Zum Hauptinhalt springen

Zypern: Neue Auffassung von Nation als Lösung

Von Martyna Czarnowska

Europaarchiv

Byzantologe Tzermias im Interview. | "Es gab Unrecht auf beiden Seiten." | "Wiener Zeitung":Seit drei Jahren ist Zypern EU-Mitglied, aber der seit mehr als 30 Jahren währende Konflikt um die Insel ist ungelöst. War es ein Fehler, Zypern als geteiltes Land in die Union aufzunehmen?


Hinweis: Der Inhalt dieser Seite wurde vor 17 Jahren in der Wiener Zeitung veröffentlicht. Hier geht's zu unseren neuen Inhalten.

Pavlos Tzermias: Es war kein Fehler, sondern eine Verpflichtung, weil die EU Zypern als einheitlichen Staat anerkannt hat. Juristisch gehört auch das ganze Territorium zur Republik Zypern. Die Teilung ist Folge der türkischen Invasion 1974 und völkerrechtswidrig. Die Türkei - neben Griechenland und Großbritannien eine Garantiemacht - hat von ihrem Interventionsrecht Gebrauch gemacht. Doch sie hätte den Status quo von vor dem Einmarsch wiederherstellen müssen. Das hat sie nicht.

Die Teilung ist dennoch eine Tatsache, wie die Isolation des Nordens, den nur die Türkei als Staat anerkennt.

Die so genannte Isolation ist die Folge der Invasion. Übrigens: Wo ist die Isolation? Engländer kaufen massenhaft Land im Norden, Reisebüros veranstalten Tagesausflüge dorthin. Türkische Zyprioten kommen in den Süden zum Arbeiten.

Aber ein türkischer Zypriote kann zum Beispiel nicht seine Zitronen direkt in die EU exportieren.

Dennoch darf keine wirtschaftliche Maßnahme für die türkischen Zyprioten zur Anerkennung des Pseudostaates führen. Denn das wäre völkerrechtswidrig.

Wäre die Teilung der Insel einzementiert, wenn die Türkei nicht der EU beitritt?

Athen und Nikosia sind ja gegenüber dem EU-Beitritt der Türkei viel großzügiger als Paris oder Berlin. In Griechenland gibt es viele Menschen, die die Befürchtung haben, dass die Türkei bei einer Ablehnung aggressiver in der Ägäis vorgehen würde. Und in Zypern gibt es die Angst, dass die Teilung verewigt würde.

Eine Möglichkeit zur Wiedervereinigung zeigte der - abgelehnte - UN-Plan des ehemaligen Generalsekretärs Kofi Annan. Er berief sich auf das Schweizer Modell.

Das ist eine falsche Bezeichnung. Der Annan-Plan sah nur eine begrenzte Vermischung der Volksgruppen vor. In der Schweiz aber, wo ich lebe, ist zum Beispiel der Kanton Genf französisch-sprachig. Doch es ist nicht verboten, dass eine Million Deutsch-Schweizer sich dort niederlassen. Der Annan-Plan legte auch fest, dass, wenn sich die zwei Volksgruppen nicht einigen könnten, ausländische Richter die Lösung finden sollten. Das würde kein Schweizer akzeptieren! Ich plädiere seit langem für eine Lösung, die beide Gruppen gerecht behandelt.

Das wollen ja alle.

Das Zypern-Problem kann nur gelöst werden, wenn beide Seiten eine neue Auffassung von Nation wahrhaben: nicht auf Sprache oder Religion basierend, sondern als Willens- oder Konsensnation. Da wäre die Schweiz ein Beispiel. Meine Frau etwa ist Deutsch-Schweizerin, aber keine Deutsche. Die Italienisch-Sprachigen fühlen sich ebensowenig als Italiener.

Was würde das für Zypern bedeuten?

Dass es den Willen gibt, politisch zusammenzuarbeiten, unabhängig, ob jemand griechischer oder türkischer Zypriote ist. Das könnte die EU fördern. Es ist jedoch noch ein weiter Weg. Wir haben zwar eine Europäische Union, aber ist unsere Gesinnung sehr europäisch? Im Moment ist die EU leider mehr ein wirtschaftliches Gebilde denn ein politisch-ideologisches.

Sind die griechischen und türkischen Zyprioten bereit, eine Willensnation zu bilden? Immerhin ist ihr Verhältnis von gegenseitigen Schuldzuweisungen belastet.

Die Schuldzuweisungen sind sicher falsch und sollten nach Möglichkeit vermieden werden. Es ist Unrecht auf beiden Seiten geschehen. Dennoch dürfen wir nicht vergessen, dass das größte Unrecht 1974 geschah. Damals mussten rund 200.000 Menschen aus dem Norden fliehen. Und die Türkei hat noch immer Truppen im Norden.

Über "Die Zypernfrage - Hintergründe und Zukunftsperspektiven" diskutiert Pavlos Tzermias am heutigen Dienstag mit dem Politikwissenschafter Peter Gerlich: Aula der Universität Wien, Uni Campus, Altes AKH, 19 Uhr.