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Zwischen Mohn und Mephedron

Von Günter Spreitzhofer

Reflexionen
Opiumpfeifen werden in Thailand auch sehr gerne als Souvenirs verkauft.
© Foto: Günter Spreitzhofer

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210 Millionen Menschen, knapp fünf Prozent der Weltbevölkerung zwischen 15 und 64, haben 2010 mindestens einmal illegale Substanzen konsumiert. Das läge im langjährigen Mittel - wäre da nicht die Tatsache, dass klassische halluzinogene Drogen an Bedeutung verlieren und durch synthetische Substanzen ersetzt werden, deren - vielfach nicht definierte - Inhaltsstoffe rechtlich oftmals nicht als illegal bewertbar sind. Dass die globalen Märkte für Kokain, Heroin und Cannabis (auf hohem Niveau) stagnieren oder schrumpfen, liegt am Aufschwung von Designerdrogen, die immer öfter aus Südostasien kommen.

Anfang der 1980er Jahre wurden im "Goldenen Dreieck", an der Dreiländergrenze von Laos, Myanmar (Burma) und Thailand, rund 800 Tonnen Opiumsaft eingedickt - ausreichend Rohstoff für 80 Tonnen reines Heroin oder 100 Milliarden Schüsse. Damals wurde in Thailand jedes zweite Verbrechen unter Drogeneinfluss oder zur Beschaffung von Drogen verübt. In Malaysia galten 500.000 Menschen als drogenabhängig.

Generalstabsmäßig geplante, international co-finanzierte Raz-zien in den grünen Hügeln des Goldenen Dreiecks haben Ende der 1990er Teilerfolge bewirkt, gekoppelt mit harten Strafen für Drogenhändler und vorsichtigen Angeboten an die Bauern, alternative Agrarprodukte zu erzeugen. Mag es auch offiziell um hehre Drogenbekämpfung (zum Schutze der Menschheit) und Zerschlagung des traditionellen Wanderfeldbaus (zur Rettung der Wälder und damit des Weltklimas) gegangen sein, so war es doch ein offenes Geheimnis, dass die Vorherrschaft über den Wirtschaftsfaktor Opium im Vordergrund stand. Genau so bekannt war, dass Thailand mit dem Opium aus den Nachbarländern Heroin produzierte, nachdem seine eigenen Mohnfelder mit Unterstützung Washingtons - offiziell mit durchschlagendem Erfolg - zu Hackfruchtfeldern umgepflügt wurden.

Halbmond statt Dreieck

Die zentralasiatischen Staaten des "Goldenen Halbmondes" (vor allem Afghanistan, Iran) wurden so ihren Hauptkonkurrenten los, und sie nutzten die Gunst der Stunde. Sie beherrschen derzeit immer noch einen Großteil des Opium-Weltmarktes, erleben aber doch massive Rückgänge. NATO-Truppen und afghanische Regierungssoldaten vermochten die Opium-Produktion in Afghanistan um fast ein Viertel zu senken, was die wichtigste Einnahmequelle der Taliban reduzierte.

Anbieter aus Thailand, Laos und Myanmar sprangen nun wieder in diese Bresche: Nach Schätzungen der UNO stiegen die Gewinne 2010 um 100 Millionen auf 219 Millionen Dollar. Die Schwarzmarktpreise blieben stabil: Ein Kilo Opium kostet direkt beim Bauern in Myanmar rund 305 Dollar, bei einem Zwischenhändler in Laos 1670 und in Thailand 2700 Dollar.

Die Ausweitung der Anbauflächen in Myanmar zeigt die völlige Neuorientierung an einer sicheren Einkommensquelle, die schon beseitigt zu sein schien: In nur einem Jahr (2009) versechsfachten sich die Schlafmohnflächen auf 38.100 Hektar, die Erträge stiegen von 330 auf 580 Tonnen Rohopium. Laos steigerte seine illegale Opiumproduktion seit 2009 von sieben auf achtzehn, Thailand lediglich von drei auf fünf Tonnen.

