Sie kennen das sicher auch: man beginnt von etwas zu erzählen, das schon etwas länger her ist und beginnt die Erzählung mit damals und merkt, dass das wirklich schon sehr lange her ist und dann kommt einem plötzlich in den Sinn, dass man sich wohl nun so anhört, wie wenn die Großmutter von ihrer Jugend in der Zwischenkriegszeit erzählt hat. Oder den ersten Besuchen im Nachkriegsösterreich. Von der NS-Zeit sprach meine Großmutter nämlich nie.

Diesen Jänner vor 20 Jahren wurde nach langen Verhandlungen zwischen Österreich, den USA und NS-Opferorganisationen ein Entschädigungspaket geschnürt, das Menschen wie meiner Großmutter, die wegen Hitlers Unrechtsregime aus Wien flüchten musste, zu Gute kam. In den begleitenden politischen Reden wurde schon damals immer wieder festgehalten: man sehe die Zahlungen, die auf Basis dieser Vereinbarung (die dann in der Folge durch das Parlament auch in nationales Recht gegossen wurde) in den darauffolgenden Jahren geleistet würden, weniger als Entschädigung und mehr als Geste. Und ja, man wisse, hier werde spät versucht, Unrecht nicht wiedergutzumachen, aber eben, doch anzuerkennen und ein Zeichen zu setzen.
Damals, vor 20 Jahren, arbeitete ich in der Innenpolitik-Redaktion der APA. Ich hatte schon die vorangegangenen Gespräche in Wien als Berichterstatterin begleitet und nun standen sie also an, die finalen Verhandlungen in Washington, die unter enormem Zeitdruck noch rasch ein komplexes, schwieriges Thema in trockene Tücher packen sollten. Denn kurz darauf stand auch damals der Amtsantritt eines neuen US-Präsidenten an. Am 20. Jänner 2001 verabschiedete sich Bill Clinton aus dem Weißen Haus und George W. Bush übernahm die Führung der Vereinigten Staaten von Amerika. Dass seine Präsidentschaft im Zeichen des "Kriegs gegen den Terror" stehen würde, konnte damals noch niemand wissen. 9/11 sollte sich erst Monate später in die Geschichtsbücher einschreiben.
Nun aber ging es darum, ein wenig Wiedergutmachung für die Opfer des Terrors von einst – den Opfern des Nationalsozialismus - zu leisten. Die finalen Gespräche fanden im State Department in Washington statt. Es war kalt in diesem Jänner und da stand ich nun vor diesem imposanten Gebäude und musste feststellen: Journalisten waren da nicht erwünscht. Für das Ende der Gespräche war eine Pressekonferenz in Aussicht gestellt worden, aber am ersten Verhandlungstag hieß es: in der Kälte draußen warten, bis vielleicht einer der Verhandler das Gebäude wieder verließ und eine kurze Wortspende einzusammeln war. In die USA war ich mit einem vermeintlich US-tauglichen Mobiltelefon und passendem Laptop geflogen. Nun, vermeintlich, denn: in Washington angekommen musste ich feststellen, dass es nicht funktionierte. So machte ich mich auf die Suche nach einem Handy mit Prepaid-Card, mit dem ich mich allerdings nicht via Computer ins Netz einloggen konnte. Wie ich eingangs schrieb: wenn ich mir so zuhöre, klingt das nach Geschichten aus einer lang vergangenen Zeit. So diktierte ich die aktuellen Meldungen schließlich aus dem Stehgreif telefonisch durch. Hintergründiges lieferte ich handgeschrieben und via Fax aus dem Hotel nach.
Die Sache mit der Unterschrift
Neben diesen persönlichen technischen Problemen hatte es aber dann auch der letzte Verhandlungstag an sich. Das Pressestatement rückte in greifbare Nähe, nun durften Journalisten immerhin im Foyer des State Department warten. Und dann, dann hieß es, es sei so weit. Aber als die Journalisten dann in jenen Bereich des Gebäudes geführt wurden, in dem die Verhandlungsteams Stunden lang um eine Vereinbarung gerungen hatte, war die angespannte und brüchige Stimmung greifbar. Da hieß es offiziell, in Kürze beginne die Pressekonferenz. Doch dann hörte ich, es gebe Probleme mit der Unterschrift des damaligen Präsidenten der Israelitischen Kultusgemeinde (IKG) Wien, Ariel Muzicant.
