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Seit dem 16. Jahrhundert sind die japanischen Amakusa-Inseln ein Zentrum des östlichen Christentums. Gläubige wurden zeitweise toleriert, zu anderen Zeiten aber auch verfolgt.
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Kyushu ist die südlichste der vier japanischen Hauptinseln. Der Name bedeutet "Neun Provinzen", obwohl das Eiland inzwischen nur aus sieben Präfekturen besteht. Die Insel ist etwas größer als die Schweiz, hat 13,5 Millionen Einwohner, ist gebirgig und vulkanisch, und besitzt wenig Großindustrie.
Einst hieß das Eiland Saikaido, Ostmeerweg. Hier gingen die ersten portugiesischen Schiffe in den Häfen Kyushus vor Anker. Im Jahre 1549 landete der spanische Missionar Francisco de Xavier mit zwei weiteren Jesuiten im heutigen Kagoshima, wo sie mit Erlaubnis des Daimyo von Satsuma zu predigen begannen. Die ersten christlichen Gemeinden konnten eine große Zahl von Konvertiten vorweisen, was vielleicht am Unverständnis der Bekehrten lag. In offiziellen Dokumenten wurde berichtet, die Fremden verkündeten das Gesetz Buddhas.
Wer heute reist, um Gottes und Buddhas Spuren zu suchen, braucht viel Zeit und Geld. Zuerst mit dem Shinkansen von Tokio nach Hakata auf der Insel Kyushu, weiter mit einem Eilzug zur alten Burgstadt Kumamoto, dann der Regionalzug nach Misumi.
Die "Perlen-Linie"
Misumi liegt an der Westküste von Kyushu. Die Kleinstadt bildet das Tor zum Amakusa-Archipel, eine Gruppe von 120 Inseln, rund 880 Quadratkilometer groß, die sich in der Weite des Ostchinesischen Meers verliert. Die Bewohner leben von der Land- und Forstwirtschaft, der Fischerei, dem Tourismus. Die größten Inseln heißen Oyanoshima, Kamishima und Shimoshima. Fünf Brücken verbinden die Eilande untereinander und mit dem Festland. Die Ausflugsroute durch den Archipel trägt den poetischen Namen "Perlen-Linie". Wer sich hier bewegt, ist weit weg von daheim.
Einziges öffentliches Verkehrsmittel auf den Inseln sind die grünen Busse der Sanko-Transportgesellschaft. In Misumi befindet sich die Haltestelle neben einer Tankstelle, zwanzig Gehminuten außerhalb des Ortszentrums. Nachmittags sitzt nur ein halbes Dutzend Fahrgäste im Bus. Draußen wischt eine Traumlandschaft vorbei, schroffe Berge, tief eingeschnittene Täler, zerklüftete Küstenstreifen. In geschützten Buchten wird Seetang geerntet; Krabben- und Austernfarmen überziehen das Meer, Holzpaddel auf Flößen rotieren durchs Wasser und sorgen so für ausreichend Sauerstoff. An den Berghängen kleben Bauernhäuser.
Im Hafen von Matsushima ankern Fischerboote, Schlepper und schwimmende Saugbagger. Das einzige moderne Gebäude im Ort ist eine neue Spielhalle, die Glasfront ist mit Neonreklamen zugeklebt. Jetzt, Anfang November, haben die meisten Hotels, Gasthäuser und Restaurants geschlossen. Menschenleere Straßen, die Glockenspiele der Fußgängerampeln erklingen für niemanden.
Ein neuer Tag, ein neuer Sanko-Bus. Die Straße zur Bezirkshauptstadt Hondo auf der Insel Shimoshima führt vorbei an kleinen Fischerhäfen.
Hondo gilt als Zentrum christlicher Erkennungszeichen. Es gibt einen christlichen Friedhof, katholische Kirchen, eine Lourdes-Grotte voller Marienstatuen. Es gibt ein modernes Museum. In Glasvitrinen werden die westlichen Neuerungen und Absonderlichkeiten des 16. Jahrhunderts präsentiert: Uhren, astronomische Geräte, chirurgische Bestecke, vergilbte religiöse Bücher, Rosenkränze, Christus- und Heiligenfiguren. Die Ausstellungsstücke wirken wie tote Symbole.
