"Antisemitismus ist eine bestimmte Wahrnehmung von Juden, die sich als Hass gegenüber Juden ausdrücken kann. Der Antisemitismus richtet sich in Wort oder Tat gegen jüdische oder nichtjüdische Einzelpersonen und/oder deren Eigentum sowie gegen jüdische Gemeindeinstitutionen oder religiöse Einrichtungen. Darüber hinaus kann auch der Staat Israel, der dabei als jüdisches Kollektiv verstanden wird, Ziel solcher Angriffe sein." Diese Definition von Antisemitismus wurde 2016 von der International Holocaust Remembrance Alliance (IHRA) beschlossen und inzwischen von vielen Ländern, darunter auch Österreich, sowie Organisationen wie etwa der Österreichischen HochschülerInnenschaft (ÖH) übernommen.

Nun wird auch die Islamische Glaubensgemeinschaft Österreichs (IGGÖ) diese Definition annehmen, wie deren Präsident Ümit Vural am Montag bei der Abschlussveranstaltung des eineinhalbjährigen Projektes "MuslimInnen gegen Antisemitismus" der Muslimischen Jugend Österreichs (MJÖ) bekannt gab. Oskar Deutsch, Präsident der Israelitischen Kultusgemeinde (IKG) Wien, betonte im Rahmen des Festakts im Haus der Europäischen Union in Wien, "damit setzen die österreichischen Musliminnen und Muslime einen Meilenstein". "In dieser Definition wird etwa klargestellt, dass Kritik an der israelischen Politik selbstverständlich möglich ist – zugleich aber auch definiert, wo die rote Linie zum Antisemitismus verläuft".

Respekt zollte auch die Antisemitismusbeauftragte der EU, Katharina von Schnurbein. "Ich glaube, Sie sind die erste muslimische Organisation, die diese Definition annimmt." Mit ihrem Projekt "MuslimInnen gegen Antisemitismus", das auch für den diesjährigen Jugendkarlspreis der EU nominiert ist, habe die MJÖ einen hohen Standard in der Antisemitismusprävention gesetzt. Mit dem Finger auf andere zu zeigen, sei einfach. "Viel schwieriger ist es, Antisemitismus in den eigenen Reihen zu entlarven", so von Schnurbein.

Statt Abwehr aktive Auseinandersetzung

Ähnliches betonte Andreas Peham, Rechtsextremismusexperte im Dokumentationsarchiv des Österreichischen Widerstands (DÖW). Er begleitete das Projekt und erzählte, er sei bei der ersten Kontaktaufnahme durch die muslimische Jugend "positiv überrascht" gewesen, denn erstmals habe eine Gruppe nicht mit Abwehr auf Antisemitismus in den eigenen Reihen reagiert, sondern sich damit auseinandergesetzt.

Vural beschönigte denn auch nichts: Antisemitismus sei ein Geschwür, wenn dieses wachse, könne es am Ende den ganzen Organismus töten. "Hass tötet, Hass ist erbarmungslos." Und ja, auch Muslime könnten diesem Hass verfallen. Dagegen trete die Islamische Glaubensgemeinschaft jedoch auf, Muslime und Juden müssten solidarisch sein, nicht zuletzt auch wegen der Anfeindungen gegen beide Gruppen. Er wagte zudem auch den Blick nach Israel: "Wenn Juden und Muslime in Österreich gemeinsam auftreten, vielleicht ist das auch ein kleiner Beitrag, dass es auch im heiligen Land zu Frieden kommt."

Ähnlich Nermina Mumic, Vorsitzende der MJÖ: "Wir können nicht leugnen, dass es auch unter MuslimInnen Antisemitismus gibt. Aber Antisemitismus als importiertes Problem darzustellen, ist zu einfach." Eineinhalb Jahre habe sich die muslimische Jugend nun mit dem Thema intensiv auseinandergesetzt – in Workshops, Vorträgen, Exkursionen, unter anderem auch in die KZ-Gedenkstätte Auschwitz-Birkenau. An die 1.000 junge Menschen wurden im Zug des Projekts erreicht. Eines der Ergebnisse sei auch eine Solidarisierung zwischen Juden und Muslimen, meinte Mumic. "Die Hand, die wir ausgestreckt haben, wurde wärmstens angenommen und dafür sind wir dankbar."

