Wiener Journal: Frau Professor Felt, sie selbst arbeiteten nach ihrer Dissertation in Wien fünf Jahre lang am Europäischen Kernforschungszentrum Cern in Genf. Für Jungwissenschaftler ist Mobilität ein großes Thema, weil sie sich nicht immer mit der Lebensplanung vereinbaren lässt.
Ulrike Felt: Mobilität eröffnet neue Chancen und hilft, sich zu entwickeln und besser zu positionieren. Leider ist Mobilität heute ab einem gewissen Zeitpunkt zwingend geworden – eine conditio sine qua non. Außerdem wird Mobilität hauptsächlich linear gedacht, das heißt, es geht ums Weggehen und so gut wie nie um das Zurückkommen. Das erzeugt ein großes Gefühl von Unsicherheit.
Wir haben das im Bereich der Lebenswissenschaft erforscht. Viele Wissenschafterinnen und Wissenschafter würden gern nach einigen Wanderjahren zurückkommen zu Familie und Freunden und dies ist kaum möglich. Das ist natürlich frustrierend. Meine Idealvorstellung wäre eine Erhöhung der zirkulären Mobilität. Das heißt, man sollte unbedingt an anderen Orten Erfahrungen sammeln, weiß aber, dass man zurückkommen kann.
Viele junge Leute haben auch einfach Angst, den "Fuß in der Tür" zu verlieren, wenn sie weggehen. Das ist sehr problematisch, weil sie sich dann von diesen Ängsten leiten lassen und nicht von ihren Talenten und Interessen. Zu früh strategisch zu denken ist nicht gut.
Entsteht das nicht auch aus einem wirtschaftlichen Zwang heraus? 2013 wurde das Wissenschaftsministerium abgeschafft und ins Wirtschaftsministerium eingegliedert. Die Universität Wien orientiert sich gerade weg von der Grundlagenforschung hin zu einer "anwendungsoffenen" Forschung.
Die Universität galt lange als der Raum, der von der Wirtschaft kaum berührt war. Heute denken wir viel stärker darüber nach, welche Rolle die Universität in der Gesellschaft hat. Wir erwarten heute, dass die Universität einen Beitrag leistet, der über die Ausbildung von jungen Menschen hinausgeht. Schon in der Art und Weise, wie heute Forschungsprogramme formuliert sind, sieht man, dass die gesellschaftliche Relevanz an Bedeutung gewonnen hat. Ich finde den Begriff "anwendungsoffene Wissenschaft" sehr gut, weil es bedeutet, dass wir uns mehr Gedanken machen müssen, welche Konsequenzen und welchen Beitrag Wissen leistet. Ich würde das a priori nicht als Vereinnahmung sehen, sondern als verstärkte Reflexivität, welches Wissen wir erzeugen und für wen. Das heißt auch, dass wir uns mehr mit gesellschaftlich wahrgenommenen Problemen befassen müssen. Ich wehre mich aber gegen die Vorstellung, dass die Universität vorher ein Elfenbeinturm war. Keine Institution kann sich wirklich abschotten, weil sie einfach durch die Menschen, die dort arbeiten, Teil der Gesellschaft ist.
Es gibt immer noch diese Fiktion vom einsamen Gelehrten, den es, wenn man genauer hinsieht, in Wirklichkeit schon sehr lange nicht mehr gibt. Oder nur sehr vereinzelt. Und solche Nischenforscher finden sich auch in der Industrie. Denn Avantgarde kommt nicht, wenn ich nur die bekannten Problemzonen erforsche, sondern sie entsteht dort, wo Forscher sich in Bereiche vorwagen, die bislang noch nicht gedacht wurden.