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Zwist um Verträge neu entbrannt

Von WZ-Korrespondent Wolfgang Tucek

Europaarchiv

Unterschiedliche Vorstellungen über gemeinsame Wirtschaftsregierung.


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Brüssel. Die Eurozone steht vor der nächsten Rezession, Griechenland, Portugal und Griechenland brauchen bereits umfassende Notkredite, Italien steht vor dem finanziellen Abgrund. Während die Staats- und Regierungschefs sowie ihre Finanzminister alle Hände voll zu tun haben, die Löcher zu stopfen, laufen bereits die Arbeiten für eine neue Hülle für Eurozone und EU unter Hochdruck. Ziemlich unterschiedlich sind dabei die Vorstellungen, wie die Zukunft aussehen müsse, damit verheerende Krisen nicht mehr die Gemeinschaftswährung und die Union in die Nähe der finalen Katastrophe führen können - falls sie den aktuellen Wahnsinn überleben.

Die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel und der französische Präsident Nicolas Sarkozy preschen mit ihren Ideen voran. Ihnen wird vor allem von Seiten des EU-Parlaments vorgeworfen, eine Art Direktorium der Staats- und Regierungschefs unter ihrer Leitung anzustreben. Einem solchen Konzept fehle die demokratische Legitimation. Auch Nicht-Euro-Länder wie Polen, das derzeit den EU-Vorsitz führt, und Großbritannien sind alarmiert. Sie warnen vor einem Europa der zu unterschiedlichen Geschwindigkeiten, in dem sich die Eurozone zu sehr vom Rest abkoppelt. Beide bilden wiederum keineswegs eine gemeinsame Front, wollen doch die Briten niemals in den Euro, Polen dagegen in absehbarer Zeit sehr wohl.

Einig sind sich alle Spieler im Grunde nur darüber, dass es eine stärkere wirtschaftliche Integration der Länder in der Eurozone geben muss - ein Bestreben, das unter dem Schlagwort Wirtschaftsregierung diskutiert wird. Gerade erst hat die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel äußerste Eile angemahnt. "Die Welt wartet nicht auf Europa", sagte sie. Immer wahrscheinlicher wird, dass es dafür eine Änderung des Lissabonner Vertrags geben muss, der erst seit knapp zwei Jahren die rechtliche Grundlage für die EU bildet. Euroländer müssen wohl auf die eine oder andere Art Haushaltskompetenzen an die EU-Ebene abgeben, was bisher immer auf erbitterten Widerstand gestoßen ist.

Die Speerspitze dieser Bestrebungen bildeten noch vor zwei Monaten bloß der damalige Präsident der Europäischen Zentralbank, Jean-Claude Trichet, und sein Nachfolger Mario Draghi, der das Amt seit Monatsbeginn führt. Merkel schickte damals ihren Finanzminister Wolfgang Schäuble als erstes politisches Schwergewicht mit dem Wunsch nach einer Vertragsänderung vor.

"Begrenzte" Änderung des Regelwerks erwünscht

Inzwischen haben bereits alle 27 Staats- und Regierungschefs einen Auftrag an EU-Ratspräsident Herman Van Rompuy gerichtet, bis zum EU-Gipfel am 9. Dezember die Möglichkeiten einer "begrenzten" Änderung des Lissabonner Vertrags auszuloten. Bis März sollen Inhalt und Zeitplan des Projekts fertig ausgearbeitet sein. Nach den Berliner Plänen sollen sich die Arbeiten auf die Verschärfung des Artikels 126 im EU-Vertrag konzentrieren, der sich mit den Konsequenzen von Verstößen gegen den Eurostabilitätspakt beschäftigt. Grundsätzlich sollen Durchgriffsrechte einer EU-Instanz auf die Haushalte notorischer Schuldensünder in der Eurozone geschaffen werden. Wie das genau funktionieren soll, ist noch nicht bekannt.

Der für die Vertragsänderung nötige Konvent könnte ein eng umrissenes Mandat erhalten und auf ein Jahr begrenzt werden, hieß es. "Eine politische Gemeinschaft, die erklärt, egal was sich auf der Welt tut, sie kann ihre vertraglichen Grundlagen nie wieder ändern, diese politische Gemeinschaft ist nicht überlebensfähig", bekräftigte Merkel. Nachdem sie und Sarkozy am G20-Gipfel letzte Woche auch den Abschied Griechenlands aus der Eurozone nicht mehr ausgeschlossen haben, kursierten Gerüchte, die beiden könnten überhaupt ein Voranschreiten einer Kerneurozone ohne das eine oder andere Problemland planen.

Abgesehen davon macht die anvisierte Vertragsänderung zahlreichen Ländern grundsätzliche Sorgen. Sie bezweifeln sehr, dass ein solches Projekt rasch über die Bühne gehen kann. Immer noch sitzt vielen das fast zehnjährige Tauziehen um den Lissabonner Vertrag in den Knochen.

Volksabstimmungen als Risikofaktor

Der österreichische Bundeskanzler Werner Faymann hatte per "Kronen Zeitung" ein Referendum für alle Vertragsänderungen versprochen, welche "die Interessen Österreichs berühren." Auch Irland und Dänemark müssten wohl Volksabstimmungen abhalten. Der britische Vizepremier Nick Clegg lehnte die Änderung unlängst strikt ab und warnte vor einer Aufspaltung der EU in Eurozone und Nicht-Euro-Länder. Es dürften nicht im Kreis der 17 Entscheidungen getroffen werden, welche alle 27 EU-Mitglieder betreffen.

Nicht gegen eine Vertragsänderung aber gegen den scheinbar geplanten Modus richten sich führende Abgeordnete des Europäischen Parlaments. Hannes Swoboda (SPÖ), Othmar Karas (ÖVP) und Ulrike Lunacek (Grüne) fordern unisono ein Mitbestimmungsrecht des EU-Parlaments statt einer Einstimmigkeit der Mitgliedstaaten bei Entscheidungen einer Wirtschaftsregierung. Neben Vertretern der nationalen Parlamente müssten auch Vertreter der Zivilgesellschaft in den Konvent eingebunden werden, um die Bürger bei der Gestaltung der Unionspolitik endlich wieder mitzunehmen.