Das Jahr 5781 beginnt, wie 5780 endet: wir befinden uns in einer Pandemie. Zu Pessach im Frühjahr waren große Familienfeiern nicht möglich – Ähnliches zeichnet sich nun auch für das kommende Wochenende ab. Einige Synagogen sind derzeit wegen Infektionsfällen unter Mitgliedern der Wiener jüdischen Gemeinde geschlossen. Hier werden teils Neujahrsgebete im Freien organisiert. In anderen Synagogen, wie etwa im Stadttempel, musste man sich heuer im Vorfeld anmelden und statt bis zu 1.000 Menschen können - um Infektionen zu vermeiden - nur etwas über 200 Personen dem Neujahrsgebet beiwohnen.
Für sie gilt Maskenpflicht sowie ein fixer Sitzplatz, den sie zudem nicht verlassen dürfen. Mancher wird nun meinen: ja klar, wenn ich einen Sitzplatz habe, warum sollte ich dann mitten während des Gottesdienstes aufstehen? Das ist allerdings in Synagogen durchaus üblich und macht auch gerade an den Hohen Feiertagen gerade im Stadttempel, der nicht nur von sehr observanten Gemeindemitgliedern besucht wird, einen Teil des Reizes aus. Man begrüßt Freunde und Freundinnen, tratscht ein bisschen, widmet sich dann wieder dem Gebet.
Familienfeste in größerem Kreis gestalten sich heuer ebenfalls schwierig. Einerseits ist da der Appell der Regierung, Feierlichkeiten auch in privatem Rahmen in der eigenen Wohnung klein zu halten. Andererseits sind derzeit dadurch, dass es eben nach ein paar großen Hochzeiten kurz vor Schulbeginn einige Infektionsfälle in der Community gibt, viele damit konfrontiert, dass Familienmitglieder oder Freunde und Freundinnen entweder erkrankt oder nach Kontakten mit Infizierten in Quarantäne sind oder noch auf ihr Testergebnis warten.
Aufruf von 13 Rabbinern
Auf Grund dieser angespannten Situation riefen diese Woche 13 Wiener Rabbiner (darunter auch der neue Oberrabbiner der IKG Wien, Jaron Engelmayer) in einem gemeinsamen Appell dazu auf, alles daran zu setzen, niemanden zu gefährden. "Achtet auf eure Gesundheit" betitelten die Rabbiner ihren Aufruf und sie schreiben darin unter anderem, dass es halachische, religiöse und menschliche Pflicht sei, "eigenes Leben und das der Mitmenschen vor Krankheit zu schützen". "Es muss darauf geachtet werden, den erforderlichen Abstand zwischen Menschen, die nicht zum eigenen Haushalt gehören, und Handhygiene einzuhalten, und darüber hinaus in geschlossenen Räumen, wie beispielsweise in koscheren Geschäften oder Gebetshäusern Mund-Nasen-Schutz zu tragen."
Bei jedem Verdacht auf Ansteckung seien zudem "die gesetzlichen Vorgaben streng einzuhalten und jeder Kontakt zu Mitmenschen zu vermeiden, bis nicht Tests mit Negativ-Ergebnissen frühestens fünf Tage nach möglicher Ansteckung vorliegen und der Kontakt zu Mitmenschen gesetzlich wieder zulässig ist". In Richtung der mit dem Coronavirus Infizierten betonen die Rabbiner: "Möge es der Wille unseres Vaters im Himmel sein, dass alle Kranken schnelle und volle Genesung erfahren, alles Unheil abgewendet werde und sich ein gutes Jahr zum Leben, Frieden und Gesundheit erneuere."
Was kann man sich also für dieses neue Jahr wünschen? Für den Moment, dass alle, die derzeit mit einer Coronainfektion im Krankenhaus liegen, dieses in absehbarer Zeit wieder verlassen können. Und dass auch jene, die sich zu Hause auskurieren, bald genesen. Refuah schlema! – gute Besserung! – wünscht man in so einem Fall. Für alle hofft man, dass gegen dieses Virus bald ein Medikament und/oder ein Impfstoff entwickelt wird. Aber auch, dass diese Krise nicht in Unternehmenspleiten und hohe Arbeitslosigkeit mündet. In der Wiener jüdischen Gemeinde gibt es viele Inhaber kleiner Geschäfte, aber auch Betreiber von Restaurants oder Dienstleistungsunternehmen.
Wieder Shutdown in Israel
Der Blick nach Israel bereitet diesbezüglich Sorge. Mit den Feiertagen wird dort angesichts inzwischen tausender Neuinfektionen am Tag und einer zusehenden Verknappung an intensivmedizinischen Betten der zweite Lockdown eingeläutet, der nun einmal für drei Wochen ausgerufen wurde. Während Israel den Beginn der Coronakrise gut meisterte, geriet das Infektionsgeschehen dort in den vergangenen Wochen zunehmend außer Kontrolle.
Somit werden auch viele Wiener Juden und Jüdinnen – wie dies schon zu Pessach der Fall war – die Hohen Feiertage nicht, wie vielleicht geplant, in Israel verbringen. Ein Synagogenbesuch ist aber für viele – siehe eingangs – ebenfalls nicht möglich. Was zum Rosch HaSchana-Fest dazugehört, ist das Hören des Schofars. Damit dies trotz allem vielen Gemeindemitgliedern möglich ist, wird das Schofar heuer am Sonntag auch im Freien geblasen werden, bevor es zum Taschlichgebet am Donaukanal geht. Taschlich ist ein Brauch, bei dem man an einem Gewässer seine Gewänder ausschüttelt und Krümeln aus den Taschen ins Wasser wirft. Damit vertraut man symbolisch seine schlechten Taten des zu Ende gegangenen Jahres dem Wasser an. Das Taschlichgebet findet eigentlich am ersten Tag des Neujahrsfest statt, da dieser heuer aber am Schabbat ist, verschiebt es sich auf Sonntag.
Was ebenfalls allen möglich ist, ist die traditionellen Neujahrsspeisen zuzubereiten. Beliebt ist es, den Kopf eines Fisches zu servieren. Rosch HaSchana bedeutet Kopf des Jahres – so erklärt sich auch dieser Brauch. Vor allem aber muss das neue Jahr süß werden. Daher taucht man Äpfel in Honig. Das ist eine leichte Übung, die selbst dann gelingen sollte, wenn man heuer das Neujahrsfest alleine in seiner Wohnung – aber vielleicht doch mit Freunden und Familie per Videokonferenz verbunden – verbringt. In diesem Sinn: Schana tova! Ein gutes neues Jahr! Und viel Gesundheit! Auf dass sich die Pandemiesituation entspannt und nicht auch in Österreich weiter zuspitzt.