Zum Hauptinhalt springen

Zyprioten bleibt nur noch das Beten

Von Ferry Batzoglou, Nikosia

Politik

Verzweiflung macht sich in der Bevölkerung breit - viele beten.


Hinweis: Der Inhalt dieser Seite wurde vor 11 Jahren in der Wiener Zeitung veröffentlicht. Hier geht's zu unseren neuen Inhalten.

Nikosia. Berstend voll ist die orthodoxe "Panagia Chryseleousa"-Kirche im gutbürgerlichen Ort Strovolos bei Nikosia beim Gottesdienst an diesem Sonntagmorgen - wie alle Kirchen im krisengeplagten Zypern."Ich habe gestern die ganze Nacht kein Auge zugedrückt. Jetzt fühle ich mich wieder etwas besser, erleichtert", sagt Maria Prodromou nach dem Kirchengang. Wie Maria besinnen sich viele Zyprioten in diesen dramatischen Tagen auf den Glauben an Gott. Selbst die Kinder ahnen nach dem Gottesdienst Böses, wenn sie an die Zukunft Zyperns denken."Wir werden hungern. Ich will nicht, dass meine Eltern ihren Job verlieren und wir nicht mehr die Rechnungen für Strom und Wasser bezahlen können. Vielleicht verlieren wir unser Haus. Das alles macht mir Angst", sagt die 12-jährige Lula.

Der anfänglichen Wut folgen jetzt die Agonie, aber auch die Verzweiflung. Kein Wunder: Das Land ist in höchster Not, es steht am Abgrund. Seit über einer Woche sind alle Geldinstitute auf der malerischen Mittelmeerinsel schon zu. Aus Angst vor einem Banken-Sturm sah sich Zyperns Regierung schlagartig zu dem drastischen Schritt gewungen, nachdem die Eurogruppe eine Zwangsabgabe auf alle Spar- und Termineinlagen beschlossen hatte. Am vorigen Dienstag katapultierte Zyperns Parlament noch ein schallendes Nein zur Zwangsabgabe in Richtung Brüssel. Doch die EU bleibt hart. Die Formel lautet: Ohne Zwangsabgabe gibt es keinen Hilfskredit. Aber: Ohne Hilfskredit ist Zypern bankrott.  Am späten Freitagabend beschloss das Parlament zur Verhinderung einer massiven Kapitalflucht schon weitreichende Kapitalverkehrskontrollen. Demnach gelten bis auf Weiteres Beschränkungen bei Geldabhebungen sowie Beschränkungen oder gar Verbote für Konto-Eröffnungen, den bargeldlosen Zahlungsverkehr und Überweisungen ins Ausland. So wird der allenthalben befürchtete Banken-Run wohl ausbleiben. Eines ist jedenfalls sicher: Viel Geld werden die Sparer nicht abheben können.

Russische Gelder als rotes Tuch
Fakt ist auch: Auf die Kleinsparer hat es die potentielle Geldgeber-Troika aus EU, EZB und IWF auch gar nicht abgesehen. Schon alleine die jüngste Ankündigung einer Zwangsabgabe hat nach einhelliger Einschätzung in Zypern aber ausgereicht, um das eigentliche Troika-Ziel zu erreichen: Zyperns überbordenden Bankensektor radikal zu stutzen."Das Kind ist schon in den Brunnen gefallen", ist von Finanzexperten in Nikosia dazu zu hören. Im Kern soll das bis dato herrschende Geschäftsmodell des Inselstaates, ein internationaler Finanzplatz mit der gebotenen Glaubwürdigkeit zu sein, auf einen Schlag abgewickelt werden. Ein rotes Tuch für die Zypern-Retter: Die auf Zypern deponierten russischen Gelder.

Aber: Das Gros der Zyprioten will sich mit dieser Troika-Strategie, nicht abfinden. Einer, der besonders trotzig gegen den Tod der einheimischen Finanzindustrie kämpft, ist ausgerechnet ein Kirchenmann: Zyperns mächtiger Erzbischof Chrysostomos II. Das agile Kirchenoberhaupt, das sich zuletzt offen für die Option eines Euro-Austritts stark macht, kündigte am Sonntag an, er werde für den Donnerstag russische Unternehmer, die im Inselstaat bereits Aktivitäten entfalten, zu einem Treffen einladen."Ich will dafür werben, dass sie nicht das Land zu verlassen", sagte er. Er wolle die Russen mit dem Argument überzeugen, dass sie in den vergangenen Jahren deutlich höhere Sparzinsen eingestrichen hätten. Mit der Zwangsabgabe würden die Zinserträge einiger Jahre zwar auf einen Schlag vernichtet. Chrysostomos:"Aber in anderen Ländern tendieren die Sparzinsen schon seit langer Zeit gegen Null". Ob sich die russischen Unternehmer von Chrysostomos' Worten überzeugen lassen werden, bleibt abzuwarten. Sergey, der zwar ein in Limassol lebender Russe, aber beileibe kein Oligarch ist, sagt jedenfalls: "Sobald die Banken öffnen, ziehe ich mein Geld ab und bringe es woanders hin - ausserhalb Zyperns."

Rufe nach Troika-Rauswurf
Derweil bläst Zyperns frisch gewähltem Staatspräsidenten Nikos Anastasiadis im Inland der Wind ins Gesicht. Pikant: Die Rufe nach einem Troika-Rauswurf werden hierzulande immer lauter."Die Zeit ist reif, sich völlig von der Troika loszuhaken. Sie hat gezeigt, dass sie nicht mit Wohlwollen nach Zypern gekommen ist. Es ist Zeit, dass sie Zypern wieder verlässt", erklärte Stavros Malas von der linken Akel-Partei. Malas hatte bei der Stichwahl um das Präsidentenamt gegen Anastasiadis 42 Prozent erhalten. Auch der Kandidat Georgios Lillikas, der im ersten Wahlgang immerhin 20 Prozent der Stimmen auf sich vereinte, forderte Anastasiadis dazu auf, kein Abkommen mit der ungeliebten Troika zu schliessen.

Unterdessen haben auch Griechenlands Troika-Gegner im Zuge des Zypern-Thrillers neuen Auftrieb erhalten. Demonstranten im Athener Zentrum bekundeten ihre Solidarität zu Zypern. Ferner forderte Griechenlands führende Oppositionspartei "Bündnis der Radikalen Linken" (Syriza) die Athener Regierung unter Premierminister Antonis Samaras dazu auf, bei der für Sonntag anberaumten Sondersitzung der Eurogruppe mit einem Nein für eine Zypern-Zwangsabgabe zu stimmen. Obendrein übte Ex-Minister Prokopis Pavlopoulos von der konservativen Regierungspartei Nea Dimokratia harsche Kritik an den Zypern-Rettern."Wenn Deutschland starrsinnig diese Krisenpolitik fortsetzt, dann wird sich in Europas Süden nicht nur die Rezession weiter verschärfen. Es wird zudem zu Explosionen kommen. Das wird die Eurozone nicht überleben", sagte er.

Derweil wurde im 900 km entfernten Zypern eine ab Dienstag vorgesehene Rekrutenübung kurzerhand abgesagt. Die Begründung der zypriotischen Streitkräfte: Die Krise im Land. Unweigerlich erinnerte man sich auf der Mittelmeerinsel an den Juli 1974, als die Invasion der Türken in den Norden des Eilands die einheimischen Streitkräfte unvorbereitet traf. In Nikosia gilt in diesen Tagen ohnehin: Da hilft nur noch beten.