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Zwischenbilanz im Kaprun-Prozess

Von Ivo Greiter*

Wirtschaft

Frust bei den Hinterbliebenen, Unfähigkeit der Beteiligten, Versagen der Gerichtsorganisation - so lauten einige der Vorwürfe im Zusammenhang mit der juristischen Bewältigung des größten Unglücks in Österreich seit dem 2. Weltkrieg. Zehn Anmerkungen, um zu zeigen, was in diesem Verfahren - trotz gründlicher Vorarbeiten - schief gelaufen ist.


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1. Erster Hinauswurf

Ein US-amerikanischer Rechtsanwalt, Vertreter von amerikanischen Hinterbliebenen, wurde aus dem Gerichtssaal verwiesen. Begründung: Ein Beschuldigtenvertreter hatte beantragt, den US-Anwalt als Zeugen zu vernehmen. Ob er sich auf seine anwaltliche Verschwiegenheit berufen würde, wurde der Anwalt gar nicht erst gefragt. Welche Auswirkungen dieser Hinauswurf auf die bevorstehenden Schadenersatzprozesse in den USA hatte, wurde offensichtlich verdrängt. War es doch die Argumentation vor den US-Gerichten, dass Österreich die Rechte der Amerikaner nicht schützen würde und deshalb ein Schadenersatzprozess in den USA erforderlich sei.

2. Zweiter Hinauswurf

Sieben Überlebende des Seilbahnunglücks waren aus Deutschland nach Salzburg angereist, ging es doch beim Strafprozess auch um ihre Interessen. Die Überlebenden saßen unter den Zuhörern, gespannt jede Bewegung, jede Äußerung des Richters verfolgend. Und plötzlich hieß es: Auch sie werden als Zeugen geladen werden und dürfen sich daher vor ihrer Aussage nicht im Saal aufhalten. In Übereinstimmung mit der Strafprozessordnung werden sie des Saales verwiesen.

Hier müsste eine Änderung der StPO überlegt werden, so dass man dem Opfer die Möglichkeit gibt, den Strafprozess mitzuverfolgen. Zumindest sollten die Opfer rechtzeitig informiert werden, um ihnen so die überflüssige Anreise zu ersparen.

3. Die Pressearbeit

Das Verständnis für die Prozessführung und die dabei auftretenden Schwierigkeiten wäre in der Öffentlichkeit erheblich größer gewesen, hätte es an jedem Prozesstag eine Pressemitteilung gegeben. Anderseits darf es meines Erachtens keine Medieninformation durch den Verhandlungsrichter selbst geben. Was der Richter zu sagen hat, hat er im Verfahren zu sagen. Eine darüber hinausgehende Medieninformation ist unstatthaft, eröffnet sie doch eine zweite Ebene des Verfahrens außerhalb der Verhandlung.

Konkret fand dies unter anderem statt, als der enthobene Sachverständige sich weigerte, die ihm anvertrauten Urkunden herauszugeben. Man konnte sodann den Medien entnehmen, was der Richter plante zu tun, um doch an die Urkunden zu kommen. Und als nach etlichen Tagen die Urkunden immer noch bei Gericht waren, drohte der Richter - laut Medienberichten - die Urkunden mit Hilfe der Gendarmerie zu beschlagnahmen.

Aufgabe des Richters ist es, zu handeln, Beschlüsse und Verfügungen zu erlassen. Eine Information der Öffentlichkeit über einzelne geplante Schritte sollte nicht über den Richter selbst erfolgen, sondern, wenn überhaupt, über den Pressesprecher des Gerichtes.

4. Entwertetes Mitgefühl

Zu Beginn ihrer Vernehmung versicherten alle Beschuldigten den Hinterbliebenen ihr tiefes Bedauern und Mitgefühl. Diese Erklärung verlor jedoch ihre Glaubwürdigkeit, als in der Folge erklärt wurde, auf Fragen der Hinterbliebenen und der Privatbeteiligtenvertreter, würde nicht geantwortet. Durch dieses Verhalten wurden die Emotionen im Gerichtssaal erheblich verstärkt. Selbstverständlich hat jeder Beschuldigte das Recht zu schweigen. Daran darf auch nicht gerüttelt werden. Dass die Beschuldigten aber in einem derartigen Verfahren um den Tod von 155 Menschen nicht bereit waren, die Fragen der Hinterbliebenen zu beantworten, blieb unverständlich.

