Ökonom Christensen: "Auch Österreich ist ein klassischer Schattenfinanzplatz."
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"Wiener Zeitung": Gehört Zypern zu den Steueroasen?
John Christensen: Für uns ist Zypern eine klassische Steueroase, die vor allem in der Geldwäsche durch Einzelpersonen engagiert ist - weniger als Unternehmensstandort. Auf dem Papier scheint Zypern sogar recht gut, was die Gesetze zur Überwachung und Transparenz betrifft. Aber die Umsetzung ist außerordentlich schwach. Deshalb ist Zypern ein Haupteinfallstor für gesetzeswidrige Geldströme nach Europa geworden.
Wie kann es mit Zyperns Finanzsektor weitergehen?
Zypern hat jetzt ein gravierendes strukturelles Problem. Die großen Banken und Finanzinstitutionen sind überhaupt nicht vorbereitet, der Finanzierung der heimischen Realwirtschaft zu dienen sowie kleine und mittlere Unternehmen aufzubauen. Sie bieten vor allem Offshore-Services an, also etwa Dienstleistungen im Vermögensmanagement. Unternehmertum aufzubauen, dazu sind sie gar nicht in der Lage.
Dann wird der Umbau der Wirtschaft, den der überbordende Finanzsektor erst nötig gemacht hat, durch diesen zusätzlich behindert?
Es ist tragisch für Zyperns Bevölkerung: Durch das viele Kapital, das ständig in die Finanzzentren der Insel geströmt ist, wurde die Kostenbasis völlig aufgeblasen - nicht nur bei Immobilien, sondern quer durch die Wirtschaft. Die Arbeitskosten sind stark überzogen; das wird eine drastische Anpassung erfordern.
Ein, wie man in Griechenland sieht, schmerzhafter Prozess. Wohin werden sich die Finanzströme aus Zypern künftig verlagern?
Ich kann mir gut vorstellen, dass viele sich nun Destinationen wie der Schweiz, Großbritannien oder den Kronbesitzungen wie Jersey oder den Kaiman-Inseln zuwenden. Andere werden sich in Richtung Dubai und Mittleren Osten orientieren.
In der Debatte über Steueroasen wird vieles durcheinander gewürfelt: von Geldwäsche über Steuerflucht bis hin zur Ausnutzung von lascher Regulierung und Aufsicht. Andere meinen besonders günstige Steuer- und Zinskonditionen oder Finanzplätze, die mit ihrer Verschwiegenheit oder Sicherheit vor rechtlicher Willkür werben. Nicht alles davon ist kriminell - wie hält man das am besten auseinander?
Das ist eine wichtige Unterscheidung - etwa zwischen Finanzplätzen, die von Unternehmen aufgesucht werden, um Steuern zu vermeiden, wie Irland oder die Niederlande - und solchen, die vorrangig für kriminelle Aktivitäten wie Geldwäsche herangezogen werden. Da reden wir über Plätze wie die Britischen Jungferninseln oder, keine Frage, auch Zypern. Wir bevorzugen im Übrigen die Bezeichnung Schattenfinanzplatz ("secrecy jurisdiction").
Gibt es auch legitime Steueroasen? In Zypern war zunächst geplant, die Spareinlagen zu besteuern. Da könnten sich viele Europäer Gedanken darüber machen, gesetzeskonform versteuertes Vermögen vor staatlichen Zugriffen schützen zu wollen - und eventuell in die Schweiz zu transferieren.
Eine hochinteressante Frage. Die individuellen Motive kann man nachvollziehen. Aber sollten die reichen Eliten aus aller Welt ihr Geld in die Schweiz transferieren, hätte das einen makroökonomischen Effekt - global und natürlich für die Schweiz, wo die Notenbank gegensteuern müsste.
Aber, noch wichtiger: Sie werden dadurch keinen Druck auf ihre eigenen Aufsichtsbehörden ausüben. Wenn etwa alle afrikanischen Eliten ihr Vermögen nach Europa oder Nordamerika verlagern, sind diese nur daran interessiert, ihre eigenen Interessen zu schützen, nicht jene der Mehrheit. Das hat gravierende Auswirkungen, nicht nur makroökonomisch, sondern auch demokratiepolitisch.
Betrachten Sie Österreich eigentlich auch als Steueroase?
Österreich ist wegen des Bankgeheimnisses auf der Liste und weil es dem automatischen Informationsaustausch nicht zustimmt. Ja, wir betrachten Österreich als klassische Steueroase oder als Schattenfinanzplatz.
John Christensen
Der Brite ist Entwicklungsökonom und Direktor des Tax Justice Network (Netzwerk Steuergerechtigkeit) in London. Davor war er selbst als Steuer- und Wirtschaftsberater der Kanalinsel Jersey tätig.