
Ein affenähnliches Lebewesen hangelt sich den Baum hinunter, richtet sich auf, schaut sich vorsichtig um und geht ein paar Schritte in Richtung Fluss. Es dreht sich um und grunzt, woraufhin Weibchen und Jungtiere folgen. Immer wieder duckt sich die Familie im hohen Gras – oft halten sich Säbelzahnkatzen und Riesenhyänen in der Nähe des Wassers auf. Eine mögliche Alltagsszene vor circa drei Millionen Jahren, 40 Kilometer westlich des heutigen Johannesburg.
Die affenähnlichen Wesen gehörten zur Art Australopithecus africanus und zählen zu den direkten Vorfahren des Menschen. Seit rund 100 Jahren bergen Paläoanthropologen in der Region derart viele menschliche Überreste, dass das Gebiet als "Cradle of Humankind" – Wiege der Menschheit – bekannt wurde. 1999 deklarierte die Unesco 25.000 Hektar mit 15 größeren Grabungsstätten zum Weltkulturerbe.
Nirgendwo sonst auf der Welt kann man der Geschichte der Vorfahren des Menschen so nahe kommen. Die für Touristen zugänglichen Sterkfontein-Höhlen – bis heute eine der produktivsten Ausgrabungsstätten – und das Besucherzentrum Maropeng (ein Setswana-Wort für "Rückkehr an unseren Ursprungsort") sind von Johannesburg aus in einer knappen Stunde erreichbar. Gleiches gilt für die Ausgrabungsstätte Drimolen, die allerdings nur in Begleitung eines Wissenschafters besucht werden kann.
Heute erklärt Lyzanne Legrange, Master-Studentin in Paläoanthropologie, ihren Zuhörern die geologischen Besonderheiten der Gegend um Drimolen: "Menschliche Knochen bleiben nur äußerst selten Jahrmillionen erhalten. Aber wir befinden uns hier in einer Karstlandschaft, das heißt, unterirdisch existieren viele Höhlen."
Starb ein Tier oder ein Urmensch, so wurden die Überreste manchmal in diese Höhlen gespült, wo sie unter Matsch und Geröll luftdicht begraben wurden – beste Voraussetzungen, um zu versteinern. Um die Höhlen zu finden, suchen Forscher in der ländlichen, sanft gewellten Landschaft nach Bäumen. Diese wurzeln besonders gerne in der Nähe von Höhlen, weil dort das Erdreich lockerer ist.
Lyzanne hat einen Tisch mit den Nachbildungen der wichtigsten südafrikanischen Hominiden-Fossilien vorbereitet. "Das hier ist das Taung-Kind", sagt sie und nimmt vorsichtig einen kleinen Schädel in die Hände. Sie erzählt, dass die Paläontologen Anfang des 20. Jahrhunderts den Ausschuss der Kalkminenbetreiber durchsuchen durften. Dabei entdeckte der Paläoanthropologe Raymond Dart das heute weltberühmte Taung-Fossil, den über zwei Millionen Jahre alten Schädel eines etwa zweijährigen Kindes.