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Der Nordpol bietet derzeit die einzigartige Gelegenheit zu ermessen, wie das damals war, als die Erde nicht zur Gänze aufgeteilt war und die Nationen sich noch um herrenloses Land balgten.
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Jahrhundertelang krähte kein Hahn nach dem Nordpol. Auszumachen, wem er gehört, erübrigte sich; Interesse an dem unwirtlichen Gebiet hatte ohnedies niemand. Doch das hat sich schlagartig geändert - als Folge des Klimawandels. Die Polkappen begannen zu schmelzen. So wird manchen Schätzungen zufolge bereits im Jahr 2040 der Weg freigegeben zu einem ungeheuren Reichtum an Bodenschätzen: Ein Viertel der weltweiten Erdöl- und Erdgasreserven soll sich in diesem Gebiet befinden, dazu noch Edelsteine und -metalle in Hülle und Fülle.
Plötzlich ist ein geradezu anachronistischer Streit unter den an den Nordpol grenzenden Ländern ausgebrochen. Die USA, Kanada, Russland, Dänemark und Norwegen versuchen, jeder auf seine Weise, das (noch) eisige Gebiet als eigenes Eigentum zu deklarieren.
Russland setzte letztes Jahr auf Symbolik: Ein russisches U-Boot pflanzte in etwa 4000 Meter Seetiefe ein Fahnderl der Föderation in den Meeresboden und erklärte den Nordpol zu russischem Gebiet. Doch diese Art der Inbesitznahme hat schon vor Jahrhunderten nicht mehr funktioniert.
Kanada schickte trotz dänischer Proteste Militär an die Grenze zu Grönland, um seine Gebietsansprüche zu untermauern. Wie lange Grönland wiederum noch zu Dänemark gehören wird, ist auch schon fraglich, denn direkt proportional mit der Aussicht auf Reichtum steigen die Unabhängigkeitsbestrebungen auf der Insel.
Wie diese dann den Ansturm von Erdöl- und Minenunternehmen bewältigen will, steht auf einem anderen Blatt. Derzeit zählt Grönland 60.000 Einwohner, von denen die meisten einen eingeschränkten Bildungsstandard haben.
Um Eskalationen zu vermeiden und grobe Regeln in dieses Rennen um den Nordpol zu bringen, hat Dänemark nun eine Konferenz der fünf Länder einberufen. Eine grundsätzliche Regelung findet sich bereits im Seerechtsübereinkommen von 1982. Es gewährt Ländern auf dem Meer eine Wirtschaftszone, die 200 Seemeilen jenseits ihrer Landesgrenzen liegt. Diese kann aber erweitert werden, wenn ein Land nachweist, dass der Meeresboden ein geologischer Fortsatz des Landesgebiets ist.
Somit würden geologische Gutachten entscheiden, wer welches Gebiet erhält. Dies allerdings unter der Voraussetzung, dass alle Länder diese Spielregeln akzeptieren. Die USA haben die UN-Seerechtskonvention jedoch nicht ratifiziert, was Dänemarks Außenminister Per Stig Möller Kopfzerbrechen bereitet: "Ich hoffe, die Amerikaner werden die Konvention anerkennen, sonst sind wir zurück im Wilden Westen."
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