Am 24. Februar – genau am Jahrestag des Angriffskrieges von Wladimir Putins Russland gegen die Ukraine tagt die Parlamentarischen Versammlung der OSZE (Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa) in Wien. "Wir beschäftigen uns jetzt mit dem Erhalt des Visums und bereiten uns auf die Reise vor. Ich denke, alles wird normal", sagte der Vizechef des Außenausschusses im russischen Föderationsrat Wladimir Dschabarow Freitag der Zeitung "Parlamentarskaja Gaseta". Österreich habe versichert, allen russischen Abgeordneten Visa zu erteilen.

Thomas Seifert ist stellvertretender Chefredakteur der "Wiener Zeitung".
- © WZAlles Normalnyy? Nicht wirklich.
Im Vorfeld der OSZE-Tagung gibt es heftige Proteste daran, dass Österreich russischen Kriegstreibern, Scharfmachern und Putin-Lakeien wie Pjotr Tolstoi, dem Vize-Vorsitzenden der russischen Duma ein Visum zum Besuch der Tagung in Wien ausstellt. Tolstoi ist Vertrauter von Präsident Wladimir Putin und Urenkel des Schriftstellers Leo Tolstoi. Der Leiter des Außenausschusses in der Duma, Leonid Sluzki steht – wie Tolstoi und fast alle anderen der insgesamt 15 offiziellen russischen Mitglieder der Parlamentarischen Versammlung – auf der EU-Sanktionsliste. Sie alle werden trotzdem Visa zum Besuch der Tagung in Wien erhalten.
Bei den letzten beiden parlamentarischen Versammlungen verweigerten die Gastgeberländer Großbritannien und Polen der russischen Delegation die Visa. Abgeordnete aus 20 OSZE-Ländern forderten in einem Schreiben nun die österreichische Bundesregierung auf, die Visa-Anträge der russischen Delegation abzulehnen.
Das Außenministerium hält dennoch an der Einreisegenehmigung an die Russen für die Sitzung am 23. und 24. Februar in Wien fest und begründet dies mit Verpflichtung des sogenannten Amtssitzabkommens der OSZE. Gemäß dieses völkerrechtlich bindenden Abkommens verpflichte sich Österreich nämlich dafür zu sorgen, dass Mitglieder von Delegationen von OSZE-Teilnehmerstaaten bei ihren Reisen zum und vom Amtssitz der OSZE nicht behindert werden.
Der Völkerrechtsexperten der Universität Innsbruck, Peter Hilpold, erklärte in einem Interview mit der Nachrichtenagentur APA: "Österreich bewegt sich hier zwischen Skylla und Charybdis." Denn Wien hätte nach Ansicht des Experten zwar den völkerrechtlichen Handlungsspielraum, der russischen Delegation die Einreise zu verweigern, müsste aber die völkerrechtliche Verantwortung dafür übernehmen. Das Amtssitzabkommen zwischen Österreich und der OSZE, auf das sich Außenminister Alexander Schallenberg (ÖVP) zuletzt auch wieder in einem Interview mit der ZiB2 beruft, bietet nach Ansicht Hilpolds sehr wohl Spielräume. Denn Österreich sei nur verpflicht, Mitgliedern von Delegationen von OSZE-Teilnehmerstaaten zur OSZE die Einreise "zu erleichtern". "'Erleichtern' bedeutet also nicht unbedingt eine Verpflichtung zur Ausnahme von Sanktionen", so der Völkerrechts-Experte Hilpold.
Was also tun?
Die Argumentation Schallenbergs hat etwas für sich: Österreich hat als OSZE-Amtssitz tatsächlich eine hohe Verantwortung: Denn der Sinn von Diplomatie ist nicht ein amikales Treffen eines Freundeskreises, sondern Diplomatie bietet einen – halbwegs zivilisierten – Rahmen zur harten Austragung von Konflikten. Im UN-Hauptquartier am East River reden die Diplomaten ja auch mit ihren russischen Kolleginnen und Kollegen. Bei der UN-Generalversammlung trat Russlands Außenminister Sergei Lawrow ans Rednerpult – selbstverständlich konnte er Ende September 2022 in die USA einreisen, um in New York vor der Generalversammlung zu sprechen.
Die Welt tut gut daran, diplomatische Kanäle offenzuhalten – selbst wenn es um Schurkenstaaten und aggressive Mächte geht. Denn für einen Frieden in der Ukraine braucht es diplomatische Lösungen. Und Österreich tut gut daran, sich als Ort, wo man einander treffen kann, zu präsentieren. Immerhin war Österreich auch ein guter Gastgeber für Gespräche zwischen dem Iran und den P5+1 (die Permanenten Sicherheitsratsmitglieder China, Frankreich, Russland, das Vereinigte Königreich und die USA plus Deutschland), wobei der Iran und die USA keine diplomatischen Beziehungen miteinander pflegen.
Freilich: Es fühlt sich unbefriedigend und ungerecht an, die russischen Kriegstreiber nicht zu ächten und sie – trotz Sanktionen – nach Österreich einreisen zu lassen.
Man kann aber davon ausgehen, dass sich die russischen Abgeordneten von ihren Kolleginnen und Kollegen anhören lassen müssen, was die Welt von Russlands Aggression hält.
Dazu kommt, dass in Österreich Demonstrationsfreiheit herrscht und all jene, die ihrem Protest gegen die Anwesenheit russischer Politiker Gehör verschaffen wollen, das am Heldenplatz tun können. Schallenberg wird die anreisenden russischen Abgeordneten - aus guten Gründen - nicht zu unerwünschten Personen erklären, aber Demonstranten können und sollen den Duma-Abgeordneten signalisieren, dass sie in Wien nicht erwünscht sind.