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Zwischen Physik und Übersinn . . .

Von Tobias Dörr

Politik

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Es gibt sicherlich unangenehmeres, als zu sterben", sagt der bärtige Mann am Lehrerpult lapidar. Die Konzentration seiner Zuhörer verdichtet sich. Beim Sterbeprozess, erklärt er in kurzen, abgehackten Sätzen, wird die Herz-Lungenfunktion eingestellt, es kommt zu Sauerstoffmangel, was zu Stress und in weiterer Folge zur Ausschüttung von Endorphinen führt. Resultat: Die Glückshormone lindern die Schmerzen des Sterbenden und verändern seinen Bewusstseinszustand.

Es ist Freitag, 18 Uhr, der zweite Termin des auf drei Tage angesetzten Seminars "Die Wissenschaft der Akte X" in der Volkshochschule, Wien Landstraße. Thema ist alles Übersinnliche und Werner Gruber, Universitätsdozent für Neurophysik, Jahrgang '70, ist drauf und dran allen irdischen und überirdischen Geheimnissen auf den Grund zu gehen.

Was, zum Beispiel, ist dran an den mystischen Todeserfahrungen, von denen so viele Menschen nach dem Erwachen aus ihrem komatösen Zustand berichten? Abermals führt der Physiker die Endorphine ins Treffen. Zusammen mit "fehlgeleiteten Neuronen" sind sie für die Lichter verantwortlich, die Sterbende am Ende eines Tunnels zu erkennen glauben. "Alles nur Halluzinationen", so Gruber nüchtern, die in vier Ausprägungen vorkommen: Tunnel, Spirale, Spinnennetz oder Netz.

Rauchpause. Draussen, vor der Schule in der Hainburgerstraße 29 nimmt Gruber einen tiefen Zug von seiner Zigarette und bläst den Rauch in die kalte Luft. Er erzählt von den "Was ist Was" Büchern seiner Kindheit. "Als ich zehn war, wusste ich alles, was man in diesem Alter aus Kinder- und Jugendbüchern über Raketen und Raumfahrt wissen konnte. Gruber begeisterte sich schon früh für die Naturwissenschaft. Im Alter von 6 Jahren wollte er sich ein Auto bauen. Kein normales Auto freilich, sondern ein raketenbetriebenes. Wenngleich er heute das Butterbrotpapier nicht mehr hat, auf dem er den Konstruktionsplan zeichnete, erinnert er sich noch genau an die Details seiner Erfindung: So berücksichtigte er damals sogar ein Gegengewicht, damit das Raketen-Auto nicht nach einer Seite kippt.

Spätestens als er als 17-Jähriger den "ersten österreichischen Jugendforschungspreis" für die Entwicklung eines dreidimensionalen Bildschirms verliehen bekommt, steht der Entschluss fest, sein Leben der Physik zu widmen. Sein Interesse für die Naturwissenschaft bringt ihn bis zur Uni Wien, wo er schnell das Studium beendet und bald darauf selbst erste Vorlesungen hält.

University meets public

Im Rahmen von "university meets public", der Zusammenarbeit zwischen Volkshochschulen und Universität Wien, gelangte Gruber zum Verband Wiener Volksbildung, um dort sein Wissen einer breiteren Masse allgemein verständlich näherzubringen. Mittlerweile reicht sein Repertoire von den "Naturwissenschaften der Akte X" über "die Physik des Papierfliegerbaus" bis hin zum Streifzug durch "Unser Gehirn", in dem er Funktion und Prinzipien des Gehirns veranschaulicht.

Zurück zum Seminar: Gruber lässt gerade ein Faltblatt für das in San Francisco ansässige Kuriositätenkabinett namens "Ripley's believe it or not" durch die Reihen gehen. Nicht ohne zu bemerken: "Keiner verlässt den Raum bevor der Zettel wieder bei mir ist - das ist mein letztes Exemplar." Zu sehen sind menschliche Abnormitäten, wie Schrumpfköpfe oder ein Mann mit zwei Pupillen pro Auge, der die Vorderseite der Werbung ziert. Grubeber bereichert den Ripleyschen Katalog um Skurilitäten aus der eigenen Schatzkiste: "Wann leuchten Leichen?" fragt er seine staunende Zuhörerschaft, um gleich zu erklären: "Unter bestimmten Umständen kann es vorkommen, dass aufgrund von Bakterien Urin und Schweiß zu leuchten beginnen, was bei Leichen beängstigend aussehen kann." Der Physiker selbst bleibt angesichts solcher Naturschauspiele gelassen. Unbeirrbar rückt er dem scheinbar Unerklärlichen mit den Naturgesetzen der Physik zu Leibe.

