Nach strenger Gesetzesauslegung könnten ÖBB und Polizei Geldstrafen drohen.|Sie handelten am Montag dennoch richtig.
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Wien. Tausende Flüchtlinge warten in Budapest auf die Weiterreise nach Österreich, seit Dienstag wird ihnen diese verwehrt. Für sie gibt es keinen legalen Weg, um nach Österreich oder Deutschland zu gelangen, wohin die meisten weiterreisen wollen. Einige versuchen es über die Straße, nahezu täglich greift die österreichische Polizei Flüchtlinge auf, manche haben viel Geld für die Fahrt bezahlt. Erst am Dienstag hat die Exekutive 24 Afghanen aus einem versperrten und gar verschweißten Klein-Lkw geborgen, die sich in höchster Gefahr befanden, zu ersticken.
Doch nicht immer wird unter Gefahr für Leib und Leben geschleppt, und nicht immer bezahlen die Flüchtlinge für den Grenzübertritt Unsummen. Es gibt auch Aufgriffe, bei denen nur ein oder zwei Personen in einem ganz normalen Pkw sitzen. Und manchmal werden sie von Helfern gefahren, die gar nichts verlangen. Doch auch, wer Flüchtlinge unentgeltlich nach Österreich befördert, macht sich strafbar. Es ist zwar nicht Schlepperei nach § 114 des Fremdenpolizeigesetzes, dafür aber die Förderung einer "rechtswidrigen Einreise" (§ 120). Wer erwischt wird, muss mit einer Verwaltungsstrafe zwischen 1000 und 5000 Euro rechnen, im Wiederholungsfall bis 15.000 Euro.
Abgesehen davon wird man um eine Festnahme nicht herumkommen, da die Polizei mit hoher Wahrscheinlichkeit davon ausgehen wird, dass es sich um eine Schleppaktion handelt, wie auch eine Nachfrage dieser Zeitung bei der Exekutive ergab. Fragt sich freilich, worin der juristische Unterschied zwischen einem Privatfahrzeug und den ÖBB auszumachen ist? Unzweifelhaft haben Bahn und Polizei gewusst, dass in den Zügen aus Budapest am Montag Flüchtlinge saßen. Diese hatten auch Tickets gelöst, also dafür Geld bezahlt. Ist es also gar Schlepperei nach § 114?
Nur wer sich unrechtmäßig bereichert, ist ein Schlepper
"Die Frage ist durchaus zulässig", sagt Clemens Lahner, Rechtsanwalt in Wien und Verteidiger bei dem Schlepper-Prozess, der im Dezember in Wiener Neustadt mit sieben Schuldsprüchen geendet hat. Die Urteile sind nicht rechtskräftig, Lahner bereitet gerade die Rechtsmittel vor. Möglich, dass die zweite Instanz die Schuldsprüche aufhebt.
Das Besondere bei dem Prozess in Wiener Neustadt war, dass die Verurteilten selbst Asylwerber waren und es teilweise nur um Bagatellbeträge ging. Die juristische Abgrenzung zwischen Fluchthilfe und Schlepperei ist aber nicht immer so klar. So wurde etwa eine im Gesetz früher enthaltene Bagatellgrenze im Jahr 2005 herausgestrichen. Heute ist ein Schlepper, wer die "rechtswidrige Einreise oder Durchreise eines Fremden (. . .) mit dem Vorsatz fördert, sich oder einen Dritten durch ein dafür geleistetes Entgelt unrechtmäßig zu bereichern".
EU verlangt Ausnahmen für Bahnunternehmen
Wenn dem Entgelt eine klar abzugrenzende Leistung gegenübersteht, etwa der Benzinverbrauch, geht die Judikatur nicht von einer "unrechtmäßigen Bereicherung" aus. Das ist auch die Hoffnung von Anwalt Lahner im Einspruch gegen die Verurteilungen in Wiener Neustadt. Es bedeutet auch, dass den ÖBB kein juristischer Strick zu drehen sein wird - zumindest nicht nach dem Schleppereiparagrafen.
Sehr wohl dürfte aber ein Verstoß gegen § 120 vorliegen, da die Bundesbahnen wissentlich die Ein- und Durchreise von Fremden gefördert haben. Das Wort wissentlich ist dabei von Bedeutung. Lahner verweist auf den Prozess aus Wiener Neustadt, als Zeugen befragt wurden, die Flüchtlinge via Mitfahrdienste, also gewissermaßen als zahlende Autostopper, nach Deutschland chauffiert hatten. Sie wussten nicht, dass es sich um illegal nach Österreich Eingereiste handelte, und verlangten keine Reisepapiere. Hätten sie es aber erkannt, hätte womöglich das Gesetz zugeschlagen. Weshalb die Richterin im Verfahren die Zeugen bei entsprechenden Fragen extra darauf hinwies, dass sie die Antworten verweigern können, wenn sie sich dadurch selbst belasten.
Aufgrund der breiten Berichterstattung wäre es natürlich nicht glaubhaft, dass ÖBB und auch Polizei nicht wussten, wer da in den Zügen saß. Und dennoch steht es wohl außer Streit, dass beide richtig gehandelt haben. Die Flüchtlinge nicht einreisen zu lassen, hätte wohl zu einem Aufruhr mit schwer zu kalkulierenden Folgen geführt. "Sollte einem Eisenbahner etwas angehängt werden - also den Fall übernehme ich gerne", sagt Lahner.
Dass sich ÖBB und Exekutive am Montag aber jedenfalls in einem juristischen Graubereich bewegt haben, illustriert, dass die gesetzliche Regelung von der derzeitigen Situation in gewisser Weise überfordert ist. So wie auch die Dublin-III-Verordnung so gut wie gar nicht mehr funktioniert. Dass einmal tausende Flüchtlinge innerhalb der EU auf die Weiterreise in andere Mitgliedsstaaten drängen, war bei der Gesetzeswerdung offenbar keine Vorstellung. Jetzt ist jedoch genau dies Realität.
Wie Bahnchef Christian Kern am Rande des Forum Alpbachs erklärte, bereiten sich die ÖBB auf weitere Züge mit Flüchtlingen vor, auch Gespräche mit den jeweiligen Bahnunternehmen in Ungarn und Deutschland finden derzeit statt. Zwischen den Extremen "alles offen" und restriktiv keinen durchzulassen, müsse ein Mittelweg gefunden werden, betonte Kern. Eine restriktive Politik würde ohne Zweifel dazu führen, dass vermehrt Flüchtlinge in Händen von Schleppern landen.
Ein interessantes Detail aus dem Fremdenpolizeigesetz gibt den ÖBB bei der Beförderung von Flüchtlingen eine Sonderrolle. Im Paragraf 111 des Fremdenpolizeigesetzes werden nämlich die Pflichten der diversen Beförderungsunternehmer aufgelistet. Sie müssen "alle erforderlichen Maßnahmen treffen", um sich zu vergewissern, dass eine Person in ein anderes Land einreisen darf. Wer dieser Verpflichtung nicht nachkommt, begeht eine Verwaltungsübertretung. Im Gesetz sind allerdings ausschließlich Flug-, Schiff- und Autobusunternehmen angeführt, die Bahn nicht. Das Gesetz basiert nämlich auf einer EU-Richtlinie über die Durchführung des Schengenkodex, in dem die Bahnunternehmen ausgenommen sind.