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Zwischen Safe House und Türmchen

Von WZ-Korrespondent Tobias Müller

Politik
Rechtspopulist Geert Wilders

Zwei Wochen vor den Wahlen zeichnet sich ein Kopf-an-Kopf-Rennen zwischen Wilders und Regierungschef Rutte ab.


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Amsterdam. Es gibt diese Momente, da scheint Geert Wilders in seine Einzelteile zu zerfallen. Nicht die Person, sondern das politische und mediale Phänomen des unangefochtenen Chefs der Partij voor de Vrijheid (PVV). Verwundert fragt man sich dann, wie es diesem Mann mit seinen seit Jahren immergleichen Parolen und vorhersehbaren Forderungen eigentlich gelingt, ein ganzes Land vor sich herzutreiben - mal in tiefer Abneigung, mal in hektischer Aufgescheuchtheit, aber auch in hunderttausendfacher Zustimmung.

"Spijkenisse" war so ein Moment. Wer den niederländischen Wahlkampf verfolgt, weiß: Dieser Name steht für das Städtchen vor den Toren Rotterdams, in dem die PVV Mitte Februar ihre Kampagne begann. Spijkenisse gilt als PVV-Hochburg. Und doch waren die Einzigen, die in Massen auf den Marktplatz gekommen waren, internationale Journalisten. Sicher, es gab ein paar "Wilders"-Sprechchöre, manche Anhänger machten Fotos mit ihrem Idol, doch die hektische Betriebsamkeit schien vor allem als Hype, der seinen Inhalt weit übersteigt.

Feindbild Islam

Den Eindruck der Entzauberung des Phänomens Wilders gab es schon öfters. 2008, nachdem die Hysterie um seinen amateurhaften "Islam-Film" Fitna abgeklungen war. 2012, als die PVV bei den Parlamentswahlen verlor, nachdem Wilders der (Minderheits-)Regierung das Vertrauen entzogen und sie so zu Fall gebracht hatte. Oder 2014, als seine hetzerische "Weniger Marokkaner"-Rede zu einer Abwanderungswelle von PVV-Funktionsträgern führte. Die Rede brachte Wilders, dessen Familie mütterlicherseits aus Indonesien stammt, 2016 eine Verurteilung wegen Aufrufs zur Diskriminierung ein - und einen Schub in den wöchentlichen Umfragen.

Geert Wilders teilt die Meinungen der Niederländer. Mehrfach wurde er in der Befragung der maßgeblichen Politsendung "Een Vandaag" zum "Politiker des Jahres" gewählt - sowohl vom Publikum als auch von parlamentarischen Journalisten. Gleichzeitig ist er der mit Abstand meistgehasste Politiker des Landes. Auf linken Demonstrationen wird sein Konterfei auf einem stilisierten Marlboro-Logo mit dem Schriftzug "Extremist" abgebildet. Auf Nazi-Websites schmähte man ihn wegen seines Pro-Israel-Standpunkts als "Judenfreund".

In den Umfragen lag die PVV seit Herbst 2015 fast ununterbrochen vorne. Zwar musste die Ein-Mann-Partei in den Umfragen zuletzt Verluste hinnehmen, dennoch liegt sie mit einer Zustimmung von knapp 16 Prozent fast gleichauf mit der regierenden Partei für Demokratie und Freiheit (Volkspartij voor Vrijheid en Democratie, VVD). Die PVV hält derzeit 12 Sitze, die VVD 40. Mehr als einmal meldete Wilders, ein 54-jähriger gelernter Sozialversicherungs-Experte, seinen Anspruch an, ins sogenannte "Türmchen" am Rand des Parlamentsgebäudes einzuziehen, das den Arbeitsplatz des niederländischen Premiers beherbergt. Aus Mangel an Koalitionspartnern ist das so gut wie ausgeschlossen: Beinahe alle Parteien schließen eine Zusammenarbeit mit der PVV im Vorfeld aus.

Inszenierung als Rebell

Die Beliebtheit Wilders’, der seit mehr als zehn Jahren wegen islamistischer Todesdrohungen in Safe Houses lebt, speist sich inhaltlich aus drei Quellen: der Inszenierung als Rebell gegen die "politische Elite" in Den Haag und Brüssel, immer im Dienste der kleinen Leute; dem Eintreten gegen eine sogenannte "Massenimmigration" und symbolischen Einsatz für die vermeintlich bedrohte niederländische Kultur, sowie seiner anti-islamischen Agitation. In Wilders’ Rhetorik werden diese drei Stränge vielfach verwoben.

Mehrfach überwand die PVV elektorale Rückschläge, und selbst, wenn Kommentatoren sie abschrieben, kam sie jedes Mal zurück. Zum einen zeugt das, elf Jahre nach der Parteigründung, von einer sich stabilisierenden Wählerschaft, zum anderen von der spezifischen Konjunktur besagter Themen in den Niederlanden. Die Debatte um Multikulturalismus, Zuwanderung und Islam begann hier nicht nur früher als in anderen Ländern. Sie birgt auch, mehr als ein Jahrzehnt nach den politischen Morden an Pim Fortuyn und Theo van Gogh, noch immer ein besonders rasantes Eskalationspotenzial.

Das aktuelle Wahlprogramm der PVV - Motto: "Die Niederlande sollen wieder uns gehören" - ist nicht mehr als ein spitz formuliertes Elf-Punkte-Programm. Dass dies "auf eine DIN-A4- Seite passt", vermeldete man geradezu stolz - ganz, als hebe man sich damit vom vermeintlich untätigen Den Haager Establishment ab. "Die Niederlande de-islamisieren", lautet das oberste Ziel. Dazu will man die Grenzen für Asylsuchende und Migranten aus islamischen Ländern dichtmachen, Asylzentren schließen und das Kopftuch in öffentlichen Funktionen verbieten. Auch Koranverbot und die Schließung von Moscheen und islamischen Schulen stehen auf dem Programm.

Austritt aus der EU

Zudem peilt die PVV den Austritt der Niederlande aus der EU an, will den Etat für Verteidigung und Polizei aufstocken und Ausgaben für "Entwicklungshilfe, Windmühlen, Kunst, Innovation, Rundfunk etc." streichen. Die Einkommenssteuer soll "niedriger" und die Kfz-Steuer halbiert werden. Bindende Referenden sollen zu "mehr direkter Demokratie" führen. Dass die internen Strukturen der PVV vor allem auf die Machtposition Wilders’ zugeschnitten sind und er das einzige Mitglied seiner Partei ist, ist ein Widerspruch, den PVV-Wähler in der Regel vernachlässigen.

Bemerkenswert: Gleich vier der Agendapunkte betreffen den sozialen Bereich. Die PVV kündigt niedrigere Mieten und eine Rückkehr zur Rente mit 65 (statt mit 67) ebenso an wie die "Rücknahme der Kürzungen in der Haus- und Altenpflege". Den ungeliebten Eigenbeitrag zur Krankenversicherung will man abschaffen.

Deutlich spiegelt sich in diesem Programm ein Anspruch wider, den Wilders auf der Website des Parlaments im Namen seiner Partei verkündet: "Hart, wo nötig, weich, wo möglich."