95 Prozent des burmesischen Opiums stammen aus den Shan-Staaten im Nordosten des Landes, wo der Unabhängigkeitskrieg der regionalen Milizen gegen die burmesische Zentralregierung mit den Erträgen des Drogenhandels finanziert wird - über eine Million Menschen sind, UN-Angaben zufolge, direkt mit Anbau und Weiterverarbeitung von Mohn beschäftigt. Vor allem in Laos und Myanmar ist dies oft die einzige Möglichkeit, das Familieneinkommen nachhaltig zu sichern.

"Gebt uns Geld oder duldet unser Opium": Soubanh Srithirath, der in Laos zuständige Minister und Vorsitzende der Kommission für Drogenkontrolle, bringt das politische und sozioökonomische Dilemma der Mekong-Anrainerstaaten auf den Punkt. 2006 erklärte sich Laos zwar für opiumfrei, doch stieg die Anzahl der Abhängigen in den verschiedenen ethnischen Gruppen auf 15.000 und trieb den Preis eines Kilogramms der Droge auf 1000 US Dollar. Laos fordert deshalb für die nächsten vier Jahre 60 Millionen Dollar, um den Opiumanbau in den zehn nördlichen Provinzen zu verhindern. Wer soll das bezahlen? Und vor allem an wen?

Armut und politische Instabilität treiben die Bauern wieder vermehrt dazu, verbotene Suchtmittel zu produzieren: "Die jüngste globale Wirtschaftskrise hat die Lage der armen Bevölkerungsgruppen in Südostasien verschlimmert und verführt viele Menschen dazu, in den Drogenmarkt einzusteigen", lässt Yury Fedotov, Exekutivdirektor der UNODC (Büro für Drogen- und Verbrechensbekämpfung der Vereinten Nationen) keinen Zweifel an den sozioökonomischen Hintergründen der Liebe zum geächteten Mohn.

Drogenindustrie

Dennoch: Man sattelt um. Waren es früher versteckte Hinterhof-Labors, wo die bunten Pillen und Pulverchen hergestellt wurden, so wird heute hoch industriell und höchst professionell agiert. Allein 2009 wurden in Indonesien 37 illegale Labore ausgehoben, in Malaysia seit 2008 mehr als 35. Yury Fedotov ist Realist: "Die internationale Gemeinschaft hat die Drogenkontrolle in Südostasien offenbar aus den Augen verloren. Wir wollen auf allen Ebenen proaktiv sein, bevor die Region wieder ein großer Drogenumschlagplatz wird."

Wahrscheinlich ist das bereits geschehen. Cannabis, besser bekannt als Marihuana oder Haschisch, ist laut UNODC zwar immer noch die meistkonsumierte Droge der Welt. Dann aber kommen schon Aufputschmittel auf Amphetaminbasis (ATS) - etwa Amphetamine, Methamphetamine und Ecstasy.

Viele nicht regulierte Substanzen werden als "legal highs" und Ersatz für illegale Aufputschmittel wie Kokain oder Ecstasy vermarktet. Sie sind nicht überall verboten, und via Internet jederzeit erhältlich, was den UN-Kampf gegen die neue Drogengeneration zu einem nahezu aussichtslosen Unterfangen macht. Manche dieser Kräutermischungen sind zum Räuchern und Baden gedacht, sie werden aber geraucht, was verboten ist, aber kaum kontrolliert werden kann.

Die Wirkung von "Spice" etwa, in Deutschland und Österreich seit 2009 verboten, beruht auf synthetischen Cannabinoiden - während die Herstellerangaben eine Kombination exotischer Kräuter mit teilweise psychoaktiver Wirkung deklarieren. Der Handel mit Mephedron wiederum, harmlos als "Badesalzdroge" tituliert und in der Szene als "Meow" (ausgesprochen: Miau) oder "Magic" bekannt, fällt in Deutschland und Österreich seit 2010 unter das Verbotsgesetz: Davor ließ sich prächtig Geld damit verdienen: Gramm-Einkaufspreise ab drei Euro in Südostasien, Gramm-Verkaufspreise von 25 Euro in Österreich!

