Chanukka, das jüdische Lichterfest, lädt ein zum Fröhlichsein. Die Lichter sollen nicht nur hell flackern, sie sollen auch nach außen sichtbar sein: man stellt die Chanukkia daher am Fensterbrett auf oder trägt sie sogar in den öffentlichen Raum, wie es in Wien normalerweise, also in Nicht-Pandemie-Zeiten, die chassidische Chabad-Bewegung immer macht, indem sie am Stephansplatz einen riesigen Leuchter entzündet und dabei Sufganjot, eine der traditionellen Speisen zu Chanukka, verteilt.

Sufganjot sind Krapfen, sie werden in Öl herausgebacken und das kommt nicht von ungefähr: Öl ist eines der zentralen Elemente des Festes. Man freut sich über das Wunder von Chanukka, das darin bestand, dass einst nach der Zerstörung des Tempels in Jerusalem nur mehr Öl vorhanden gewesen ist, um die Menora einen Tag lang zum Leuchten zu bringen, die Produktion von Öl aber länger dauert. Dennoch brannte dieses wenige Öl dann acht Tage lang, bis neues hergestellt war. Daher dauert das Chanukka-Fest acht Tage, daher gibt es eben vor allem in Öl Herausgebackenes, wie Sufganjot oder Latkes, eine Art Kartoffelpuffer.
Während hier zu Lande aktuell breit debattiert wird, wie sinnvoll es ist, dass man zu Weihnachten auch ohne besonderen Grund nach 20 Uhr das Haus verlassen können soll, um mit insgesamt bis zu zehn Personen unter dem Christbaum zu sitzen und zu feiern, gibt es während des Lichterfestes, das am gestrigen Abend begonnen hat, keine solchen Ausnahmen. Ich persönlich finde das gut, wir befinden uns eben in einer Krisensituation und niemandem ist geholfen, wenn sich bei Familienfeiern immer noch mehr Menschen mit dem Coronavirus infizieren – weder denen, die sich anstecken, vielleicht schwer erkranken oder sogar sterben, noch der Gesamtgesellschaft, denn harte Lockdowns bringen dann zwar die hochgekletterten Infektionszahlen wieder etwas herunter, doch die Wirtschaft leidet, das kostet Arbeitsplätze, das vernichtet Existenzen, das bringt Menschen unter massiven finanziellen Druck.
Gemeinschaftsgefühl anders schaffen
Zu Pessach im Frühjahr wichen bereits viele Familien auf Zoom-Meetings aus, wobei es da für orthodox Lebende wegen der Feiertagsregelungen Einschränkungen hinsichtlich des Nutzens von elektronischen Geräten gibt. Der eine oder die andere saß also leider zu Pessach tatsächlich ganz alleine vor seinem Sedermahl. Nun versucht die jüdische Gemeinde erneut, mit Online-Angeboten in dieser Woche doch etwas Gemeinschaftsgefühl aufkommen zu lassen. Da gibt es die Übertragung eines Kerzenzündens mit Oberrabbiner Jaron Engelmayer und Oberkantor Shmuel Barzilai, da macht der Komponist und Musiker Roman Grinberg ein Chanukka-Special im Rahmen seiner Online-Reihe "Jiddisch für Anfänger – Von Mazl bis Shlemazl", da gibt es eine virtuelle Cooking Class mit Chanukka-Gerichten. Und natürlich werden jeden Tag in den Familien beziehungsweise Haushalten die Kerzen gezündet – nur die Einladungen bei anderen, vor allem die Feste für die Kinder, die fallen heuer leider aus.
Worauf ich mich allerdings ganz besonders freue, ist ein "Chanukka Drive-In", der diesen Sonntag gemeinsam vom Chabad House, Bet Halevi, Club Chai, der Ohel Avraham Synagoge und der Jugendabteilung der Israelitischen Kultusgemeinde (IKG) Wien organisiert wird. Veranstaltungsort ist das Autokino in Groß-Enzersdorf, angekündigt wurde ein gemeinsames Kerzenzünden, eine LED Drum-Show, eine Pyrotechnik-Show und ein Multimediaprogramm. Außerdem bekommt jede Familie Snacks zu ihrem Auto gebracht.
Ich kann mir unter alldem zwar noch nicht viel vorstellen, aber ich bin mir sicher: alleine, dass da jede Familie für sich in einem Auto sitzt und dennoch gemeinsam mit so vielen anderen beobachtet, was für ein Spektakel abläuft, wird einen Eindruck hinterlassen und in Erinnerung bleiben. Und ich finde es ganz fein, dass da jemand hergegangen ist, gesagt hat, ok, heuer ist eben nichts so, wie es immer ist, und wir können nun jammern und uns bemitleiden oder sogar mit aller Kraft versuchen, uns dagegenzustemmen und darauf zu beharren, dass wir die Restriktionen einfach zur Seite schieben und dennoch feiern, dabei aber riskieren, dass wir selbst oder andere sich mit dem Virus infizieren. Oder aber wir sagen, ja, wir wollen feiern, aber wie können wir das unter den gegebenen Umständen tun, ohne uns anzustecken und dabei dennoch eine Gemeinschaftsatmosphäre schaffen.
Durchhalten ist angesagt
Ich weiß noch nicht, wie sich dieser Chanukka Drive-In dann anfühlen wird. Ich sage aber jetzt schon danke an all jene, die hier versucht haben, etwas auf die Beine zu stellen, und ich bin mir sicher, dass alle, die daran teilnehmen werden, die Zeit im Auto genießen und den Abend wohl auch länger in Erinnerung behalten werden. Und obwohl dann alle in ihren Autos sitzen werden, wird das, was wir da sehen dennoch etwas sein, was wir miteinander teilen. Gemeinsam freuen wir uns über die Wiedereinweihung des Tempels, gemeinsam freuen wir uns darüber, dass es nicht gelungen ist, das Judentum auszulöschen.
Jedes Jahr wird auf Social Media ein Foto herumgereicht, das eine Chanukkia am Fensterbrett zeigt und dahinter, auf der Straße, wehen von einem anderen Haus Hakenkreuzflaggen. Das ist ein wunderbar widerständiges Bild, eines das zeigt, am Ende wird das Judentum allen Widrigkeiten zum Trotz weiterbestehen. Heuer sind die Widrigkeiten andere, solche, die die ganze Menschheit betreffen. Und schon machen kreative Memes die Runde von Chanukkaleuchtern, die aus Spritzen bestehen etwa oder solchen mit sprechenden Kerzen, die von ihren Nachbarinnen Abstand einfordern.
Vielleicht können wir dank der Impfungen, die im nächsten Jahr anlaufen, Chanukka 2021 ja wieder feiern wie immer. Nun gibt es eine Perspektive – insofern ist die Situation eine völlig andere als zu Pessach. Und nun heißt es durchzuhalten. Das Öl hielt damals acht Tage statt nur einen Tag. Und wir werde es nun auch noch schaffen, die Kraft, die nur mehr gering erscheint, aber noch größer ist, als so mancher denkt, zu sammeln, um die Wochen und Monate Abstand zu halten, Masken zu tragen, Kontakte zu vermeiden, bis die Impfung dafür sorgt, dass der Einzelne nicht mehr schwer erkranken kann und in der Gesellschaft Herdenimmunität erreicht wird. Vorausgesetzt natürlich, dass sich genügend Menschen impfen lassen: diese Debatte wird wohl in den nächsten Wochen geführt und hoffentlich entsprechende Überzeugungsarbeit geleistet werden.