Die Nachrichten aus Israel sind keine guten. Ich spreche hier nicht von der Debatte in Sachen möglicher Annexionsschritte im Westjordanland. Ich spreche von der Unerreichbarkeit eines Sehnsuchtsortes, von der Distanz zu Familie und Freunden. Es ist Ferienbeginn und tausende Diaspora-Juden und Jüdinnen weltweit würden normalerweise nach Tel Aviv reisen, nach Jerusalem, nach Haifa, um Verwandte zu besuchen, Freunde zu sehen, um Israeli life zu tanken. Doch daraus wird nun erst einmal nichts.

Am gestrigen Mittwoch wurden laut Haaretz in Israel 1.013 Neuinfektionen mit dem Coronavirus nachgewiesen. Dabei handelt es sich um die höchste Anzahl an positiven Getesteten an einem Tag seit dem Ausbruch der Pandemie. Donnerstag Früh lag die Gesamtzahl der bisher Infizierten bei 26.452. In den vergangenen 24 Stunden starben zudem zwei Personen, insgesamt liegt die Covid-19-Opferzahl in Israel damit nun bei 324. Aktuell gelten 8.647 Menschen als aktive Fälle, 58 von ihnen befinden sich in einem kritischen Zustand, 24 Patienten werden derzeit künstlich beatmet.

Das im Zug der Corona-Krise am 18. März verhängte Einreiseverbot für ausländische Staatsbürger nach Israel wurde zuletzt bis 1. August verlängert. Ausnahmen gibt es lediglich für Menschen, die nachweisen können, dass sie ihren Lebensmittelpunkt in dem Land haben. Die Fluglinie El Al hat nun alle ihre Flugzeuge nach Israel zurückbeordert und stellt den Flugbetrieb derzeit völlig ein. Selbst Frachtflüge werden nicht mehr durchgeführt, wie die israelische Zeitung "Globes" berichtete. Wie auch andere Fluglinien weltweit taumelt die El Al durch die Coronakrise finanziell. Tausende El Al-Beschäftigte erhalten kein Gehalt mehr. Mit dem Kabinenpersonal kam es hier zu einem Paket mit Entlassungen und Gehaltskürzungen, doch die Pilotengewerkschaft drängt auf eine Verstaatlichung. Nun entschied El Al-Chef Gonen Usishkin, dass die Flieger jetzt einmal auf dem Boden bleiben.

Ursachensuche

Warum aber verbreitet sich das Virus in Israel – trotz Einreiseverbots seit Mitte März – nun wieder rasant? Die "Jerusalem Post" begab sich hier auf Ursachensuche. Einerseits würden vor allem Menschen getestet, die bereits Symptome spüren. Damit hätten sie aber vielleicht in den Tagen zuvor bereits andere angesteckt, schreibt Maayan Jaffe-Hoffman. Es wäre wichtig, asymptomatische Fälle rascher zu entdecken – ein Plädoyer also für mehr und flächendeckenderes Testen. Jaffe-Hoffman konstatiert aber auch, dass die anfangs gepflegte Disziplin verloren gegangen sei. Bilder von Menschen, die gemeinsam ohne Maske spazieren gehen, essen, tanzen, fänden sich zuhauf auf social media.

Dass viele den von der Regierung vorgegebenen Regeln nicht mehr folgen würden, sieht Zeev Rotstein, Generaldirektor des Medical Center der Hadassah-Universität, darin begründet, dass es zu viele Regeln gebe, die teils verwirrend seien und zu einer ökonomisch und sozial sehr angespannten Situation geführt hätten. Der Lockdown habe die Wirtschaft stark beschädigt, 25 Prozent der Menschen seien arbeitslos – betroffen seien von der Arbeitslosigkeit vor allem Jüngere.

Viele, die Verwandte in Israel haben, machen sich Sorgen. Wie wird es weitergehen? Mit der Pandemie einerseits, aber eben auch mit der finanziellen Lage. Gerne würde man in so einer Situation geliebte Menschen in die Arme nehmen. Das ist nun nicht möglich. Viele Juden, die in der Diaspora leben, konnten heuer schon Pessach nicht in Israel feiern. Das betraf auch viele Wiener Jüdinnen und Juden. Sehnsüchtig wurde nun auf den Sommer gewartet. Doch das beach life in Tel Aviv oder das Flanieren durch die Jerusalemer Altstadt rückt erneut in die Ferne.

Paradoxon

Das Corona-Jahr zeigt damit auch ein Paradoxon auf: man kann auf Grund einer weltweiten Pandemie einerseits gefühlt zusammenrücken, da man sich zwar tausende Kilometer voneinander entfernt befindet, aber dennoch mit ähnlichen Problemen konfrontiert ist. Zoom und Google meet, WhatsApp und Facetime bieten zudem die Möglichkeit, einander zu sehen ohne einander zu treffen. Andererseits werden Orte und Menschen, die in den vergangenen Jahren durch weniger Flugstunden und günstiger Flüge gefühlt noch näher zusammenrückten, unerreichbar. Während das Virus unsichtbar durch die Welt wandert, baut es Grenzen und Barrieren auf.

Und so heißt es warten auf die Postcoronazeit. Wieviele Zettelchen mit dem Wunsch, dass die Pandemie bald endet, wohl inzwischen in die Klagemauer in Jerusalem gesteckt wurden? Wieviele Gebete gesprochen, wieviele Stunden in Forschung für wirksame Medikamente oder eine Impfung investiert wurden? Möge am Ende alles zusammen helfen, damit die Welt wieder die alte ist und gleichzeitig eine neue, in der man reflektiert, was vorher gut lief und was schlecht.

Da wäre dann zu überlegen, ob es tatsächlich sinnvoll ist, mehrmals im Jahr für ein verlängertes Wochenende nach Israel zu fliegen oder doch nur einmal im Jahr, dann aber für einen längeren Zeitraum. Wird das dann individuelle Entscheidung sein oder werden die Flugticketpreise vernünftigerweise nicht mehr zum Schleuderpreis verkauft? All das werden wir sehen, wenn die Pandemie bezwungen ist. Und dann vielleicht doch wieder auf einem Strandsessel am Meer in Tel Aviv sitzen, mit einem Smoothie in der Hand und dem Geruch von Freiheit in der Nase.