Auf den Amakusa-Inseln ist die Geschichte des Christentums kurz und blutig. Begonnen hat sie Ende des 16. Jahrhunderts mit der Errichtung eines Kollegs durch portugiesische Jesuiten-Missionare. Der Besuch des Priesterseminars dauerte zehn Jahre - drei Jahre Latein, drei Jahre Philosophie, vier Jahre Theologie. In einem Anbau wurde eine Gutenberg-Presse aufgestellt. Unter den Konvertierten war auch ein ehemaliger Zen-Mönch, dessen einstige Unterweisung darin bestanden hatte, die Leere zu sehen und das Nichts zu hören. Jetzt übersetzte er Wörterbücher und religiöse Werke, in denen Wahrheit, Unfehlbarkeit und ewige Gnade versprochen wurden. Eines der ersten Bücher, 1593 aufgelegt, war "Fabulas de Esopo", die Fabeln des sagenumwobenen griechischen Dichters Äsop. Wie die anderen Werke war es in die japanische Umgangssprache übersetzt und in lateinischen Buchstaben gedruckt worden.
Zu diesem Zeitpunkt stand die fremde Heilslehre auf den Inseln in höchster Blüte. Es gab zwölf Kirchen, die Zahl der Konvertiten ging in die Tausende. Tagelöhner und arme Bauern träumten von einer neuen Gerechtigkeit. Zumindest beim Blick in den Himmel durften alle Japaner gleich sein.
Im Jahre 1637 kam es auf den Amakusa-Inseln und der angrenzenden Halbinsel Shimabara zu einem der blutigsten Aufstände in der japanischen Historie. Auslöser war die unerträgliche Besteuerung der Bauern durch zwei Feudalherren. Wer nicht bezahlen konnte, wurde barbarisch bestraft: Absägen von Gliedmaßen mit einer Bambussäge, Pfählen, Verbrennen, Tod auf dem Rost. Den Samurai ab einem bestimmten Rang erlaubte man großzügig, sich selbst den Bauch aufzuschlitzen. Höchstes Ziel der Bakufu-Militärdiktatur unter dem dritten Tokugawa-Shogun Iemitsu war die Aufrechterhaltung der Ordnung. Bevorzugt wurden prompte Lösungen statt abstrakter Gerechtigkeit. Zwischen Gewalt und Gnade bestand kein Gleichgewicht.
Der schöne Jüngling
Unter der Leitung einer Gruppe herrenloser Samurai rebellierte die Bevölkerung gegen die Unterdrückung. Spiritueller Anführer wurde ein attraktiver, wundertätiger Sechzehnjähriger namens Shiro Tokisada. Sein christlicher Name lautete Jeronimo, berühmt wurde er als Amakusa Shiro. Es hieß, sein Gesicht sei schön wie das eines jungen Mädchens gewesen, er habe Feuer einatmen, in der Luft schweben, über Wasser gehen und Kranke durch Handauflegen heilen können. Er selbst behauptete, ein Abkömmling des Himmels zu sein.
Nach einigen Anfangserfolgen mussten sich die Aufständischen in eine verlassene Burg auf der Halbinsel Shimabara zurückziehen. 37.000 Menschen, darunter 14.000 Frauen und Kinder, verteidigten sich auf der Festung Hara gegen eine gewaltige Übermacht. Unterstützt wurden die Regierungstruppen von holländischen Händlern. Das Segelschiff "de Ryp" feuerte 426 Kanonenschüsse auf die Mauern ab. Am 11. April 1638, nach einer dreimonatigen Belagerung, wurde die Burg gestürmt. Dann begann das große Gemetzel. Nur ein Verräter unter den Eingeschlossenen soll überlebt haben. Der Kopf von Amakusa Shiro wurde zur öffentlichen Zurschaustellung in die Hafenstadt Nagasaki geschickt.
Die Niederschlagung der Rebellion bedeutete das Ende des Christentums in Japan. Die letzten Missionare wurden ausgewiesen - oder hingerichtet, einheimische Gläubige zum Widerruf aufgefordert - oder getötet. Alle Familien mussten sich im nächstgelegenen Tempel melden und Zeugnis darüber ablegen, dass sie nicht vom fremden Glauben verseucht worden waren. Wer auf Jesus- und Heiligenfiguren herumtrampelte, hatte die Prüfung des reinen Japanertums bestanden.
