Die Journalistin und Kolumnistin Heidi List hat mich kürzlich mit einer wunderbaren Idee sehr erheitert: sie designte ein T-Shirt für ihre Morgenrunden mit dem Hund. Auf dem Entwurf war dann folgender Spruch zu lesen: "Ich will nicht plaudern. Ja, eine Hündin." Ich hatte sofort im Kopf, welchen Spruch ich mir auf so ein Leiberl drucken lassen würde: "Ja, das ist ein Hund. Ja, wahrscheinlich ist Ihre Katze größer." Inzwischen gibt es zwar gefühlt tausende und abertausende Chihuahuas landauf, landab. Dennoch werden mir immer wieder ähnliche Fragen gestellt. Vor allem, wenn ältere Damen oder Herren stehen bleiben, auf das Tier hinabsehen und ansetzen zu reden, weiß ich schon, was nun kommt. An manchen Tagen nimmt man es mit Humor. An anderen nervt es.

Ähnlich verhält es sich mit Unterhaltungen zum Thema Israel. Mehr noch: Ähnlich verhält es sich mit Fragen, die zum Thema Israel gestellt werden, die eigentlich aber gar nichts mit Israel zu tun haben. So wie die Katzen mit dem Hund. Die Katzen tauchen aber sehr oft auf in Unterhaltungen über den Hund. Und Israel taucht sehr oft auf, wenn Juden und Jüdinnen zum Beispiel Antisemitismus in Europa oder in Deutschland oder in Österreich kritisieren. Oder wenn Juden und Jüdinnen jegliche Regierungspolitik in dem Land kritisieren, dessen Staatsbürgerschaft sie innehaben.
Wenn ich also über Antisemitismus schreibe oder mich über Antisemitismus unterhalte, dann kommt wie das Amen im Gebet eine Frage, die dann in Abwandlungen lautet: Aber was ihr da macht mit den Palästinensern, das ist ok? Ich bin inzwischen geneigt, mir hier einen Textbaustein zurecht zu legen, den ich dann entweder in einer private message per copy and paste einfügen oder im persönlichen Gespräch wie auf Knopfdruck wiedergeben kann. Ich könnte mir natürlich auch eine Aufschrift für ein T-Shirt überlegen, das ich dann bei Bedarf aus meinem Rucksack hole und wortlos überstreife. Oder Kärtchen. Das ließe auch mehr Spielraum und Platz für noch mehr Argumente.
Stehsätze überlegen
Was könnte auf solchen Kärtchen stehen? Zum Beispiel: "Ich rede jetzt über Österreich. Warum bringen Sie Israel ins Spiel?" oder "Ja, ich bin Jüdin. Nein, ich bin nicht für die Politik Israels verantwortlich. Warum versuchen Sie mich eigentlich nun in diese Rolle zu drängen?" oder "Ja, ich bin Jüdin. Ja, ich bin froh, dass es Israel gibt. Nein, ich will jetzt aber nicht über Israel sprechen, denn wir haben uns eben über etwas ganz anderes unterhalten."
Und damit es kein Missverständnis gibt: ich mag Israel. Ich unterhalte mich gerne über Israel. Es gibt vieles an dem Land, das ich sehr mag und es gibt immer wieder Dinge, die ich nicht verstehe. Wie etwa, dass derzeit sehr viele Menschen in der Coronakrise vom Staat recht alleine gelassen werden. Die Arbeitslosigkeit ist hoch, die Hilfe der öffentlichen Hand bescheiden und dann auch noch wenig zielgerichtet.
Nun, da die Proteste zunehmen, soll es 750 Schekel für Einzelpersonen geben, um die Krise finanziell etwas abzufedern. Für Familien sind bis zu 3.000 Schekel vorgesehen. Hier wird Helikoptergeld verteilt. Ja, das kann helfen die Wirtschaft anzukurbeln, das kann ein bisschen die Not mildern. Manche werden diese Zuwendung aber eigentlich gar nicht brauchen, für andere, die seit Monaten nicht wissen, wovon sie ihren Alltag bezahlen sollen, ist es viel zu wenig. Ein Euro sind rund vier Schekel. Und mit 187 Euro kann man wirklich keine großen Sprünge machen.
Täter-Opfer-Umkehr
Aber die Menschen, die mit einem über Israel ins Gespräch kommen möchten, obwohl man sich über etwas ganz anderes unterhält, ihnen geht es meist nicht um die Situation von Israelis, nicht um soziale Probleme, nicht um die Start-Up-Branche oder die Weltoffenheit in Tel Aviv. Ihnen geht es darum, Täter-Opfer-Umkehr zu betreiben. Du prangerst Antisemitismus an? Dann sag ich dir, dass die Israelis die Palästinenser schlecht behandeln. Dann sag ich dir, dass die Siedlungen illegal sind. Dann sag ich dir, dass die Israelis mit den Palästinensern genauso umgehen wie damals die Deutschen mit den Juden. Und ja, ich bin solche Gespräche und schriftlichen Kommunikationen schon so leid.
Warum? Weil es Unterhaltungen sind, die zu nichts führen. Da geht es nicht um den Austausch von Informationen oder Argumenten, sondern nur darum, dem Gesprächspartner, in diesem Fall mir, auf gut Wienerisch "eins hineinzuwürgen". Da geht es darum, von den eigenen Verfehlungen oder jenen der eigenen Vorfahren abzulenken. Ich bin diese Unterhaltungen aber auch schon so leid, weil sie einen immer in eine Situation bringen, in der man das Gefühl hat, sich rechtfertigen zu müssen.
Ich bin Österreicherin, nicht Israelin. Ich habe die israelische Regierung nicht gewählt und muss mich daher nicht erklären. Ich muss mich allerdings auch nicht für die Politik der österreichischen Regierung erklären. Ich kann meine Positionen in dieser oder jener Sache vertreten und argumentieren. Hier wie dort. Nur werde ich interessanterweise für die Politik in Österreich, obwohl ich hier Staatsbürgerin bin, nicht derart verantwortlich gemacht wie als Jüdin für die Politik Israels.
Es ist eine Art der Kommunikation, die versucht, den anderen mundtot zu machen. Das lasse ich aber nicht mehr zu. Vielleicht sollte ich mit den imaginären Karten, die als Vorlagen für künftige Versatzstücke in solchen Unterhaltungen fungieren, sogar noch einen Schritt weiter gehen, frecher sein, gänzlich vom Rechtfertigungsreflex Abstand nehmen. "Fühlen Sie sich nun besser?" fiele mir da ein. Oder: "Und wie hilft diese Frage nun dem Juden in Berlin, der tätlich angegriffen und verletzt wurde?" Oder überhaupt: "Ich beende hiermit dieses Gespräch."