Methamphetamin wird auf dem europäischen Markt meist unter dem Namen "Crystal" angeboten, in den USA als "Crank" und in Thailand als "Yabaa" bezeichnet. Dort hat es dem Heroin längst den Rang abgelaufen. 2009 wurden 15,8 Tonnen beschlagnahmt, das war über ein Drittel mehr als im Vorjahr.

"Der wachsende Handel und die hohen kriminellen Profite stellen für unsere Region Ost- und Südostasien eine immer größere Bedrohung der Sicherheit und Gesundheit dar" - Gary Lews, der UNODC-Regionalvertreter in Bangkok, hegt keinen Zweifel an der Brisanz der Lage. Neben Westafrika profilieren sich seit geraumer Zeit vor allem das Goldene Dreieck und die südliche Mekong-Region als Produzenten und Distributoren synthetischer Drogen, die sich weltweit auf dem Vormarsch befinden. Genaue Zahlen kennt niemand, solange Indien und China keine repräsentativen Erhebungen über den Drogenkonsum ihrer Bevölkerungen durchführen. Die Schätzungen schwanken zwischen 14 und 57 Millionen Menschen, die mit einiger Regelmäßigkeit zu synthetische Stimmungsmachern greifen.

Besonders in Asien habe die Nachfrage nach Labor-Drogen zugenommen, so konstatiert das UNODC in seinem aktuellen World Drug Report - keine große Überraschung, angesichts von wachsendem Leistungsdruck in einer zunehmend globalisierten urbanen Welt und dem Aufschwung neuer Mittelschichten, die sich an westlichen Konsum- und Freizeitmustern orientieren.

Halluzinogene Partydrogen gehören offenbar für manch eine urbane Klientel dazu, hochleistungssteigernde wohl für viele. Doch empirische Studien fehlen für das Thema, das für die Nationalregierungen zur wirtschaftlichen Überlebensfrage werden kann. Internationale Kooperationen und Investitionen drohen aufgrund von allzu laschem Umgang mit der regionalen Drogenszene auszubleiben. Deshalb wird rigide durchgegriffen - zumindest gegen die kleinen Fische.

Strenge Strafen

"Seien Sie gewarnt - Tod für Drogenhändler nach malaysischem Gesetz": Diesen Passus bekommt jeder Reisende in seinen Pass gestempelt. Das Land meint es ernst. Malaysia hat eines der strengsten Anti-Drogen-Gesetze weltweit. Der Besitz von 200 Gramm Cannabis, 15 g Heroin oder einem kg Rohopium kann mit Haftstrafe von 20 Jahren geahndet werden. Für den Verkauf größerer Mengen ist die Todesstrafe vorgeschrieben. Der konfuzianisch-preußisch regierte Stadtstaat Singapur, einst Drehscheibe im fernöstlichen Heroinhandel, greift ähnlich hart durch und gilt als weitgehend clean.

Das offizielle Thailand macht brav mit, geht gegen die Opiumproduktion vor - und kokettiert doch mit einem alten Image: Mit Opiumpfeifen als Souvenirs lässt sich gut leben, und Opium (schau-)rauchende Dörfler sind fotogene Fixpunkte so mancher Ethno-Trekking-Veranstaltung.

Drogen sind böse. Vor allem solche, an denen westliche Regierungen und Konzerne nicht viel verdienen können. Schließlich sterben durch illegale Drogen weltweit rund 200.000 Menschen pro Jahr. Durch Alkoholmissbrauch übrigens 2,5 Millionen und durch Tabakkonsum 5 Millionen Menschen. Die internationale Bestürzung darüber hält sich aber in Grenzen.

Günter Spreitzhofer, geb. 1966, ist Lektor am Institut für Geographie und Regionalforschung (Universität Wien).