock finden, mit dem wir sie vertreiben können, werden die Amerikaner ohnehin nicht gehen!"

Ob der sichtlich stolze Afghane diesen großen Stock benötigen wird, wird gerade 11.000 Kilometer entfernt verhandelt. Der afghanische Präsident, Hamid Karzai, ist Anfang der Woche nach Washington gereist, um ein Sicherheitsabkommen mit den USA, das über den geplanten Rückzug der Kampftruppen Ende Dezember 2014 hinausgeht, unter Dach und Fach zu bringen. Am heutigen Freitag werden die Zukunftsweichen für das Land gestellt, denn ein zu früher Abzug der US-Truppen könnte das Land erneut in einen Bürgerkrieg stürzen.

Während in Washington die politische Führung der beiden Staaten über einer Lösung grübelt, fordert das Land am Hindukusch indes seinen Bewohnern alles ab. Man muss flexibel sein, um hier zu überleben - diese Lektion haben die Afghanen in fast vierzig Jahren Krieg gelernt. Viele Familien leben auf mehrere Länder verteilt, eine berufliche Karriere zu planen scheint unmöglich. Man nimmt, was man bekommen kann. Steht man nur wenige Minuten auf den belebten Straßen Kabuls, werden einem von laufenden Händlern im Halbminutentakt Bücher feilgeboten, Schuhe, Puppen, Kaugummis oder Duftbäume.

"Werde noch vor den Amerikanern weg sein"

Die Frustration der Bevölkerung über den Stillstand im Land hört man überall durch. Sanjar, der Afghanistan schon einmal den Rücken gekehrt hatte, kam vor zwei Jahren aus Europa zurück, um in seiner Heimat etwas aufzubauen. Inzwischen aber hat er seine Meinung geändert. "Ich werde noch vor den Amerikanern weg sein." Er hätte kein bisschen Fortschritt in den letzten zwei Jahren entdeckt, die Regierung hätte trotz aller internationalen Gelder keine vorzeigbaren Ergebnisse liefern können. Alleine über den Zustand der Straßen im Zentrum Kabuls, immerhin Hauptstadt des Landes, ärgere er sich täglich.

Während Sanjar, in Sommerschuhen und mit den Händen in den Hosentaschen, weiter den teilweise eisbedeckten Gehsteig hinaufrutscht, steigt Sahil aus dem Auto, um sich schnell seinen morgendlichen Energy-Drink zu besorgen. Sahil arbeitet für die afghanische Regierung. Aus Sicherheitsgründen trägt er immer eine Waffe bei sich. Er fackelt nicht lange herum. "Ich will, dass die Amerikaner ganz abziehen. Wir können es alleine schaffen", ist er überzeugt. 35 Jahre lang hätte das Land unter der Einmischung anderer Staaten gelitten. "Alle sollen einfach einmal ihre Nase aus unseren Angelegenheiten heraushalten, und wir haben morgen Frieden."

Sieht man sich hier in Kabul um, könnte man Sahil direkt Glauben schenken. Die Anzahl der Checkpoints ist über die letzten Monate gesunken, die Polizei- und Armeepräsenz auf dem niedrigsten Niveau seit langem, die Anzahl der Geschäfte gestiegen, und dichter Verkehr tönt durch die Straßen. Einzig die Motorräder sind fast verschwunden - sie sind verpönt, denn sie haben in den letzten Jahren zu viele Bomben an ihre Zielorte gebracht. Aber Kabul ist nun mal nicht ganz Afghanistan.

Frauen in Burka huschen vorbei - aber sie sind in der Minderzahl, die meisten Kabulerinnen begnügen sich mit Kopftuch -, während Abdul Bakshshi über den bevorstehenden Abzug sinniert. Der Anwalt und Universitätslektor hat gemischte Gefühle. Einerseits würde der Grund für die Sicherheitsprobleme und einen Großteil der Anschläge wegfallen, denn die Aufständischen müssten keine Eindringlinge mehr bekämpfen. Andererseits seien die afghanischen Sicherheitskräfte noch nicht bereit dazu, die Sicherheit im Land zu übernehmen. Mit der Armee sei man zwar soweit zufrieden. Das Vertrauen in die afghanische Polizei fehlt laut Bakshshi hingegen völlig. "Die sind doch alle nur drogenabhängig, kaum ausgebildet und die Korruptesten von allen."

"Die Menschen werden die Taliban nicht unterstützen"

Bakshshi glaubt nicht daran, dass der Abzug gleichzeitig ein Kriegsende für die Afghanen bedeuten würde. Aber zumindest würde ein niedrigeres Niveau an Kriegsführung einziehen. Bestimmt keine Angst machen ihm die Taliban. "Die Menschen werden die Taliban nicht mehr unterstützen", ist er überzeugt. Als sie Mitte der 1990er Jahre langsam an die Macht kamen, hätte man sie nicht gekannt. Der Bevölkerung dürstete es nach Frieden, den die Taliban damals anbieten konnten. Doch zu welchem Preis, das wüssten mittlerweile alle, und keiner hätte es vergessen.

Yussif, ein Händler Ende 30, sieht die Angelegenheit pragmatisch. "Wenn die Amerikaner abziehen? Dann habe ich kein Geschäft mehr." Die Militärbasen und die Präsenz internationaler Organisationen seien für viele Afghanen wirtschaftlich lebensnotwendig geworden.

Auf den Straßen Kabuls versuchen einstweilen Händler, ihr Geschäft zu machen, bieten alles Mögliche an: in verschiedenen Farben leuchtende Plastikkannen für Wasser, Stapel von zusammengedrehten Kabeln, unzählige Teppiche. Daneben stehen Holzfuhrwerke, auf denen Kleidung liegt, als ob sie mit einer Schaufel hinaufgeworfen worden wäre.

Ein freundlicher, bärtiger Mann blickt kurz gen Himmel und schließt die Augen, um die morgendlichen Sonnestrahlen zu genießen. Wie denn seine Zukunftspläne aussähen? Er hält kurz inne und meint, er würde gar nicht abstreiten, dass ein Teil der Afghanen es gar nicht erwarten kann, dass die US-Truppen endlich das Land verlassen. Im Verlauf von mehr als zehn Jahren hätten sie es nicht geschafft, sich mit den Afghanen anzufreunden. "Davon abgesehen - wir wurden nicht gefragt, als sie gekommen sind, sie werden auch uns nicht fragen, wenn sie gehen."

Der US-Abzug

Das Mandat für den Nato-Kampfeinsatz in Afghanistan endet 2014. Danach soll eine internationale Mission folgen, in der afghanische Polizisten und Soldaten ausgebildet werden.

Hochrangige US-Militärs empfehlen Präsident Barack Obama, auch nach 2014 noch etwa 15.000 Soldaten im Land zu belassen. Dieser erwägt aber auch einen vollständigen Abzug.