Der Abend beginnt wie jeder andere auch. Um 18 Uhr deckt Monika Hoffmann den Tisch. Sie wartet auf ihren Lebenspartner. Eigentlich müsste er längst zurück sein, denkt sie. Aber ihr Partner kommt nicht. "Eine ganze Woche lang habe ich nichts von ihm gehört. Diese Erfahrung gönne ich keinem Menschen. Ich habe mir eine Menge Gedanken gemacht, habe Angst gehabt, dass er tot ist. Und das alles nur, weil es im Krankenhaus niemand für nötig gehalten hat, den Angehörigen Bescheid zu sagen." Erst nach sieben Tagen voller Befürchtungen und Ängste kommt der Anruf der Klinik. Eine Krankenschwester teilt Hoffmann mit, dass ihr Partner einen Autounfall hatte und auf der Intensivstation liegt - im Koma.
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"Er hat immer gesagt, dass ihm so etwas nicht passieren kann. Und dann ist es doch passiert. Totalschaden. Er ist mit dem Kopf vorne durch die Scheibe und dann nach hinten geflogen. Er hat also schwere Verletzungen vorne und hinten im Gehirn gehabt", so Hoffmann.
"Was ist Koma?" - Diese Frage beschäftigt Monika Hoffmann vom ersten Tag an. Sie besorgt sich Bücher. Sie spricht mit Freunden ihres Partners, die Ärzte sind wie er auch. "Es gibt keine Regel für den Verlauf eines Schädel-Hirn-Traumas, das wußte ich schon nach kurzer Zeit. Es kommt immer darauf an, in welchem Teil des Gehirns die Verletzungen sind."
Koma, Wachkoma, apallisches Syndrom - mit den meisten Wörtern, die dieses Problem beschreiben, ist sie nicht zufrieden. "Das wirkt immer so, als wenn ein Mensch zwangsläufig in diesem Stadium bleibt." Sie zieht die Umschreibung "apallisches Durchgangssyndrom" vor. Damit ist für sie die Hoffnung verknüpft, daß der Zustand nur vorübergehend ist. Alles kann sich verbessern. Muss es aber nicht.
Vom Arzt schon aufgegeben
Die Ärzte machen wenig Hoffnungen: Kaum Aussicht auf ein Erwachen. Die schwierigste Situation kommt nach fünf Monaten: "Da ist nichts mehr drin", sagt der behandelnde Arzt und lässt durchblicken, daß man die Magensonde entfernen könne. Hoffmann: "Das bedeutet konkret, dass mein Partner verhungert wäre."
Verlegung in ein anderes Krankenhaus mit mehr Therapieangeboten: "Man geht davon aus, dass das Gehirn wacher wird, wenn ein Komapatient nicht nur liegt." Irgendwann drückt ihr Partner zum ersten Mal ihre Hand, wenn sie ihn streichelt. So als wolle er sagen: Ich bin da, ich erkenne dich. "In solchen Augenblicken kommt natürlich gerade kein Arzt herein. Und wenn man ihnen davon erzählt, dann glauben sie einem nicht. Sie halten das für Spinnereien von Angehörigen."
Schlucken als Schritt in Richtung Leben
Eine engagierte Krankenschwester gibt Hoffmanns Partner einmal ein bisschen Joghurt in den Mund - und er fängt an zu schlucken. Nach einigen Monaten kann die künstliche Ernährung beendet werden. "Er musste gefüttert werden, aber er fing an zu essen." Nach einem halben Jahr schlägt ihr Partner die Augen auf. Das ist kein Ende des Komas, nur ein weiterer Schritt in Richtung Leben.
Neben der täglichen Betreuung am Krankenbett geht Hoffmann ihrer Arbeit als Psychologin nach. Andere, die nicht berufstätig sind, vereinsamen und neigen mehr zu depressiven Gedanken als sie. "Wenn man dann keinen Gesprächspartner hat, der das auch kennt, weiß man überhaupt nicht, wie man damit fertig werden soll." Sie sucht andere Angehörige, gründet eine Selbsthilfegruppe.
Therapie und Musik
Nach sechs Monaten in der Klinik, kommt ihr Partner in eine Rehabilitationseinrichtung. Nur wenn in den ersten zwei bis drei Jahren viel Therapie gemacht wird, hat ein Komapatient eine Chance. Sonst wird er in der Regel zu einem Pflegefall. "Da habe ich dann wirklich nur gute Erfahrungen gemacht. Es gab eine gute Betreuung, einen guten Arzt und sehr, sehr gute Physiotherapeuten." Und: Ein Komapatient braucht Anregung, braucht Vertrautes. Ein Musiktherapeut kommt, spielt auf einem türkischen Instrument. Manchmal mit durchschlagendem Erfolg: Einige Patienten haben zum erstenmal wieder einen klaren, konzentrierten Blick.
Schließlich die ersten Wörter. Nie mehr würde er sprechen können, hatten die Ärzte in der Klinik gesagt. Doch Hoffmanns Partner spricht, manchmal nur und zumeist stockend, und beginnt sogar zu schreiben und zu malen. "Er genießt es sehr, wenn ich komme. Das spüre ich ganz genau. Nach neun Monaten hat er mich zum erstenmal gestreichelt. Das war für mich wie eine Liebesnacht", sagt die Psychologin.
Ein Jahr nach dem Unfall kommt er in eine Behindertenwohngemeinschaft. Von dort aus wird er das erstemal in ihre Wohnung gebracht. "Er hat in der Küche gesessen, hat die Zucchini geschnitten und ich habe gekocht. Das hat ihm sehr gut getan. Er ist richtig aufgelebt, hat angefangen sehr viel zu sprechen, Lieder gesungen."
Gedanken-Karussell
In ihrem Kopf dreht sich immer wieder ein Karussell von Gedanken: Hoffnung auf eine Verbesserung seines Zustands - Selbstvorwürfe, weil sie vermeintlich nicht genug Zeit hatte - Wut über verpasste Chancen in der Klinik - innerer Abschied von einem Partner, der zwar lebt, aber doch kein Partner mehr ist.
Trauer um den Verlust
Bis heute, drei Jahre nach dem Unfall, trauert sie um den Verlust ihres Partners. Wenn sie nach Hause kommt, dann ist da keiner mehr. Die Gespräche, die früher das Leben bereicherten, finden nicht mehr statt. "Der Tod eines Menschen ist sicherlich leichter zu verkraften. Der Tod hat die Endgültigkeit. Doch beim Koma gibt es kein klares Ja oder Nein. Es ist ein ständiges Schwanken zwischen Hoffnung und absoluter Traurigkeit. Er ist im Moment kein Partner mehr, so hilflos wie er ist. Er ist mein Kind, da mache ich mir nichts vor."
Erfahrungen in Buchform
Ihre Eindrücke und Erfahrungen hat sie mit ihrem neuen Lebenspartner in einem Buch fest gehalten: "Koma. Eine Geschichte vom Überleben" von Monika Hoffmann-Kunz und Volkmar Volkhardt ist im Marbuse-Verlag erschienen und umfasst 180 Seiten.