Obwohl die meisten wissenschaftlichen Erkenntnisse über das Blut, seine Funktionen und seine Bestandteile noch recht jung sind – erst im 17. Jahrhundert entdeckte der britische Arzt William Harvey die Systematik des Blutkreislaufes, 1901 entschlüsselte der Wiener Arzt Karl Landsteiner die Blutgruppen –, reicht das intuitive Wissen um die Wichtigkeit der roten Flüssigkeit bis zu den Anfängen der Menschheit zurück.

Wer zu viel Blut verliert, stirbt. Geburt und Tod, Krankheit und Gesundheit – Blut ist immer entscheidend, wenn es um Leben oder Tod geht, beobachtete man bereits seit Anbeginn der Menschheit. Wen wundert es da, dass wir dieser Flüssigkeit einen besonderen Status zuordneten? Blut war der Lebenssaft schlechthin: ohne Blut kein Leben. Was lag also näher, als dem Blut auch in der Mythologie einen besonderen Platz zuzugestehen?

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Blutgierige Götter

Blutopfer gehören zu den frühesten kultischen Handlungen des Menschen. Der Lebenssaft wurde den Göttern und Dämonen geopfert, um sie wohlwollend zu stimmen. Überall auf der Erde und zu allen Zeiten gab es daher Götter oder gottähnliche Wesen, die sich mehr oder weniger von Blut "ernährten". Ob dies nun Kali, die indische Göttin war, die mit wahren Blutorgien ihren Herrschaftsanspruch unterstrich, oder ob man im alten Ägypten oder Mesopotamien, bei den Mayas oder anderen frühen Kulturen die Verbindung zu den Göttern oder Ahnen mit Blut einleitete: Blut begleitet seit Anbeginn der Menschheit unsere mythische Zwiesprache mit höheren Wesen.

Auch das Christentum gab sich in seinen Ursprüngen weit blutiger als heute: Da wurden Tieropfer gebracht, um Gott milde zu stimmen, Sünden mit Blut abgewaschen – und nicht nur Tierblut, auch jede Menge Menschenblut musste fließen, um die noch junge Religion zu etablieren.

Geopfert wurde fast alles: Tiere und Menschen, die eigenen Erstgeborenen, ganze Völker und sogar der Sohn Gottes – natürlich immer zum höheren Zweck. Bis heute betont man beim christlichen Abendmahl – wenn auch nur symbolisch – die "blutige" Verbindung zu Jesus Christus. Dies wurde übrigens am Anbeginn des Christentums im antiken Rom von Außenseitern oft wortwörtlich genommen – die Folgen waren blutige Missverständnisse …

Karfreitag – ein blutiger Feiertag

Der Karfreitag vor Ostern ist für die Christen einer der höchsten Feiertage. An ihm wird des Kreuztodes Jesu Christi gedacht, der freiwillig die Schuld aller Menschen auf sich genommen haben soll. Durch seinen Tod und die darauf folgende Auferstehung wird allen Menschen Sündenvergebung und damit die Errettung vom Tod sowie ewiges Leben versprochen, fasst Wikipedia kurz zusammen. Wie kaum ein anderer Tag im Verlauf des christlichen Jahreszyklus stellt der Karfreitag damit ein bombastisches Konglomerat von Opfer- und Blutsymbolik dar: Leben und Tod, Blutopfer und Sühne, göttliches Leid und menschliche Erlösung bis hin zum Versprechen eines Lebens nach dem Tode – alles ist hier vereint.

Von außen betrachtet war der christlichen Religion mit der Karfreitagsgeschichte ein geschickter Kunstgriff gelungen: Man bediente sich aus dem Repertoire archaischer Ängste und Symbole, verband diese mit dem Versprechen ewigen Lebens und band die Gläubigen mit Altbekanntem, wenn auch Unbewusstem, geschickt an die christliche Religion.

Erotik und Blut

Wenn von Blut die Rede ist, ist oft auch die Erotik nicht weit. Allerdings handelt es sich hierbei um eine dunkle, ungezähmte, oft als pervers empfundene Erotik, die kaum jemals ans Tageslicht gelangen darf. Sie existiert nur im Verborgenen, da sie gesellschaftlich niemals, zu keiner Zeit, nicht einmal heute, anerkannt worden wäre und wird.

Die dunklen Abgründe der menschlichen Seele sind voller blutrünstiger Phantasien, die nichts gemein haben mit dem Bild, das die Menschen sich und ihrer Umwelt sonst präsentieren (dürfen). Unheimliche Geschichten über die unschönen, morbiden, abgründigen Seiten des Menschen, seine Ängste und Obsessionen, seine seelischen Nöte und Abwege boten den Autoren der Romantik ein weites Feld, konstatiert Simone Stölzel in ihrem umfangreichen Werk "Nachtmeerfahrten" (s. Infokasten). Diese Geschichten haben wenig gemein mit oberflächlich-harmloser Romantik: Weitab von institutionalisierten Candlelight-Dinners oder der scheuen Annäherungen zweier Liebender vereinen sich hier ungezähmte Lust und perverse Begierde mit Gewalt und Erotik, wird Unerlaubtes ausgelebt und den Dämonen der dunklen Seite der menschlichen Seele Raum gegeben.

