Zum Hauptinhalt springen

Zwischen Skepsis und Hoffnung

Von Martyna Czarnowska

Europaarchiv

Angst vor Teuerungen bei Lebensmitteln. | Wirtschaft wächst schneller als Lebensstandard. | Sofia. Die Päckchen, die von der Decke des Terminals als Weihnachtsdekoration baumeln, haben Flügel und ein Fahrwerk. Wie klobige Aluminium-Roboter stützen riesige kegelförmige Pfosten die Zwischendecke. Glas und Metall überall. Der neue Passagier- und Frachtterminal ist ein futuristisches Gebäude. Um 110 Millionen Euro wurde der Flughafen in Sofia ausgebaut und modernisiert. Vor drei Tagen wurde der neue Teil in Betrieb genommen - mit einjähriger Verzögerung, aber immerhin pünktlich zum EU-Beitritt. "Dieses Projekt zeugt von der neuen europäischen Gegenwart Bulgariens", schwärmt also der bulgarische Ministerpräsident Sergej Stanischew.


Hinweis: Der Inhalt dieser Seite wurde vor 17 Jahren in der Wiener Zeitung veröffentlicht. Hier geht's zu unseren neuen Inhalten.

Was er nicht dazu sagt: Auch in der ersten Zeit seiner Mitgliedschaft in der Europäischen Union wird das Land nicht alle Vorteile eines gemeinsamen Luftraums nutzen können. Zwar können bulgarische Flugzeuge in die EU fliegen. Sie werden aber behandelt wie Flieger aus Nicht-EU-Staaten. Wartungszertifikate etwa werden nicht automatisch von anderen Ländern anerkannt. Denn dass die bulgarische Luftfahrtbehörde alle EU-Sicherheitsstandards erfüllt, zweifelt die EU-Kommission an.

Mitglied zweiter Klasse?

Doch nicht das spricht Vassil an, wenn er sich darüber ärgert, dass Bulgarien in der Union zu einem Mitglied zweiter Klasse wird. "Wir müssen all ihre Anforderungen erfüllen, und trotzdem dürfen wir nur zu verschärften Bedingungen beitreten", sagt der 59-jährige Ingenieur. Als Beispiel nennt er die Übergangsfristen für Arbeitnehmer (siehe auch Artikel unten). "Warum darf ich denn nicht in der EU arbeiten so wie andere?" fragt Vassil. "Ausländer dürfen sehr wohl hierher kommen."

Wie viele Bulgaren blickt der Mann dem EU-Beitritt seines Landes mit Skepsis entgegen. Groß ist die Angst, dass das kommende Jahr Verteuerungen bei Lebensmitteln und Strom bringt.

Schon im November lagen die Preise für Fleisch, Wurst, Käse, Eier und Zucker um bis zu 20 Prozent höher als im Jänner. Und auch Brot, das Grundnahrungsmittel, hat in manchen Geschäften die psychologisch wichtige Marke von einem Lev (ein halber Euro) überschritten. Das Mindestgehalt beträgt nicht einmal 200 Leva (knapp 100 Euro).

Geld fließt an die Küste

Nur ein schwacher Trost kann da zahlreichen Bulgaren der Wirtschaftsaufschwung der letzten Jahre sein. Das Wachstum soll auch heuer mehr als fünf Prozent betragen, der Staat einmal mehr einen Budgetüberschuss erwirtschaften. Durch die Senkung des Körperschaftssteuersatzes auf zehn Prozent erhofft sich die Regierung einen weiteren Anstieg der ausländischen Direktinvestitionen. Größter Investor in Bulgarien ist Österreich, mit einem Investitionsstand von fast zwei Milliarden Euro. Die Baubranche floriert, ebenso der Tourismus.

Wohin das Geld - nicht nur aus dem Ausland - fließt, ist vor allem an der Schwarzmeerküste zu sehen. Mit Billigfliegern sind die Strände um Varna und Burgas für Briten und Deutsche leicht zu erreichen. In der Nacht braucht der berühmte Goldstrand einen Vergleich mit Las Vegas nicht zu scheuen. Direkt am Strand reiht sich ein vielstöckiges Hotel an das andere, Kasinos blinken um die Wette, Restaurants locken. Vieles davon ist fest in Händen der Mafia oder dient der Geldwäsche, wird gemunkelt. Für Geld können Urlauber jedenfalls alles bekommen: Drogen, Spiel, Frauen.

Ineffiziente Bekämpfung der organisierten Kriminalität und Korruption sind es auch, die Brüssel der Regierung in Sofia immer wieder vorhält. Dies wiederum wissen zahlreiche Bulgaren zu schätzen. Der Druck der EU müsse die bulgarischen Politiker dazu anhalten, die Reformen endlich umzusetzen, meinen sie. So mischt sich auch in Vassils EU-Skepsis ein Funken Hoffnung.