Brüssel/Wien - Seit einigen Monaten läuft im Reformkonvent, der noch heuer den Entwurf für eine überrregionale EU-Verfassung präsentieren soll, eine Debatte der besonderen Art: Die christlich-konservative Europäische Volkspartei (EVP) will, dass in der Präambel der künftigen Konstitution der Gottesbegriff verankert wird. Ein Vorstoß, der von der katholischen Kirche lebhaft begrüßt und von den übrigen im Konvent vertretenen Fraktionen vehement abgelehnt wird.
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Für einen deutlichen Gottesbezug in einer künftigen Verfassung der Europäischen Union hat sich jüngst auch der Primas der katholischen Kirche Polens, Kardinal Jozef Glemp, ausgesprochen. Jede andere Entscheidung sei "eine Verletzung der Demokratie", da die Mehrheit der EU-Bürger Christen seien, sagte Glemp in einem Interview mit der polnischen katholischen Nachrichtenagentur KAI. Die Kirche als älteste europäische Institution dürfe sich nicht vom Integrationsprozess abgrenzen, unterstrich der Primas. Das neue Europa könne sich nicht von religiösen Fragen distanzieren, da 90 Prozent der Einwohner des Kontinents sich als gläubige Menschen deklarierten, argumentierte der Kirchenvertreter.
Die Heimat Glemps, Polen, wird im Jahr 2004 aller Voraussicht nach der EU beitreten und gilt als Hochburg des Katholizismus.
Auch Papst Johannes Paul II. hat wiederholt, zuletzt in einer viel beklatschten Rede vor dem römischen Parlament, darauf hingewiesen, dass das (christlich-) religiöse Erbe Europas in der künftigen EU-Verfassung verankert werden müsse. Und wenn Österreichs Kardinal Christoph Schönborn am heutigen Montag in Brüssel mit EU-Kommissionspräsident Romano Prodi zusammentreffen wird, stehen zwar Angelegenheiten des Mitteleuropäischen Katholikentags 2003/2004 im Vordergrund: Mit Sicherheit wird es dabei auch um das spirituelle Fundament eines künftigen Europa gehen.
"Gott als Quelle von Wahrheit (. . .), Güte, Schönheit"
Wörtlich soll nach den Vorstellungen der Europäischen Volkspartei die Präambel zur künftigen EU-Verfassung mit den Worten anheben: "In dem Bewusstsein ihres geistig-religiösen Erbes..." Außer diesem Passus enthält der EVP-Entwurf auch ein Verfassungskapitel zu Zielen und Werten. Darin heißt es: "Die Werte der Union schließen die Werte derjenigen ein, die an Gott glauben als Quelle von Wahrheit, Gerechtigkeit, Güte und Schönheit sowie diejenigen, die einen solchen Glauben nicht teilen ..." Die EVP hat sich dabei wortwörtlich an der neuen polnischen Verfassung orientiert, in der ein entsprechender Passus bereits verankert ist.
Das sozialdemokratische, liberale und grüne Lager des EU-Reformkonvents teilt diese Prämisse - wenig überraschend - nicht. Nur die strikte Trennung von Staat und Kirche könne die Grundlage der künftigen europäischen Verfassung sein, wird argumentiert. Man führt ins Treffen, dass das Christentum mitnichten die einzige Kraft sei, die Europa geformt habe. Aufklärung, Rationalismus, Respekt vor den Menschenrechten und Demokratie seien vielmehr die Werte, die Europa ausmachten. Die Brüsseler Gegner der vatikanischen Wünsche machen überdies geltend, dass die Zahl jener wächst, die sich von der Religion abwenden. Deutlich abzulesen sei das in der steigenden Zahl der Kirchenaustritte EU-weit.
Ob sich die EVP durchsetzt und in welcher Form, ist schon aus dem Grund nicht ganz unerheblich, da die Verankerung des christlichen Erbes in der EU-Verfassung die künftige Haltung der Gemeinschaft gegenüber der Türkei, ein islamisches Land, das massiv in die EU drängt, beeinflussen könnte. Das religiös-europäische Erbe festzuschreiben laufe darauf hinaus, mutmaßen die Laizisten in Brüssel, sich gegenüber dem Islam abzugrenzen. Auch islamische Bürger in der EU würden durch jede verfassungsmäßige Verankerung Gottes diskriminiert.
"Gott wird nicht zu halten sein"
In der Zwischenzeit sind allerdings Zweifel aufgekommen, wie ernst es der EVP mit einem Gottesverweis in der EU-Verfassung tatsächlich ist. Ein EVP-Mitglied im Reformkonvent äußerte sich zuletzt jedenfalls skeptisch, was die Chancen auf Erfolg in dieser Sache angehe. Auch habe man sich unter der Hand bereits mit einer EU ohne dem Herrn abgefunden: "Gott wird nicht zu halten sein", so das Konventsmitglied.
Verweise auf Gott gibt es bereits in den Verfassungen zahlreichen westlichen Demokratien: So wird er in der deutschen, griechischen und der irischen Verfassung - und in jener der USA erwähnt. In den meisten Verfassungen der EU-Mitgliedsstaaten, darunter Österreich, Frankreich und Italien, wird aber nicht auf Gott Bezug genommen.