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Von Bürgerkriegen kann Afrika lange erzählen. Seit dem Ende des Kolonialsystems vor etwa 40 Jahren wurde dieser Kontinent vor allem durch Bürgerkriege erschüttert, so dass etwa der ehemalige senegalesische Präsident und Schriftsteller Leopold Sedar Senghor behauptete, der Zweite Weltkrieg sei nicht beendet, da man ihn in der Dritten Welt, vorwiegend in lokalen Konflikten weiter- führe.
Am Anfang jedoch weckten diese Kriege, vor allem wegen ihres Befreiungs- oder revolutionären Charakters, Hoffnungen. Man konnte glauben, dass nach dem Sieg eine bessere und gerechtere Gesellschaft entstehen würde. Doch insbesondere in Afrika wurden solche Hoffnungen bald durch Traumatisierungen zunichte gemacht. So erschienen mit der Zeit die jahrzehntelangen Bürgerkriege - wie jene in Angola, in Somalia, Sudan, Westafrika oder rund um die Großen Seen - nur noch als eine Kette von Massenmorden und sinnloser Gewalt, die einen ihrer traurigen Höhepunkte in der Verstümmelung Tausender Zivilisten seitens der berüchtigten RUF-Milizen in Sierra Leone erreichten.
Massenflucht, Hungersnot, Seuchen sowie physisches und psychisches Leid trugen dazu bei, dass immer wieder Hoffnungen in die Rückkehr zu den sozialen Ordnungen vergangener Epochen gesetzt wurden. Es gab sogar mancherorts wieder Sehnsucht nach dem Kolonialismus, denn trotz seines Charakters als System der Ausbeutung und Diskriminierungwaren Wirtschaftsleben und die gesellschaftliche Infrastruktur unter seiner Ägide intakt und wirkungsvoll. Andere wiederum träumten vom Aufbau eines Gottesstaates durch buchstäbliche Anwendungen von Normen aus den Heiligen Büchern, um - wie in Algerien mit dem radikalen Islamismus oder in Uganda durch die "Befreiungsarmee des Herrn" - gesellschaftliche Verhältnisse aus der Zeit des frühen Mittelalters mit den Waffen herzustellen.
So wandelte sich die Hoffnung in das Trauma, das Trauma wieder in die Hoffnung um. Ein Ausweg aus diesem alptraumhaften Zustand ließ sich aber nicht finden.
Haben und hatten also Afrikas Kriege überhaupt irgendeinen Sinn? Von außen betrachtet, wird man leicht eine verneinende Antwort geben. Es verhält sich jedoch anders, wenn man sich mitten drin befindet, wenn man wegen seiner Zugehörigkeit zu einem bestimmten Kollektiv - einer Rasse, Klasse, Nation oder Religion - Diskriminierung, Gewalt oder drohendem Genozid ausgesetzt ist. In diesem Fall bewahrt der Begriff des gerechten oder ungerechten Krieges seine Bedeutung. Man muss sich jedoch vor den Illusionen hüten, die der Krieg mit seiner je eigenen Logik mit sich bringt - einer Logik, die aus der streng hierarchischen Struktur des Militärs und aus dem Subordinationsprinzip hervorgeht.
Das erste Opfer dieser Logik ist gewöhnlich die Demokratie und die mit ihr verbundenen Menschenrechte. Das zweite ist die Persönlichkeit des Menschen, die im Namen des Kollektivs unterdrückt und auf die Ebene einer anonymen Masse herabgesetzt wird, deren physische Bestandteile nur noch als Automaten in Händen ihrer Vorgesetzten funktionieren.
Das Dritte ist die Wahrheit, die politischen Mythologien und deren nationalistischen, rassistischen, religiösen, kulturellen oder zivilisatorischen Implikationen weichen muß. Alle diese Mythen rufen nach dem Opfer des eigenen Lebens; das Vorbild von Volkshelden und Märtyrern bildet aber auch die Grundlage des Personenkultes des jeweiligen Führers. In der Geschichte ist es immer so.
Darin nur eine Verkettung von Machtinteressen oder eine Manipulation der Großmächte zu sehen, die hinter jedem Krieg, jeder Revolution, jeder Widerstandsbewegung stehen und die Fäden ziehen, wird sogar von führenden Historikern als Unsinn oder Verschwörungstheorie abgelehnt. Was aber, wenn eines Tages Dokumente ans Tageslicht treten, die gerade dies bestätigen - eine Verschwörung etwa? Meistens wird man reagieren wie der serbische Schriftsteller Momo Kapor nach den Enthüllungen von Hintergründen der kommunistischen Revolution in Ex-Jugoslawien: "Wird dies bedeuten, dass unsere ganze Geschichte nur das Ergebnis der Untergrundtätigkeit irgendwelcher Geheimdienste war?"
Gewiss, Heldenmythen sind schöner. Aber wenn man zur Kenntnis nimmt, dass die Geschichte und die zeitgenössischen politischen Beziehungen häufig zu Propagandazwecken mißbraucht werden (und dass die Wirklichkeit meist noch schlimmer ist, als man sich vorstellen kann), wird man dann nicht endgültig jede Hoffnung aufgeben müssen? Wird man, solcherart desillusioniert, Alternativen zu Kriegen, Gewalt, Mystifizierung und Manipulation des menschlichen Geistes nicht vergeblich suchen? Wird man dann nicht einem Alptraum ausgesetzt sein, der jeden Versuch, die negativen Folgen der Globalisierung zu bekämpfen, lähmt?