Tatsächlich bedankte sich IKG-Präsident Deutsch für die Initiative der MJÖ. Ja, es gebe Antisemitismus von muslimischer Seite, betonte er und verwies auch auf problematische Stellen im Koran, wenn etwa Juden als "Abkömmlinge von Affen und Schweinen" oder als "schlimmste Feinde der Gläubigen" bezeichnet würden. Und: "Leider verbreiten einflussreiche Organisationen und sogar ganze Staaten das, was zu Hass führt: antisemitische Verschwörungstheorien und Stereotype. Hier geht es nicht nur um die Auseinandersetzung mit Israel, sondern auch um religiös begründete Feindseligkeit gegenüber Juden und Judentum."

Sorgen ernst genommen

Umso wichtiger sei die ehrliche Auseinandersetzung mit den Problemen. Das Projekt der muslimischen Jugend sei "der richtige Weg, denn nur wenn der Antisemitismus in den eigenen Reihen bekämpft wird, kommen wir weiter". Und auch die bisherigen Gespräche mit Präsident Vural seien "geprägt von Respekt und Ehrlichkeit" gewesen. "Unsere Sorgen bezüglich der Aktivitäten von Muslimbruderschaft und anderen Akteuren des politischen Islam werden ernst genommen. Ich danke Ihnen dafür", so der IKG-Präsident zu Vural.

In der Publikation "MuslimInnen gegen Antisemitismus. Gedenken. Begegnen. Bewegen", welche das Projekt der muslimischen Jugend dokumentiert, heißt es in der Einleitung: "Als im Jahr 2017 die öffentliche Debatte rund um einen sogenannten ‚islamischen Antisemitismus’ immer oberflächlicher und undifferenzierter geführt wurde, war uns klar, dass wir uns mit unserem Engagement und unseren Erfahrungen einbringen mussten. Es ging nicht darum, Antisemitismus als Phänomen innerhalb der muslimischen Communities zu leugnen. Uns war stets klar, dass ein latenter und ein manifester Antisemitismus unter Teilen der MuslimInnen vorhanden ist. Darüber wollen – ja, darüber müssen – wir reden. Der Vorwurf aber, dass ein Großteil der antisemitischen Einstellungen und Handlungen in Österreich, vor allem geflüchtete Menschen oder gar ausschließlich MuslimInnen zu verantworten hätten – entsprach weder unseren Erfahrungen noch wollten wir dies so stehen lassen."

Kein Pflichtprogramm

Ich wurde im Rahmen des Projekts ebenfalls gebeten, einen Vortrag zu halten, Thema war jüdisches Leben in Wien heute. Wie ich es auch etwa aus Gesprächen mit Geflüchteten kenne, traten bei diesem Austausch viele Gemeinsamkeiten zwischen Juden und Muslimen zu Tage. Erfrischend waren aber vor allem die große Neugierde und die vielen Fragen, die mir von den jungen Menschen gestellt wurden. Erfrischend war auch die Herzlichkeit sowohl der Organisatoren als auch der Teilnehmenden, die während der eineinhalb Jahre bis hin zur Schlusspräsentation des Projekts hinein spürbar war. Hier wurde nicht einfach nüchtern ein Pflichtprogramm abgespult, um sich von Vorwürfen zu befreien, hier war ehrliches Interesse am Kennenlernen, am Austausch, am Überwinden vermeintlicher Gräben greifbar.

Ja, dieses Projekt der muslimischen Jugend war ein Meilenstein. Und ein gutes Beispiel dafür, dass es besser ist aufeinander zuzugehen und miteinander zu sprechen als übereinander zu reden und dabei möglicherweise Ressentiments zu befeuern. Gewachsen ist dabei auch ein Stück Zusammenhalt zwischen Vertretern beider Religionsgemeinschaften.

Beide Gruppen sind immer wieder von Ausgrenzung betroffen, beide Gruppen haben mit Hass zu kämpfen. Sowohl Deutsch als auch Vural betonten, als Minderheit habe man auch für andere Minderheiten einzutreten, wenn diese angegriffen würden. Also Muslime für Juden, die von Antisemitismus betroffen sind, und Juden für Muslime, wenn diese ausgegrenzt werden. So klar habe ich das in den vergangenen Jahren nicht gehört. Gut, wenn sich hier etwas tut.