5. Fehlen einer Schreibkraft

Eine Verhandlung musste vertagt werden, weil eine Schreibkraft ausgefallen war. Die Kosten einer oder mehrerer Ersatzschreibkräfte sind, verglichen mit den Kosten jeder Stunde dieses Verfahrens, im Bagatellbereich anzusiedeln.

6. Winkelschreibereistrafe

Das Landesgericht Salzburg hat gegen einen US-Anwalt eine Geldstrafe wegen Winkelschreiberei verhängt, ohne ausreichend anzuführen worin die Winkelschreiberei gelegen sein sollte. Entsprechend wurde die Strafe dann in zweiter Instanz aufgehoben. Zurück bleibt der - für die Verfahren in den USA - ungute Eindruck, dass man in Österreich das Auftreten eines US-Anwaltes mit allen Mitteln verhindern will.

7. Taschenpfändung

Ein ähnlich unguter Eindruck entstand, als bei einem US-Anwalt eine Taschenpfändung durchgeführt wurde. Ein oberösterreichischer Anwalt hatte gegen seinen amerikanischen Kollegen eine Wettbewerbsklage eingebracht hat, über die Versäumnisurteil erging.

8. Verweigerte Urkunden

Dass die Urkunden, die bei der Kriminaltechnischen Zentralstelle (KTZ) lagerten, trotz mehrfacher Aufforderung des Gerichtes nicht sofort vollständig zur Verfügung gestellt wurden, erweckt den Eindruck einer mangelnden Bereitschaft zur Kooperation. Im Zuge der Verhandlung kam dann noch heraus, dass ein Beamter der KTZ weitere Ordner mit Dokumenten im Kofferraum seines Autos verwahrt hatte . . .

9. Der fehlende Fonds

Seitens der österreichischen Bundesregierung ist in den letzten drei Jahren nichts Konkretes geschehen, um die Kaprun-Opfer bzw. deren Hinterbliebene zu entschädigen. Die Haftpflichtversicherung der Gletscherbahn hat sich redlich bemüht, die gerechtfertigten Schäden zu ersetzen. Für die Hinterbliebenen mit ärztlichem Attest gab es an Schmerzengeld je 7.267,28 Euro. Im Vergleich dazu: Die Hinterbliebenen des Seilbahnunglücks von Cavalese (1998) erhielten durch ein eigenes italienisches Gesetz 2 Mill. Dollar. Die Hinterbliebenen vom Concorde-Unglück in Paris und jene von Lockerbie erhielten ebenfalls Entschädigungen in Millionenhöhe. Wäre es nicht sinnvoll gewesen, wenn Österreich als Fremdenverkehrsland für diese Fremdenverkehrskatastrophe den Hinterbliebenen pro Opfer aus einem zu bildenden Fonds einen entsprechenden Betrag zur Verfügung gestellt hätte?

10. Zusammenfassung

Durch die große Zahl der Opfer und die Ereignisse rund um diesen tragischen Unfall wurde naturgemäß auch der Strafprozess besonders kritisch beleuchtet. Dabei waren oft der zuständige Einzelrichter des Landesgerichts Salzburg und die Justizverwaltung Zielscheibe der Kritik. Es muss aber doch mit aller Deutlichkeit festgehalten werden, dass der Richter an die österreichische StPO gebunden ist, dass trotz der obigen kritischen Ausführungen der Richter diesen Großprozess bisher insgesamt souverän geführt hat und aufgetretene Verzögerungen nicht ihm angelastet werden können.

* Ivo Greiter ist Rechtsanwalt in Innsbruck und vertritt im Kaprun-Prozess japanische Hinterbliebene