Dennoch geht es dabei nie um blanke Pornografie, vielmehr werden die abgründigen Begierden verschlüsselt auf den Leser losgelassen, treiben sich im Halbdunkel der menschlichen Wahrnehmung herum. Gerade dadurch wird das Grauen, das sie auslösen, umso übermächtiger, spricht unser Unterbewusstes an und fasziniert dauerhaft.

Die Dämonen bekommen annähernd menschliche Körper und Gesichter und suchen so ihre Umgebung heim: Gespenster und böse Zauberer, Dämonen und Doppelgänger bevölkern zunächst vor allem die Geschichten der Romantik – und zwar mit Erfolg: Von Lord Byron über Goethe bis E.T.A. Hoffmann  feierten Vampire einst literarisch ihre fröhlichen Urstände.

Die Figur des Vampirs bleibt aber bis heute faszinierend, sie ist uns ebenso vertraut wie fremd. Letztlich kleidet der Vampir sich einfach in die jeweils zeitgemäße Form, und seine unwiderstehliche erotisch-dämonische Ausstrahlung sorgt dann meist für entsprechende Verkaufszahlen.

Vampire und andere Blutsauger

Denkt man heute an die Gestalt des Vampirs, so schwebt den meisten Menschen die literarische Gestalt von Bram Stokers "Dracula" vor. Obwohl es vor Dracula schon -zig andere Vampire – übrigens waren diese oft weiblichen Geschlechts (z.B. Sheridan Le Fanus "Carmilla" oder Goethes "Braut von Korinth") – gab, gelang Stoker ein bemerkenswerter Kunstgriff: Er bediente sich der blutgierigen Gestalt des Wiedergängers bzw. Vampirs aus dem Volksglauben slawischer Provenienz und hinterlegte diese in Zeiten gesellschaftlicher Umwälzungen mit dem des dekadenten Adeligen, also eines Blutsaugers im übertragenen Sinne, wodurch sie für den Leser der damaligen Zeit eine zusätzliche Sinnhaftigkeit bekam.
Das alles verbrämte der irische Autor dann noch mit der Legende des Walachenfürsten Vlad Tepes (= der Pfähler), der im 15. Jahrhundert mit unzähligen grausamen Pfählungen ins Langzeitgedächtnis der Balkanvölker einging. Der Fürst wurde auch Vlad Draculea, also "Sohn des Drachen" genannt, da sein Vater Mitglied des Drachenordens war. Allerdings bedeutet "drac" auf Rumänisch auch Teufel, was dem Fürsten einen doch recht mehrdeutigen Beinamen einbrachte (der Sohn des Teufels).

Nach Polidoris "Der Vampyr" läutet Stokers "Dracula" dann auch massentauglich ein neues Zeitalter ein: Vom tumben Untoten des Volksglaubens, der lediglich seiner Blutgier folgt, mutiert der Vampir zum exaltierten Adeligen, dessen sublimierte Erotik so manches Frauenherz verunsichert und ihm so ein williges Gefolge beschert.
Wo Dracula auftaucht, wird es schwülstig-erotisch, nicht zufällig ist daher eines seiner ersten Opfer bei der Ankunft in London die lebenslustige Lucy, Freundin der zugeknöpften Mina, der Verlobten des eigentlichen Helden Jonathan Harker. Lucy gibt sich dem Vampir hin, das Ergebnis: Sie wird selbst zur Vampirin, aber nicht lange, denn bald wird ihr die Erotik mit dem Pfahl mit wissenschaftlicher Unbeirrbarkeit wieder "ausgetrieben". Lucy, eine typische Femme-fatale-Figur, muss sterben, stellt sie doch die viktorianische Gesellschaftsordnung in Frage. Dracula hingegen treibt noch eine Weile sein Unwesen und konfrontiert die "Helden" der Geschichte mit ihren verborgenen Gelüsten: Jonathan Harker muss sich auf dem transsylvanischen Schloss des Grafen seinen dunklen Phantasien stellen, es bleibt unklar, ob er dabei zum Vampir wird, Mina wird zwar gebissen, durch die Tötung Draculas scheint sie aber gerettet. Dracula präsentiert sich in Stokers Roman seinen naturwissenschaftlich gut gerüsteten Verfolgern so überlegen, sie haben ihm kaum etwas entgegenzusetzen. Letztlich besiegt die Ratio aber doch den außer Kontrolle geratenen Dämon des Eros, dies scheint die ultimative Formel des Romans zu sein. Das Kochrezept funktionierte jedenfalls so gut, dass es in unzähligen literarischen Variationen immer wieder aufgewärmt wurde – und schließlich auch Filmgeschichte schrieb.