Glühende Kohlen

"Wir alle können über glühende Kohlen laufen, wenn wir uns beeilen und - an den Fußsohlen schwitzen. Ein teures Seminar brauchen wir dafür nicht", sagt er provozierend. Die Frage sei, welche Stoffe in welcher Weise Wärme abgeben oder aufnehmen. Metall erhitzt sich im Gegensatz zu Holz sehr schnell. Holz und Kohle haben die gleichen Wärmecharakteristika, das heißt, ihre Wärmeabgabe ist äußerst schwach. Trotzdem liegt die Temperatur von glühender Kohle zwischen 270 und 350 Grad Celsius.

Gruber erklärt den sogenannten "Leidenfrost Effekt", der auf den deutschen Mediziner Johann Gottlieb Leidenfrost (1715-1794) zurückgeht, anhand einer erhitzten Herdplatte. Wichtig ist, dass die Herdplatte auf mindestens 100 Grad, dem Siedepunkt des Wassers, erhitzt ist, dann entsteht zwischen ihr und einem Wassertropfen eine Schicht, die den Tropfen bis zu drei Minuten vor dem Verdampfen bewahrt. Diese physikalische Erkenntnis, die schlechte Wärmeabgabe von Holz und Kohle einerseits und der Leidenfrost Effekt andererseits machen es möglich, schmerzfrei über glühende Kohlen zu gehen.

Voraussetzung ist der Schweiß an unseren Fußsohlen, damit die Schicht zwischen glühender Kohle und Fußsohlen entsteht. Würde man anstatt Kohle Metall verwenden oder wie bei einem Grill über die glühenden Kohlen einen Metallrost legen, wäre es bedeutend gefährlicher.

Es sind die kleinen Unterschiede, die über Erfolg und Misserfolg einer Vorführung entscheiden. Sitzt der Fakir beispielsweise auf einem Nagel, auf hundert Nägeln oder auf einem Dutzend Nadeln? Anders als Nägel dringen Nadeln ins Gewebe ein und würden die Meditationssitzung zu einer schmerzhaften Tortur machen. Je mehr Nägel, desto besser verteilt sich das Gewicht. Das größte Problem des Fakirs liegt darin, sich richtig, das heißt ohne große Schmerzen auf das Nagelbrett zu legen.

Popeye als Opfer des Druckfehlers

Die heutige Vorlesung hat Gruber zwar allem Übersinnlichen gewidmet, doch scheut sich der Physiker am Rande eine Ernährungslüge aufzudecken. Den Mythos "Spinat als kraftbringendes Supergemüse entlarvt er als einfachen Druckfehler: "Bei der ersten Veröffentlichung über das grüne Gemüse im 19. Jahrhundert ist das Komma um eine Stelle verrutscht und seither hält sich das Gerücht hartnäckig, Spinat sei der Eisenlieferant Nummer eins. Popeyes Biowaffe ist also nichts als ein Placebo?

Auf die Frage was ihn an der Naturwissenschaft so anzieht, antwortet er: Gedanken zu denken, die noch nie jemand vorher gedacht hat. Das hört sich zunächst abstrakt an und erinnert an Raumschiff Enterprise "Galaxien, die noch nie ein Mensch gesehen hat...".

Gruber denkt ganz praktisch und will es wissen - in der Art eines physikalischen Captain Kirk. "Wenn ich zu viel Zeit habe, was immer seltener der Fall ist, spaziere ich in den Libro und suche nach der neuesten Literatur über Ufos. Ich versuche die Autoren zu kontaktieren, um genauer nachzufragen, die meisten bleiben unerreichbar."

Nicht alle Rätsel sind lösbar

Von der kommerziellen Ausschlachtung der Physik zeigt er sich enttäuscht, lieber konkretisiert er seine Faszination an einem Beispiel aus der kulinarischen Physik: "Warum ist der Milchschaum auf der Melange?" Wie hoch ist die Innentemperatur eines Frankfurters?"

Scheinbar ließe sich alles mit gesundem Menschenverstand und physikalischem Sachverstand lösen, doch einige Rätsel bleiben ungelöst, wie das des Volksstammes der Dogon, ein Volk in Mali. Vor 150 Jahren wurde der Volksstamm von westlichen Ethnologen entdeckt. Die Dogon erzählten den Ethnologen von einer spiralförmigen Gruppe von Welten (Galaxien). Sie behaupteten, das Universum sei unendlich groß und dennoch begrenzt. Die Dogon verehren den Stern Sirius B. Der Stern Sirius ist ein Doppelstern, was erst seit einigen Jahren bekannt ist. Er besteht aus Sirius A und Sirius B, die sich umkreisen. Die Dogon erklärten ihren Besuchern, dass die Umkreisung 50 Jahre dauert. Nach naturwissenschaftlichen Untersuchungen dauert die Umrundung 49,9 Jahre. Woher die Dogon dies wissen konnten, bleibt ein Rätsel. Nach ihren Angaben landeten Außerirdische, haben ihnen die Welt erklärt und sind wieder davon geflogen.