Ein Streit um die Schreibweise von Namen belastet das Verhältnis der Litauer zur polnischen Minderheit.
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Ursprünglich war die Aufschrift auf der Mauer polnisch. Um Schutz wurde da die Schwarze Madonna gebeten, deren Bildnis vor mehr als 300 Jahren in einer Nische über dem Stadttor im litauischen Vilnius Platz gefunden hat. Immerhin hatte sie bereits ihre eigene Herberge gerettet: Nachdem die alte Stadtmauer geschleift worden war, ist im 19. Jahrhundert lediglich dieses eine Tor erhalten geblieben.
Zu dem Zeitpunkt gab es die polnisch-litauische Union zwischen dem Königreich Polen und dem Großfürstentum Litauen nicht mehr. Sowohl Warschau als auch Vilnius standen unter dem Einfluss Russlands. Aus Sorge vor russischen Repressalien wurde der Satz auf der Mauer der Madonnenkapelle mit einem lateinischen Schriftzug ersetzt. Erst in den 1930er-Jahren wurde die Aufschrift wieder polnisch, nach dem Zweiten Weltkrieg erneut lateinisch. Und bis heute sind es vor allem zahlreiche Polen, die der Schwarzen Madonna - der wundertätige Kräfte nachgesagt werden - einen Pilgerbesuch abstatten.
Aufschriften, Sprachen, Schreibweisen: Sie sorgen auch jetzt für länderübergreifende Debatten - und damit für Spannungen zwischen Warschau und Vilnius. Die polnische Minderheit in Litauen, die in der Hauptstadt fast ein Fünftel der Bevölkerung ausmacht, kämpft etwa dafür, in Personalausweisen Namen in polnischer Schreibweise festhalten zu dürfen. Zweisprachige Straßen- und Ortsschilder stehen ebenfalls auf der Wunschliste.
Wie die Polen in Weißrussland, die immer wieder Diskriminierung beklagen, können die Polen in Litauen zumindest teilweise auf Unterstützung aus Warschau bauen. Immerhin gibt es noch Polen, die Wilno - wie sie Vilnius nennen - als verlorenes Gebiet ansehen, das einst Teil des polnischen Reiches war. Umgekehrt betrachten sie den Einmarsch der polnischen Truppen 1920 und die Eingliederung der Stadt nicht als das, was es für die Litauer war: als Annexion.
So begegnen einige Litauer der polnischen Minderheit und deren Forderungen mit Misstrauen: "Die Polen dürfen doch ihre Sprache sprechen, sie haben ihre zweisprachigen Schulklassen, wozu also die Aufregung?" Nationalisten orten unrechtmäßige Bestrebungen, den polnischen Einfluss zu erhöhen.
Zu ihrer Beruhigung dürfte da der Ausgang der Lokalwahlen vor wenigen Tagen nicht beigetragen haben. Die Wahlaktion der Polen in Litauen (AWPL) hat in einer Listenverbindung mit dem Bund der Russen in Vilnius den zweiten Platz errungen. Sie bekommt elf Sitze von den 51 Mandaten im Stadtrat. Einen Abgeordneten mehr erhält das siegreiche Bündnis mehrerer unabhängiger Kandidaten unter Arturas Zuokas, der sieben Jahre lang Bürgermeister von Vilnius war. Dieses Amt strebt nun auch der AWPL-Vorsitzende Waldemar Tomaszewski für seine Partei an.
Genüsslich zitierten Medien in Warschau die Aussagen der litauischen Politologin Morta Vidunaite. Diese findet es unehrlich, nun das Schreckgespenst einer neuerlichen polnischen Herrschaft in Vilnius an die Wand zu malen. Die litauischen Politiker hätten in ihrer Rhetorik gegen die polnische Minderheit vorsichtiger sein sollen, findet Vidunaite. In ihrem Gefühl der Ablehnung seien die Polen noch enger zusammengerückt, und diese Konsolidierung sei einer der Gründe für den Wahlerfolg gewesen.
Es würde nun auch an den Politikern beider Nachbarländer liegen, die Gemüter zu beruhigen. Doch vor nationalistischen Tendenzen sind weder die Litauer noch die Polen gefeit.