Warum ist Österreich vom Phänomen Geburtenrückgang besonders betroffen? Christiane Pfeiffer, Leiterin der Abteilung für psychosoziale Forschung am Österreichischen Institut für Familienforschung, sieht eine Hauptursache darin, dass hierzulande für Frauen noch kein klares, allgemein akzeptiertes Rollenverständnis besteht.
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Was die "Fertilitätsrate" anlangt - die durchschnittliche Kinderanzahl pro Frau --, so liegt Österreich mit einem Wert von 1,3 unter den derzeit 15 EU-Ländern Kopf an Kopf mit Deutschland im untersten Drittel. Nur Griechenland, Italien und Spanien sind noch weniger geburtenfreudig. Nahe an zwei Kinder pro Frau, also an eine fast gleich starke Nachwuchsgeneration, kommen nur Irland und Frankreich heran, zwei völlig unterschiedlich zur Erwerbstätigkeit junger Mütter eingestellte Länder.
Klares Bild fehlt
Christiane Pfeiffers Befund: "Irland geht den traditionellen Weg: Junge Mütter bleiben daheim und kümmern sich um die Kinder. In Frankreich hingegen ist es selbstverständlich, dass die Frau wieder in den Erwerb geht. Meine These lautet: Dort wo Frauen ein klares Bild von sich und ihrer Mutterrolle haben, sind die Geburten hoch. Dort wo man zwischen Beruf und Haushalt hin- und hergerissen ist, den Kinderwunsch aufschiebt, bis dann auch die biologische Uhr eine Rolle spielt, hat man eher mit niedrigen Geburtenraten zu kämpfen."
In Südeuropa, aber auch in den deutschsprachigen Ländern stehen Frauen mehr in einem Spannungsfeld: Junge Mütter mit Job gelten leicht als "Rabenmütter", solchen, die zu Hause bleiben, wirft man vor: "Die tun ja nichts."
Sinkende Fertilitätsrate
Lag die Fertilitätsrate hierzulande bis zur Jahrhunderte bei 4 und dann noch bis zum Ende der Monarchie über 3, so sank sie bis 1938 auf etwa 1,5. Nach einem "goldenen Zeitalter" der Familie in den sechziger Jahren des 20. Jahrhunderts, als noch einmal der Wert 3 erreicht wurde, ging die Zahl der Kinder pro Familie ständig zurück. Wir sind, so Christiane Pfeiffer, auf dem Weg zur "Bohnenstangenfamilie", die Generationen sind dünn besetzt, dafür leben jetzt mehr Generationen gleichzeitig.
Nur noch ein Kind
Die Soziologin sieht einen Trend zu nur noch einem Kind pro Familie. Man hat ein Kind, merkt, dass es nicht mehr so wie vorher läuft, und nimmt vom zweiten Kind, falls das noch geplant war, Abstand. Christiane Pfeiffer beobachtet "eine deutliche Polarisierung" von Familien- und Erwerbswelt: "Man verlangt ja heute von der Frau etwas fast Utopisches: Sie soll sich auf eine Ehe verlassen und Kinder betreuen, bekommt aber tagtäglich vor Augen geführt, wie instabil die Ehe ist. Man müsste es daher schaffen, in einer so stark individualisierten Gesellschaft, wie wir es momentan sind, jedem Menschen eine individuelle Absicherung zu geben - und zwar nicht nur über die Erwerbsarbeit. Wenn es nicht nur ein ,Verlustgeschäft für die Mutter ist, dann fällt es wieder leichter, sich für mehr Kinder zu entscheiden."
Politik hat wenig Einfluss
Der Politik, vor allem rein finanziellen Maßnahmen, traut Christiane Pfeiffer nur wenig Einfluss auf die Geburtenentwicklung zu, eher funktioniere das über strukturelle Rahmenbedingungen. Für Menschen, die ohnehin Kinder wollen, können zwar Anreize gesetzt werden, den Kinderwunsch zu einem bestimmten Zeitpunkt zu realisieren, aber viele empfinden, dass Kinder ihrer "Karriereplanung" im Weg stehen. So wird auch die Lage auf dem Arbeitsmarkt wichtig. "Wenn die Situation im Beruf unbefriedigend wird, sind Kinder oft der Ausweg", weiß Pfeiffer und ergänzt: "Wir haben herausgefunden, dass Frauen, auf die dieser Mythos von Karriere zugetroffen hat und die sich gegen ein Kind entschieden haben, im nachhinein oft enttäuscht waren und sich rückblickend fragten: ,Was heißt das - ich habe Karriere gemacht?' "
Für den Kinderwunsch seien oft Erfahrungen in der eigenen Familie (glückliches Aufwachsen mit Geschwistern) und das soziale Umfeld (Bekannte haben auch gerade ein Kind bekommen) ausschlaggebend. Christiane Pfeiffer meint, dass die Anforderungen, die Eltern von heute an sich selbst stellen, oft extrem hoch und von vornherein zum Scheitern verurteilt seien.
Zufriedene Mutter
Aus einer Studie weiß sie, dass vor allem die Zufriedenheit der Eltern sich positiv auf die Kinder auswirkt. Am glücklichsten wachsen Kinder dort auf, wo die Mutter gerne zu Hause ist. An nächster Stelle kommen Kinder, deren Mutter zufrieden im Erwerbsleben tätig ist. Und bei einer unzufrieden erwerbstätigen Mutter besteht noch immer eine größere Chance auf glückliche Kinder als beim im Durchschnitt schlechtesten Fall: der unzufrieden zu Hause gebliebenen Mutter.