Der Galaterturm in Istanbul sticht jedem Touristen ins Auge. Alle wollen hinein, hinauf und oben die ganzen 360 Grad der engen Brüstung abschreiten. Zu Recht, denn jedes Trippelschrittchen, das man in der dichtgedrängten Masse macht, führt zu einem neuen, atemberaubenden Ausschnitt im Panorama des Häusermeers am Bosporus. Weil es so schön ist, windet sich in der Hochsaison eine lange Schlange um den Turm. Nur zentimeterweise ruckeln die Touristen voran, bis sie endlich nacheinander durch die Engstellen des Bauwerks schlüpfen. Der Gänsemarsch am Galater-Turm ist ein Sketch, gespielt vom Massentourismus.

Trotz aller Krisenherde, Wirtschaftsflauten und Preissteigerungen wächst die Zahl der Reisenden viel schneller als die der Sehenswürdigkeiten. Egal, ob Nofretete im Neuen Museum in Berlin, Botticellis Venus in den Uffizien in Florenz, da Vincis Mona Lisa im Louvre zu Paris: Vor sakralen Heiligtümern wie diesen sollte man einmal im Leben gestanden haben, lautet das Credo des globalen Bildungsbürgertums. Die säkulären Pilger nehmen für einen Moment der kulturellen Andacht so viel Ungemach in Kauf wie sonst nur Gläubige für sakrale Hotspots zu heiligen Zeiten. Doch Touristen sind keine Heiligen. Das ist auch der unausgesprochene Verdacht im Londoner Tower, wo man auf einem Förderband an den Kronjuwelen vorbeigezogen wird. Es soll keiner zu lange die Kostbarkeiten bewundern, damit der Besucherstrom nicht noch zäher wird.

Der grassierende Bildungshunger kann auf Dauer nur virtuell gestillt werden, durch Reisen über das Internet. Erste Vorboten sind die 3D-Panoramen, mit deren Hilfe man sich online an so verschiedenen Orten wie der Sixtinischen Kapelle oder dem Grand Canyon umsehen kann. Und Google Street View gibt es immer öfter auch offroad. Doch der mangelnde Realismus solcher Reisen mit der Maus macht erst recht Appetit auf die Originale.

Vielleicht kann ein Projekt aus Wien dabei helfen, das virtuelle Reisen aus der Bewegungsstarre zu erlösen. Vor kurzem hat ein Team der Technischen Universität einen vielversprechenden Prototyp vorgestellt. Das Gerät sieht aus wie ein Laufstall für Erwachsene. Als Basis für den aufrechten Gang dient eine kreisrunde, rutschige Fläche. Der User steht inmitten eines Gestells, dessen Gurte den ihn um die Hüfte herum festhalten. Auf dem Kopf trägt er eine große, dunkle Tauchermaske - eine Brille, die in die Finsternis vor dem Kopf raumfüllende dreidimensionale Bilder einspielt. Wenn man auf der glatten Platte bei seinen Schritten so dynamisch auf der Stelle tritt wie einst Michael Jackson beim Moonwalk, dann entsteht die Illusion einer realistischen Begehung. Beglaubigt wird das Erlebnis durch Nebenwirkungen, die Kulturtouristen vertraut sind. Der "Virtualizer" verspricht schmerzende Füße und einen Muskelkater. Man müsste sich daran gewöhnen, aber es wäre der richtige Weg.