Leinwand-Blutsauger

Vampire sind also mittlerweile attraktiv – auf eine böse, abgründige und dadurch umso interessantere Art und Weise. War die Vampirfigur schon literarisch ein Erfolg, war es nur logisch, dass sie auch auf der großen Leinwand des Kinos groß herauskommen musste. Bereits 1922 suchte Friedrich Wilhelm Murnaus "Nosferatu", noch als Stummfilm, die deutschen Kinos heim. Dabei handelte es sich letztlich um eine unautorisierte Version von Stokers "Dracula", nur dass die Handlung nach Deutschland verlegt und die Protagonisten umbenannt wurden. – Stokers Witwe klagte auf Urheberrechtsverletzung, der Film und alle seine Kopien sollten vernichtet werden. Einige Kopien blieben dennoch erhalten.

"Nosferatu" sollte trotzdem für sämtliche Nachfolgerfilme prägend bleiben, denn immerhin hatte man nie zuvor den Vampiren so unmittelbar ins Gesicht sehen können. Entsprechend groß war die Herausforderung gewesen, den Vampir für das Kino zu visualisieren. Der Regisseur verstärkte das immanente Grauen rund um den Vampir mittels kunstvoller Licht- und Schattenspiele. Erotik und Grauen, tierische Triebhaftigkeit und dämonische Bosheit finden auch in den Naturdarstellungen des Films ihren Niederschlag. Und letztlich muss der Vampir natürlich immer sterben, damit der Kosmos wieder seine Ordnung erlangt. Dass es Murnau im Finale seines Werkes gelingt, dass der Zuschauer trotz der abstoßenden Natur des Nosferatu letztlich Mitleid für die elende Kreatur empfindet, ist dabei wirklich großes Kino.

Die Bildersprache von Murnaus "Nosferatu" beeinflusste jedenfalls die Nachfolgerfilme des Horror-Genres, nicht nur in Europa, sondern auch in den USA. Mit dem Aussehen des Vampirgrafen wurde zwar noch experimentiert, das Repertoire schien fortan aber feststehend: Licht und Schatten, Ratten und Fledermäuse, naive Jungfern und dämonische Verführer, einsame Schlösser und ein grausiges Ende.
War Max Schreck, Murnaus Nosferatu-Darsteller, noch ein Sonderling, gelang es seinen Kollegen, insbesondere Christopher Lee, Bela Lugosi und Klaus Kinski, mit dieser Rolle ewigen Ruhm zu erlangen. Fortan waren sie nicht nur im Kino, sondern auch privat von dämonischer Attraktivität und Unberechenbarkeit. Insgesamt in acht Filmen verkörperte Lee Dracula – er avancierte damit zum Filmbösewicht schlechthin.

Bisheriger Höhepunkt der Dracula-Filme war sicher Francis Ford Coppolas Adaption der Vampir-story von 1992. Gary Oldman gibt darin einen ambivalenten Charakter zum Besten, und selten hat man Dracula so zynisch, exaltiert, intelligent und manipulativ gesehen. Coppola arbeitet in seinem Film sämtliche Komponenten rund um den Vampirglauben und die Vlad-Tepes-Legende ein, die in dieser Form nie in Stokers Roman Eingang gefunden hatten. Der Film erzählt letztlich eine Geschichte voller menschlichen Leids, lässt den Zuschauer Draculas Motive verstehen und ihn doch gleichzeitig auch fürchten. Denn letztlich ist es die Liebe, die das Monster antreibt – pure Romantik, wenn auch eine düstere, grausame Form, was für die Vampirgeschichten typisch ist. Und natürlich funktioniert die Story sowieso, weil sie einfach bestens bekannt und längst in die archaischen Urgründe menschlichen Erinnerns eingegangen ist.

Blasse Nachfolger

Höhepunkte bringen es mit sich, dass es nachher bergab gehen muss. Nicht dass der Vampir fortan von der Leinwand oder aus der Literatur verschwand. Ganz im Gegenteil: Seine Erscheinung erfreut sich nunmehr seit Jahrzehnten geradezu inflationärer Beliebtheit.
Allerdings sind die heutigen Vampir-Adaptionen seltsam blutleer. Um die Erwähnung von Stephenie Meyers Vampirroman-Reihe "Twilight" kommt man in diesem Zusammenhang nicht herum. War Dracula dämonisch-triebhaft, so ist der Vampir Edward hier allenfalls passiv-blutleer, geradezu verklemmt. Die naive Jungfrau Bella fristet eine frustrierte Existenz zwischen der Liebe zum Untoten und dem Unvermögen, sich zur eigenen Erotik zu bekennen. Der Bände füllende verweigerte Liebesakt ist die unausweichliche Folge dieser schwachen Helden. So sublimiert war Erotik im Vampirgenre selten … Meyers Erfolgsromane und die ebenso hysterisch aufgenommene Kino-Filmreihe wurden so zwar zu Teenager-Musts, für nicht mehr pubertierenden Leser und Zuschauer kippt die Endlos-Saga jedoch allzu schnell ins Lächerliche.