Nur auf abgelegenen Inseln, abseits der politischen Überwachung, konnten einige christliche Gemeinden überleben. Aus Angst vor Entdeckungen beteten sie nicht mehr die Mutter Gottes an, sondern die weibliche Kannon-Figur. Im japanischen Pantheon gilt Kannon als eine Transformation des erbarmungsvollen, gnadenreichen Buddha. Irgendwann erschöpfte sich der Glaube in mystischen Riten, fremden Rätseln und unerfüllten Hoffnungen.
Im Märtyrer-Park von Hondo auf der Insel Shimoshima erinnert ein Mahnmal an die Opfer des großen Aufstands, es heißt sennin-zuka, Grabmal der tausend Seelen. Ein Bronzerelief zeigt den portugiesischen Jesuiten Luis de Almeida, der 1569 von Nagasaki aus nach Amakusa gekommen war, um das Wort Gottes zu predigen. Die Statue von Amakusa Shiro weist mit dem linken Zeigefinger in die Unendlichkeit des Himmels. Einmal im Jahr findet zur Erinnerung an die Märtyrer eine nächtliche Fackelprozession statt.
Weiter nach Sakitsu im Süden von Shimoshima. Die Straße wird immer enger, die Landschaft immer urtümlicher, kleine Reisfelder, winzige Orangen-Plantagen, Gewächshäuser. Überall wachsen Bambus, Pflaumenbäume und Kiefern. Sakitsu ist ein Fischerdorf am Ende der japanischen Inselwelt. Es liegt an einem steilen Berghang in einem stillen Fjord und besteht aus einem Gewirr zweistöckiger Holzhäuser mit tiefgezogenen Dächern, deren glasierte Pfannen im Sonnenlicht flimmern. Das einzige Café heißt Nazareth. Es hat geschlossen.
Japanische Gotik
Überragt wird Sakitsu vom Glockenturm der katholischen Kirche. Das erste Gotteshaus war 1596 von Luis de Almeida errichtet worden, bevor es im großen Aufstand zerstört wurde. Seit der Meiji-Zeit wurde die Kirche dreimal wiederaufgebaut, das letzte Mal 1934 im gotischen Stil. Im Eingangsbereich müssen die Schuhe ausgezogen werden. Es gibt kein Gestühl. Der Fußboden ist mit tatamie (Reisstrohmatten) ausgelegt. Die Fenster sind mit gelben und blauen Glasscheiben geschmückt. Im Seitenschiff zeigen naive Gemälde die Stationen der Kreuzigung. An der Wand des Chors hängt eine farbenfrohe Jesusstatue. Gottes Sohn ist nicht als Leidensfigur dargestellt, sondern stehend. Was nachvollziehbar ist in einem Land, in dem nur Kriminelle gekreuzigt wurden.
Zum Altar führt ein dunkelroter Läufer. Er steht an jener Stelle, an der Sakitsus versteckte Christen - oder jene, die dafür gehalten wurden - alljährlich durch das Zertrampeln einer Marien-Statue beweisen mussten, dass sie ihrem Irrglauben abgeschworen hatten.
Ein steiler Weg mit hohen Stufen führt zum Hügel über dem Dorf. Am Hang stehen christliche Gräber, ein Shinto-Schrein, kleine Buddha-Figuren, moosbewachsen und fleckig vom Regen. Auf dem Plateau erhebt sich ein riesiges Holzkreuz, davor befindet sich ein kleines Amphitheater. Weit geht der Blick über tief eingeschnittene Fjorde, bewaldete Höhen, die vorgelagerten Inseln, das Meer. Sonnenstrahlen lassen das Wasser glitzern wie einen goldenen Spiegel. Es ist ein Bild aus Gottes Schöpfungsgeschichte.
Hans H. Krüger, geb. 1950, lebt als Journalist in München. Seine neueste Buchpublikation: "Liebeserklärung an Japan. Götter, Geishas und Gangster - Erlebnisse in einer fremden Welt", Stürtz Verlag, Würzburg 2014, 224 Seiten.