Hatte er nun unterschrieben oder nicht? Kurz nach 16.30 Uhr an diesem 17. Jänner 2001 gab schließlich der scheidende US-Vize-Finanzminister Stuart Eizenstat den Durchbruch bei den so genannten Restitutionsverhandlungen bekannt. Ein Meilenstein war erreicht, getrübt nur durch die Unklarheit, was es nun konkret bedeutet, dass Muzicant tatsächlich nicht unterzeichnet, aber doch "parafiert" hatte. "Der Teufel steckt im Detail", begründete er seine Vorgangsweise. Er pochte darauf, die Texte der Vereinbarung noch einmal in Ruhe zu prüfen. Wenn ich mich heute an diese Stunden erinnere, wirken sie tatsächlich wie aus der Zeit gefallen. Aber schon damals war klar, dass etwas Historisches erreicht worden war.
Der Nationalfonds sollte nun für Jahre sehr beschäftigt sein. Er administrierte den mit 360 Millionen Dollar gefüllten Allgemeinen Entschädigungsfonds. Mit 150 Millionen US-Dollar wurden entzogene Mietrechte, Hausrat, persönliche Wertgegenstände über einen Pauschalbetrag abgegolten. Mit 210 Millionen US-Dollar wurden größere Vermögensentzüge entschädigt – aber nicht 1:1, sondern je nach Schätzung des Wertes des entzogenen Vermögens und anteilig an den gesamt zur Verfügung stehenden Mitteln. Eingereicht werden konnten auch Anträge auf Naturalrestitution etwa von Immobilien oder Grundstücken, sie sich 2001 im Besitz der öffentlichen Hand befanden und einst von den Nazis entzogen worden waren.
Ebenfalls geeinigt hatte man sich in Washington, dass sich die öffentliche Hand der Restaurierung und Erhaltung der mehr als 60 jüdischen Friedhöfe in Österreich annimmt. Bei diesem Punkt saß, da hatte Muzicant vor 20 Jahren ganz Recht, tatsächlich der Teufel im Detail. Es sollte noch zehn weitere Jahre dauern, bis der Fonds zur Instandsetzung der jüdischen Friedhöfe geschaffen wurde. In diesen zehn Jahren wurden zahlreiche Sanierungsprojekte auf jüdischen Friedhöfen durchgeführt. Kleinere Friedhöfe wie etwa jene in Lackenbach, Deutschkreutz und Kobersdorf im Burgenland oder in Klosterneuburg und Stockerau in Niederösterreich konnten bereits fertig restauriert werden.
Bei anderen Friedhöfen gestalten sich die Arbeiten schwieriger, wie etwa am Friedhof Währing oder am Friedhof Seegasse in Wien. Letzterer muss an Hand von Dokumenten, die vor der NS-Zeit die Lage der einzelnen Gräber festhielten, rekonstruiert werden, denn während des Nationalsozialismus hatten Vertreter der jüdischen Gemeinde alles daran gesetzt, die Grabsteine vor Zerstörung zu bewahren. Sie wurden entweder in der Seegasse vergraben oder zum 4. Tor des Zentralfriedhofs verbracht. Seit Jahren werden einerseits nun die noch vorhandenen Steinfragmente wieder zusammengesetzt und an der richtigen Stelle auf dem Friedhofsareal aufgestellt, das sich heute im Garten einer Seniorenunterkunft befindet. Vier bis fünf Jahre wird es noch dauern, bis dieser älteste erhaltene jüdische Friedhof in Wien fertig rekonstruiert sein wird. Dass dies möglich ist, davor wurde vor 20 Jahren der Grundstein in Washington gelegt.