Dennoch ist "Twilight" kein Einzelfall im modernen Vampirroman: Die US-Highschool als Tummelplatz für dämonische Begegnungen war schon vor Meyers Saga beliebt. Das Aufeinandertreffen naiver Teenager mit uralten Verführern ist dabei ein gängiger Plot. Die verhinderte Erotik – eine Zwangsbeigabe, wenn sich Lebende und Untote verlieben – ist gerade im Teenager-Alter, an der Schwelle zur selbstbestimmten Sexualität, äußerst beliebt.

Es geht aber auch anders, beweist Charlaine Harris mit ihren Büchern rund um die gedankenlesende Kellnerin Sookie und ihre Sympathien für Vampire und Gestaltwandler. In den Südstaaten der USA angesiedelt, bedient sich die Autorin der dem Vampirstoff immanenten Fremdenfeindlichkeit und dunklen Erotik. Die Vampire feiern hier zwar ihr gesellschaftliches Coming-Out, immerhin müssen sie nicht mehr menschliches Blut trinken, sondern finden mit Kunstblut ihr Auskommen. Das könnte sie vom Raubtier-Image befreien, tut es aber glücklicherweise nicht. Die beherzte, aktive, zupackende Sookie – hier wird der Liebesakt natürlich vollzogen – bleibt damit logischerweise eine ihrer wenigen Sympathisantinnen, wenn auch anfangs nur, weil sie ihre Gedanken nicht anhören muss – sie sind halt so wunderbar still …

Harris’ Vampire sind alles andere als weichgespülte Softies, zeigen gerne ihre Zähne und ihre raubtierhafte Natur. Trotz aller Angepasstheit ist ihnen letztlich nicht zu trauen. Diese Vampir-Konstellation funktioniert so gut, dass auch Harris’ Romane verfilmt werden, allerdings für das Fernsehen. Und dort feiern sie seither in der Serie "True Blood" blutige Urstände zwischen verklemmten, xenophoben Südstaatlern, Gestaltwandlern und anderen zwielichtigen Figuren.

Und doch, sowohl Meyers Edward-und-Bella-Saga wie auch Harris’ Sookie-Stackhouse-Serie hatten bereits erfolgreiche Vorgänger, die ihnen den Weg sowohl ins Bücherregal wie auch ins Kino ebneten: Anne Rices "Vampir-Chroniken", düster-wortgewaltige Erzählungen von mehr und weniger moralischen Vampiren. Der erste Band "Interview mit einem Vampir" erschien bereits 1976, wurde 1994 mit Tom Cruise und Brad Pitt prominent besetzt und verfilmt. Hier wird das gesamte Spektrum möglicher Vampirfiguren aufgeboten, Vergangenheit und Gegenwart wachsen im Verlauf von zehn Bänden zu einer durchgehenden Legende zusammen. Wie kaum einem anderen Autor vor ihr gelang es Rice Popkultur und Vampirlegende zu verbinden und damit Suchtpotenzial für ihre Leser zu kreieren.

Vampire forever

Wie man es auch betrachten mag, der Vampir ist ein Erfolgsgarant, und er bleibt es auch, womöglich besonders in Zeiten, in denen die Rationalität dominiert. Unser beliebtester Dämon der Nacht stellt ein phantastisches Gegengewicht zur allzu gut ausgeleuchteten Realität dar. Wen wundert es da, dass sich Teenager reihenweise in die Untoten verlieben, dass Vampire zu Popstars mutieren und Popstars einen auf Vampir machen? Der Vampir verkörpert Sehnsüchte abseits der Realität: Dämonisch-sexy, unheimlich und übermenschlich stark sucht uns die einstige Alptraum-Gestalt nun eben als Serien-Bestseller heim. – Und er ist immer wieder willkommen, zeigt er uns doch die tiefsten Abgründe unserer Seele, ohne jemals die Macht zu bekommen, realen Schaden anzurichten.

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Zum Thema: Siehe dazu auch das Interview mit dem Historiker Christoph Augustynowicz: Voltaire, ein Vater des Vampirs. Mit Audio-Auszügen zu den Themen "Verwesung", "Vampire als Propagandamittel" und "Dracula in der Steiermark".