Bad Mitterndorf. Kamil Stoch hat es also tatsächlich geschafft. Schüchtern lächelnd sprang er die Konkurrenz in Grund und Boden. 16 Jahre nach Sven Hannawald holte auch er den Grand Slam des Skisprungs – alle vier Springen innerhalb einer Tournee zu gewinnen.
Wie eine Maschine klopfte er eine Bestmarke nach der anderen in den Schnee. Sein Sieg auf der Paul-Außerleitner-Schanze in Bischofshofen war fast schon erwartbar. Mit stoischer Ruhe saß er am Zitterbalken, ignorierte die tobenden Massen unter sich, ließ sich nicht aus dem Konzept bringen. Und siegte. Der drahtige Pole blieb bei allen Sprüngen voll fokussiert. Er hielt dem medial hochgeschaukelten Druck stand.
Und genau das scheint Stochs Spezialität zu sein. Immer dann, wenn bei anderen die Nerven flattern, ist er am stärksten. Er bewies es 2013, als er sich im italienischen Val di Fiemme zum Weltmeister von der Großschanze kürte. Er bewies es 2014, als er im russischen Sotschi beide Einzel-Olympiatitel gewann. Er bewies es im Vorjahr, als er nach monatelangem Tief erstmals bei der Vierschanzetournee triumphierte. Und er bewies es am Samstag, als er dem extrovertierten Hannawald sein Alleinstellungsmerkmal im Sprungsport nahm.
Stoch zählt – neben Espen Bredesen, Thomas Morgenstern, Matti Nykänen und Jens Weißflog – zu jenen fünf Athleten, die die vier wichtigen Einzel-Titel des Sprungsports (Weltmeister, Olympiasieger, Tourneesieger und Gesamtweltcupsieger) gewannen. Nur einer fehlt ihm noch – der Weltmeistertitel im Skiflug.
Den könnte er sich bereits übernächstes Wochenende sichern. Denn da wird die Weltmeisterschaft in Oberstdorf ausgefochten. Davor steht noch das Fliegen am Kulm in Bad Mitterndorf auf dem Programm (Qualifikation am Freitag).
Für Stoch spricht der sogenannte "Flow". Der Begriff beschreibt das unerschütterliche Gefühl eines Athleten, dass alles stimmt, dass alles funktionieren wird. Nur im "Flow" sind Seriensiege möglich. "Ein guter Sprung ist ein Gefühl. Es zu haben, unterscheidet wahrscheinlich die Allerbesten vom Rest", sagte die Skisprunglegende Anton Innauer einmal zur "Wiener Zeitung". "Sie sitzen oben und wissen bereits, wie sich der Sprung anfühlen wird. Der Körper ist dann nur noch der Ausführende dieses geilen Gefühls, wenn man optimal wegspringt und mit perfektem Drehmoment in die Flugphase geht."
Doch so schwer es ist, in den "Flow" zu gelangen, so leicht ist es, ihn wieder zu verlieren. In wohl kaum einer anderen Sportart liegen Sieg und Niederlage derart knapp beisammen wie im Sprungsport. Auf große Siege folgen oft herbe Niederlagen. Die Vierschanzentournee selbst ist ein eigener Kosmos, eine Veranstaltung mit eigenen Regeln. Es bleibt abzuwarten, ob Stoch das Gefühl des Funktionierens mit auf die Flugschanze nehmen kann. Denn auch das Fliegen funktioniert nach eigenen Regeln.
Wie aus einem Guss
Bisher konnte der 30-Jährige zwei Fliegen für sich entscheiden. 2011 gewann er auf der Letalnica bratov Goriek (Skiflugschanze der Gebrüder Goriek) im slowenischen Planica, 2017 auf dem Vikersundbakken im norwegischen Vikersund. Der Mann kann also fliegen.
Sein Sprungstil ist prädestiniert für die ganz großen Schanzen. Stoch vollzieht die komplexe Bewegung von der Hocke in die Flugphase explosionsartig und flach, verliert dabei kaum Geschwindigkeit. In einem Guss hebelt sich der Pole vom Schanzentisch in die Luft. Und dort ist er beinahe unschlagbar. Wie auf Schienen segelt er über den Aufsprunghügel. Stabil und schön. In der Szene gilt Stoch als einer der herausragenden Ästheten des Sports.
Doch die Konkurrenz schläft nicht. In den Reihen der Norweger warten mit Anders Fannemel, Robert Johansson, Daniel-André Tande und Johann Andre Forfang gleich vier begnadete Flieger. Alle sprangen sie in die Top-Ten der Tourneewertung. Der Slowene Peter Prevc ist amtierender Flug-Weltmeister. Sein Temkollege Tilen Bartol machte im Vorjahr mit einem gestürzten 252-Meter-Satz im Einspringen in Planica lautstark auf sich aufmerksam. Vom Weltrekordhalter Stefan Kraft ganz zu schweigen.
Sie alle wollen Stochs "Flow" stoppen. Der Pole wird sich zu wehren wissen. Mit seiner stärksten Waffe – stoischer Ruhe.