
Raiffeisen und Wildwasserrafting. Das sind die ersten Eindrücke, die sich Ankommenden am Flughafen Tirana bieten. An der Wand vor der Passkontrolle wirbt ein Tourismusunternehmen für Rafting – und Raiffeisen ist in Albanien sowieso überall.
Kurz vor Mitternacht betreten Ulla und ich zum ersten Mal albanischen Boden. Keine sieben Stunden später kriechen wir auch schon wieder aus dem Bett, kaum in der Lage, die Augen offen zu halten. Wieso, frage ich mich, mache ich das nochmal? Wir sind nicht hier, um Urlaub zu machen, zumindest nicht ausschließlich. Wir wollen den letzten Wildfluss Europas sehen, eine Reportage über seine schleichende Zerstörung schreiben, über die korrupte Vergabe von Lizenzen für Wasserkraftwerke. Frühstück gibt es ab sieben, um Viertel nach steht plötzlich Olsi vor uns, ein Biologe von der NGO EcoAlbania, der uns ein Stück unserer Reise begleitet. Wir steigen in seinen alten Ford und fahren los, Richtung Süden, Richtung Vjosa.
Das blaue Herz
"Rettet das Blaue Herz Europas", heißt die Kampagne, die Umweltschützer in ihrem Kampf gegen die Verbauung von Flüssen am Balkan ins Leben gerufen haben. Rund 2700 Wasserkraftwerke sind derzeit geplant, 33 davon an der albanischen Vjosa. Sie fließt vom Nordwesten Griechenlands 272 Kilometer weit durch Albanien bis in die Adria. Die Vjosa, sagt Olsi, ist der letzte intakte Wildfluss Europas, der einzige, der noch frei fließen kann: "Wenn du hier einen Damm baust, tötest du den ganzen Fluss." Fische können dann nicht mehr wandern, Vögel haben kein Refugium mehr, Sediment kann nicht mehr transportiert werden – der Fluss verliert sein natürliches Gleichgewicht.
Nach dreieinhalb Stunden Fahrt flussaufwärts ist der Asphalt zu Ende, auf einer unbefestigten Bergstraße geht es weiter nach Bence. Das kleine Bergdorf liegt am gleichnamigen Nebenfluss und ist eines der schönsten an der Vjosa. Auch an der Bence sind fünf Kraftwerke geplant. "Die Biodiversität ist hier besonders hoch", sagt Olsi, "wir verlieren etwas, das wir noch gar nicht richtig kennen." Zwar gibt es einen 34.000 Hektar großen Nationalpark im Vjosatal, doch das hat die Vergabe von Lizenzen nicht verhindert. Olsi will den Fluss durch einen echten, nach internationalen Standards geprüften Nationalpark schützen. Er sprach mit Premier Edi Rama darüber, dem Sozialdemokraten schien die Idee zu gefallen. Die Lizenzen hat sein konservativer Vorgänger vergeben, Rama kann sie nicht einfach zurücknehmen – nur bei jenen, wo die Vergabe nicht rechtmäßig war. Dass es hier immer mit rechten Dingen zuging, bezweifelt Rama. Auf die Frage, wie es sein kann, dass Lizenzen für Kraftwerke im Nationalpark vergeben wurden, seufzt der Premier: "Damals war alles möglich in Albanien." Mittlerweile sieht es aus, als würde nur das Gebiet flussaufwärts des Ortes Kalivac zum Naturpark erklärt – und auch im Schutzgebiet sollen bestehende Projekte fertiggebaut werden.