Die spektakulären Angriffe von Klimavandalen auf berühmte Kunstwerke gehen von der Voraussetzung aus, dass in den Museen wertvolle, weil originale Gemälde an der Wand hängen, deren einzigartige Aura genügt, um mit einer auch nur angedrohten Zerstörung ein Höchstmaß an Aufmerksamkeit zu erzeugen. Dieser Sonderstatus der attackierten Bilder und die Tatsache, dass sie als Kulturgüter in einem öffentlichen Raum ausgestellt werden, erlaubt es, sie in Geiselhaft zu nehmen, um damit Maßnahmen gegen den Klimawandel zu erpressen. Der Spuk hätte schnell ein Ende, bewahrheitete sich das Gerücht, dass die Kunsthäuser zumindest ihre kostbarsten Schätze dem Publikum als perfekte Kopien präsentieren. Sich an solche Duplikate zu kleben, ergäbe wenig Sinn und produzierte keine Schlagzeilen.

Der Philosoph Walter Benjamin hatte schon in den 1930er Jahren vermutet, dass die technische Reproduzierbarkeit von Kunst zum Verlust ihrer Aura des Einmaligen und Besonderen führen würde. Er hat sich geirrt. Je leichter es ist, Kunstwerke zu vervielfältigen, desto größer wird die Sehnsucht nach dem Original. Die weltweiten Kulturreisen zehren davon ebenso wie die Kunstfeinde der "Letzten Generation". Doch nun zeichnet sich eine Entwicklung ab, die Benjamin recht geben könnte: Die Künstliche Intelligenz lernt malen und beginnt, den alten und neuen Meistern Konkurrenz zu machen.
Die Meldung, dass es zunehmend intelligentere Programme gäbe, die aufgrund knapper Hinweise imstande wären, in wenigen Sekunden herrliche Kunstwerke im Stil jedes beliebigen Malers zu produzieren, führte in den letzten Tagen zu heftigen Debatten darüber, ob menschengemachte Kunst überhaupt noch eine Zukunft habe. Keine Frage, für jenes Genre, das Theodor W. Adorno abschätzig "Hotelbildmalerei" genannt hatte, taugen die klugen Algorithmen allemal. Und eine Zeit lang wird es sicher Spaß machen, mit diesen Möglichkeiten zu experimentieren. Fraglich allerdings, ob dies ausreicht, um uns in jenem existenziellen Sinn zu berühren, wie es großer Kunst immer wieder gelingt.
Natürlich ist es denkbar, dass bildende Künstler die Fähigkeiten der Künstlichen Intelligenz wie ein neues Werkzeug nutzen. Dann bliebe aber der Mensch der Schöpfer, seine Phantasie, seine Fragen, seine Nöte, seine Erfahrungen, seine Einfälle drückten sich im computergestützten Schaffensprozess aus. Dazu kommt, dass der Wille zum Schein, den Friedrich Nietzsche hinter aller Kunstanstrengung vermutete, der Wille zur Fiktion und zur Illusion, ja auch das dazugehörige Vergnügen an der Lüge den malenden Maschinen fehlen. Würde man ihnen diese Lust an der Täuschung einprogrammieren, könnten wir mit den Apparaten nicht einmal mehr vernünftig rechnen. Schlimm genug, dass diese digitalen Bildgeneratoren auf der Suche nach geeigneten Motiven im Netz auch auf pornographische Bilder stoßen und diese zum Entsetzen ihrer Nutzer genauso emotionslos verarbeiten wie andere Sujets.
Der Einbau von Moralfiltern in derartige Applikationen ließ nicht lange auf sich warten. Stromlinienförmige Kunst, die nur das Gefällige kennt, war aber noch nie
interessant.
Zur Verteidigung der aktuellen Kunstbeschmutzungsaktionen wird gern eine Frage gestellt: Was ist wichtiger - Kunst oder Leben? Darin offenbart sich ein fundamentales Missverständnis. "Es ist die Schönheit, durch welche man zur Freiheit wandert." Vielleicht sollten sich Klimaaktivisten und Digitalisierungseuphoriker bei Gelegenheit an diesen Satz Friedrich Schillers erinnern. In den demonstrativen Attacken auf Kunst liegt ebenso wie in ihrer Überantwortung an Maschinen eine Verachtung des Humanen, das angesichts drohender Katastrophen doch eigentlich gerettet werden soll.