Jürgen Trittin trimmt deutsche Grüne mit Wahlprogramm auf Linkskurs.
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Berlin/Wien. Von Gespaltenheit war keine Rede, der vermeintliche Graben zwischen bürgerlichen "Realos" und linken "Fundis" weit und breit nicht zu sehen. Ohne Gegenstimme haben die 800 Delegierten der deutschen Grünen auf ihrem Parteitag das Programm für die Bundestagswahl im September beschlossen. Triumphiert haben jene Strömungen in der Öko-Partei, die auf einen Linksdrall in der Wirtschaftspolitik setzen und einen strammen Kurs für Rot-Grün fahren, der Rest wurde marginalisiert oder zeigte sich gefügig.
"Robin Hood ist hier, der Sheriff von Nottingham ist dagegen bei Frau Merkel", rief Parteivorsitzender Cem Özdemir. Bürger mit einem Vermögen von mehr als einer Million Euro sollen nach Vorstellung der Grünen zehn Jahre lang 1,5 Prozent abgeben; 100 Milliarden Euro soll diese Maßnahme bringen und in den Abbau der Staatsschulden fließen. Zentrale Bedeutung messen die Grünen auch der Anhebung des Spitzensteuersatzes bei. Dieser soll ab Einkommen von 80.000 Euro brutto pro Jahr von derzeit 42 auf 49 Prozent erhöht werden. Die vom gewerkschaftsnahen Institut für Makroökonomie und Konjunkturforschung auf 4,5 Milliarden jährlich taxierten Mehreinnahmen sollen Bildung und Sozialem zugute kommen.
Mastermind hinter dem Wahlprogramm ist Jürgen Trittin. Der Spitzenkandidat für die Wahl betonte am Montag, 90 Prozent der Einkommensteuerzahler würden dadurch entlastet. Denn Personen mit einem Jahreseinkommen unter 60.000 können laut dem 58-jährigen Hanseaten mit einer Erleichterung rechnen und lediglich 18 von 171 Berufsgruppen wären betroffen - darunter Piloten und Unternehmensberater.
Regierungsparteien und ihnen nahestehende Organisationen schießen scharf zurück, sie sehen gar den Mittelstand bedroht: "Die Grünen wollten das Leben für die Mitte der Gesellschaft teurer machen, die Substanz der Betriebe durch die Vermögensteuer gefährden und Deutschlands Wettbewerbsfähigkeit beschränken", sagte der Generalsekretär der Liberalen, Patrick Döring.
Der Generalsekretär des CDU-Wirtschaftsrates, Wolfgang Steiger, warnte kürzlich gar vor einem "Sargnagel für den Mittelstand", wenn nicht nur die Einkommensteuer erhöht, sondern die Erbschaftsteuer auf 8,6 Milliarden pro Jahr verdoppelt und die Vermögensteuer wie von den Grünen gefordert wieder eingeführt werden. Der Zentralverband des deutschen Handwerks bezeichnet die rot-grünen Steuerpläne als "Wachstumsbremse", laut Bund der Steuerzahler verstößt das Programm der Grünen teilweise gegen geltende Gesetze, berichtet der "Spiegel". Kanzlerin Angela Merkel beteuerte bereits im Vorfeld, sie werde keine Steuererhöhungen vornehmen.
Gerechtigkeits-Paarlauf statt Ergänzung bei Rot-Grün
"Mehr Gerechtigkeit" lautete die Devise der Grünen auf dem Parteitag. Nach der SPD, die bereits seit Monaten ankündigt, Gerechtigkeit stehe im Vordergrund ihres Wahlkampfes, ziehen nun die Grünen nach. Einerseits aus tagespolitischen Grünen: Die Steuer-Affäre um Uli Hoeneß hat große Empörung gegen "Die da oben, die es sich richten" ausgelöst. Nachdem es sich beim Präsidenten des FC Bayern um einen Sympathisanten der CSU handelt, kosten Rot und Grün die Causa genüsslich aus.
Doch die Verärgerung über einen Bürgerlichen ist das eine, für die Stimme bei der Wahl benötigt es mehr. SPD und Grüne kannibalisieren sich mit ihrer dezidiert linken Rhetorik gegenseitig, anstatt sich zu ergänzen. Nicht im Gerechtigkeits-Paarlauf können sie Angela Merkel schlagen, sondern sie müssten auch bürgerliche Wähler ansprechen. Mit Winfried Kretschmann verfügen die Grünen über einen Ministerpräsidenten, der diese Rolle glaubhaft verkörpert. Ausgerechnet beim Parteitag tauchte er jedoch ab - nachdem er zuvor Bedenken über möglicherweise zu hohe Belastungen für den Mittelstand geäußert hatte. Ein gesetzlicher Mindestlohn von 8,50 Euro und dieselben Rechte für Leiharbeiter wie für ihre angestellten Kollegen sind hehre Ziele - Wahlen gewinnt man mit ihnen aber nicht.
Bei 14 Prozent stagnieren die Grünen laut aktuellen Umfragen in der Wählergunst, die SPD hält bei 27. Die beiden Parteien haben einander fix als Koalitionspartner versprochen; sie erreichen gemeinsam aber nur knapp mehr Stimmen als die Konservativen, die bei 40 Prozent liegen. Der letzte Sozialdemokrat, der einen CDU-Kanzler stürzen konnte, war Gerhard Schröder 1998. Er umwarb gezielt die Bürgerlichen.