Vor dem EU-Gipfel werben EU-Kommission und Deutschland für das Abkommen mit Ankara.
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Brüssel. Ja, es sei kompliziert. Dass die geplante Vereinbarung der EU mit der Türkei zum Grenzschutz und zur Rücknahme von Flüchtlingen etliche Schwierigkeiten birgt, räumt sogar die EU-Kommission ein, die ansonsten lieber von "Herausforderungen" und "Chancen" spricht. Dennoch warb die Brüsseler Behörde einmal mehr für das Abkommen mit Ankara. Er sehe nämlich keinen anderen Ansatz, um den Schutzsuchenden zu helfen, erklärte Vizepräsident Frans Timmermans. Die jetzige Lage sei jedenfalls nicht hinnehmbar: "Menschen ertrinken in der Ägäis; Menschen leiden in Idomeni."
Der Ort an der griechisch-mazedonischen Grenze, wo tausende Migranten nach der Abrieglung großer Teile der Balkan-Route ausharren, ist zu einem weiteren Symbol für das Unvermögen der EU geworden, rasch gemeinsame Lösungen in der Flüchtlingskrise zu finden. Griechenland selbst war daran nicht unbeteiligt, weil es lange Zeit die Hilfe der EU-Partner nicht im weitestmöglichen Umfang in Anspruch nehmen wollte. Monate hat es gedauert, bis die sogenannten Hot Spots, die Erstaufnahmezentren eingerichtet waren, bis der Anteil der Registrierungen der Ankommenden gestiegen ist - eine Voraussetzung für die Realisierung der EU-Pläne zur Umsiedlung zehntausender Asylwerber aus Griechenland.
Nun aber soll es schneller gehen, nicht zuletzt eben dank der benachbarten Türkei. Vor allem Deutschland sieht in der Unterstützung der Beitrittskandidatin ein Schlüsselelement im Vorhaben zur Sicherung der Außengrenzen der EU und Eindämmung des Flüchtlingsstroms. Warnungen, dass sich die Europäer damit in allzu große Abhängigkeit von den Türken und deren gern autoritär agierendem Staatspräsidenten Recep Tayyip Erdogan begeben, lässt Bundeskanzlerin Angela Merkel kaum gelten. Es gehe um einen Ausgleich der Interessen, der "unseren Werten entspricht", befand sie in einer Regierungserklärung im Bundestag.
Auf Grundzüge der Zusammenarbeit haben sich die Staats- und Regierungschefs in der Vorwoche mit ihrem türkischen Amtskollegen geeinigt; am heutigen Donnerstag kommen sie erneut zu einem Gipfeltreffen zusammen, um über die Details zu beraten. Wenn morgen, Freitag, die Sitzung fortgesetzt wird, ist Premier Ahmet Davutoglu wieder dabei.
Rechtzeitig vor der Zusammenkunft bemühte sich die EU-Kommission darum, rechtliche Bedenken an dem Deal mit Ankara zu zerstreuen. Denn vor allem die Idee, alle illegal nach Griechenland eingereisten Schutzsuchenden in die Türkei zurückzuschicken und stattdessen syrische Asylwerber direkt aus dem Land nach Europa umzusiedeln, löste etwa bei internationalen Organisationen Kritik aus. Daher beruhigte Timmermans: Es werde keine Massenabschiebungen aus Griechenland geben. Wie es internationalen Asylstandards entspricht, solle weiterhin jeder Einzelfall geprüft werden. Doch seien die Verfahren zu beschleunigen.
Zypern droht mit Blockade
Auch für die Türkei, die ihrerseits ebenfalls angemessenen Zugang zu Asylverfahren gewähren müsste, gelten bestimmte Voraussetzungen. So müsste Griechenland seine Nachbarin als sicheres Drittland anerkennen, und für die EU sollte es ein sicherer Herkunftsstaat sein - trotz der Kampfhandlungen im Osten der Türkei.
Das ist einigen Mitgliedern, darunter Österreich, aus einem bestimmten Grund ein Anliegen: Sie knüpfen den Status des sicheren Herkunftslandes an die von den Türken gewünschte Befreiung von der Visumspflicht für Reisen in die EU. Das könnte die Visaliberalisierung verzögern, die schon ab Juni gelten soll - falls Ankara alle Bedingungen dafür erfüllt. Das müsste aber innerhalb von zwei Monaten geschehen, was viel Ehrgeiz erfordert: Von den 72 Anforderungen für die Aufhebung der Visapflicht ist gerade erst einmal die Hälfte umgesetzt.
Das nährt die Skepsis jener, die gegen allzu große Zugeständnisse an die Türkei sind. Dabei werden nicht nur in Österreich Bedenken wegen der geplanten Reisefreiheit geäußert, sondern auch in Frankreich, wo es Sorgen um die Sicherheit der Pässe gibt. Massive Zweifel an der Durchsetzbarkeit des Türkei-Deals werden ebenso in anderen Mitgliedstaaten zum Ausdruck gebracht - freilich aus unterschiedlichen Gründen.
Zypern, in dessen - nur von der Türkei anerkannten - Nordteil türkische Truppen stationiert sind, pocht auf eine Anerkennung durch Ankara, bevor es der Eröffnung weiterer Verhandlungskapitel in den Gesprächen mit der Beitrittskandidatin zustimmt. Eine Beschleunigung der Verhandlungen soll aber auch Teil der Vereinbarung mit der Türkei sein. Das könne er nur zulassen, wenn die Regierung in Ankara ihre Verpflichtungen erfülle, betonte der zypriotische Präsident Nikos Anastasiades.
Ungarn wiederum warnt davor, dass das Vorhaben zur Aufnahme von Flüchtlingen aus der Türkei noch mehr Asylwerber anziehen werde. Budapest hat sich von Anfang an gegen eine Verteilung von Schutzsuchenden auf ganz Europa gesperrt.
Spanien hingegen verweist auf völkerrechtliche Probleme, die die Rückführung von Menschen in die Türkei in sich bergen kann. Es will nur eine Abmachung mittragen, die mit internationalem Recht vereinbar ist.