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Ganz oben im Hochhaus des Mercedes-Motorenwerks in Stuttgart-Untertürkheim, im Büro von DaimlerChrysler-Konzernchef Dieter Zetsche, brennt derzeit das Licht länger als sonst. Nachdem seine Erfolge bei der ersten Sanierung der 1998 von seinem Vorgänger Jürgen Schrempp zugekauften US-Tochter Chrysler den Manager mit dem markanten Schnauzbart 2005 an die Spitze des schwäbischen Autobauers gebracht haben, muss er nun die amerikanische Krankheit neuerlich möglichst rasch kurieren. Notfalls per Amputation.
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1,5 Milliarden Dollar Verluste hat Chrysler heuer bilanziert. Die noch vor kurzem so beliebten Minivans, Pick-Ups und großen Geländewagen stehen angesichts gestiegener Spritpreise wie angeschraubt auf den Höfen der Händler.
Fabriksschließungen und die Streichung weiterer 13.000 Jobs in den USA sollen rasch das Fieber senken. Ausgeschlossen ist aber für die verlustbringende US-Tochter mittlerweile nichts mehr: Verkauf an einen Konkurrenten oder an einen Finanzinvestor, im Ganzen oder in Teilen.
Dass mehrere zunächst als Übernahmeinteressenten kolportierte Autokonzerne gleich wieder abgewunken haben, ist kein Wunder. Denn die meisten von Zetsches Kollegen an der Spitze jener sieben großen Autokonzerne, die 70 Prozent des Weltmarktes beherrschen - das sind General Motors, Toyota, Ford, Volkswagen, Renault/Nissan, DaimlerChrysler und Hyundai - bekommen dieser Tage ähnlich wenig Schlaf wie er.
Denn die Probleme der Branche - und da vor allem der amerikanischen und der meisten europäischen Hersteller - sind gewaltig: Steigende und vielfach lange unterschätzte Umweltanforderungen sowie geringere Erträge sind nur ein Teil des Übels, auch wenn die Umsatzrendite beim Autoverkauf oft nur bei einem Prozent liegt. Geld verdient wird häufig nur noch mit Finanzierungen und Ersatzteilen.
Hauptsorge ist aber jedenfalls die Überproduktion. Derzeit steht einer weltweiten Nachfrage nach rund 53 Millionen Autos pro Jahr eine weltweite Produktionskapazität von 65 Millionen Stück gegenüber. Und während in den reifen Märkten Europa und USA kaum noch Wachstum stattfinden wird - und damit Verdrängungswettbewerb und Preiskampf wohl noch härter werden -, treten in den boomenden Hoffnungsmärkten der aufstrebenden Industrieländer neue Anbieter als Konkurrenten auf den Plan. Vor allem in China und Indien - aber auch in Russland - wollen immer mehr Hersteller nicht nur auf dem Heimmarkt reüssieren, sondern dem erfolgreichen Beispiel der Japaner und Koreaner folgen und auf den Weltmarkt drängen.
Aus den noch vor 50 Jahren aktiven gut 60 unabhängigen Automobilherstellern wurde ein knappes Dutzend Konzerne. Viele traditionsreiche Marken sind verschwunden. Möglich, dass auch Walter Chryslers Gründung von 1923 ihren 90er nicht mehr erlebt.