Die US-Schauspielerin Mayim Bialik hat uns über die Jahre viel an ihrem Privatleben teilhaben lassen – allerdings so ganz anders, als man es von vielen ihrer Branchenkolleginnen gewohnt ist. Da ging es nicht um Affären, Skandälchen, Charity oder die Adoption von Kindern, aber viel um ihre Auseinandersetzung mit dem Judentum und wie sie das Judentum lebt. Ihre Rolle als Neurowissenschafterin Amy Farrah Fowler in The Big Bang Theory hat sie beispielsweise mit den Tzniut-Regeln für orthodox lebende Jüdinnen verbunden. Tzniut bedeutet Sittsamkeit und Bescheidenheit. Da gibt es dann keine großen Ausschnitte, keine ärmelfreien Tops und Kleider – und ja, zumeist auch keine Hosen. Wie oft trägt Amy in der Nerd-Serie Röcke und wie oft Hosen? Eben! Sogar das sagenhaft kitschige, altvaterische und überladene Hochzeitskleid erfüllte die Tzniut-Regeln.
Darüber hat sie auf dem Portal Kveller ebenso geschrieben wie über die Erziehung ihrer Kinder oder aber den Prozess ihrer Scheidung. Letztere war dann aber eben keine Schlammschlacht. Bialik fasziniert mich seit Jahren mit ihren Reflexionen über ihr Leben, die eben immer auch religiöse Aspekte miteinbeziehen. Und, wenn ich das richtig interpretiere: während ihrer Ehe lebte sie das Judentum auch bezüglich eben etwa der Kleidungsvorschriften observanter als sie das nun in ihren Post-Ehe-Zeiten tut.
Letzteres spiegelt sich dann auch in ihrem beruflichen Tun wider. The Big Bang Theory ist Geschichte, aktuell ist Bialik im US-Fernsehen mit einer neuen Serie zu sehen: "Call me Kat". Die Kritiken sind nicht unbedingt überwiegend schmeichelhaft – hier zu Lande ist die Comedy rund um eine Katzencafé-Betreiberin noch nicht zu sehen. Es heißt also warten, bis "Call me Kat" entweder im heimischen Fernsehen gezeigt wird oder gestreamt werden kann.
Familiendynamiken
Aufhorchen lässt Bialik aber nun mit einem weiteren, offenbar wesentlich ernsthafteren Projekt. Sie schrieb nicht nur das Script für einen Kinofilm, sondern führt nun auch erstmals Regie. In "As Sick as They Made Us" versucht eine geschiedene Frau ihren Bruder, von dem sie sich über die Jahre entfremdet hat, dazu zu bringen, den Vater an dessen Sterbebett zu besuchen. Als der Vater schließlich stirbt, setzt das in der Familie neue Dynamiken in Gang. Die Besetzung ist dabei hochkarätig: Zu sehen sein werden Dustin Hoffman und Candice Bergen. Außerdem gibt es ein Wiedersehen mit Bialiks The Big Bang Theory-Kollegen Simon Hellberg.
"As Sick as They Made Us" basiert auf eigenen Erfahrungen Bialiks, auch wenn der Film nicht eins zu eins die Familiengeschichte widergibt, wie sie diese Woche auf Kveller verriet. Bialik wurde ja einst als Kinderstar in "Blossom" bekannt. Etwas linkisch tanzte sie da in blumigen Outfits und auffälligen Hüten über den Bildschirm. Dass ihre Kindheit und Jugend im Rückblick privat weit weniger rosig verlief, offenbart sie nun. Möglich wurde ihr das offenbar erst in der Reflexion nach dem Tod ihres Vaters vor fünf Jahren.
Und nein, da geht es nicht um Geschichten von Gewalt oder Missbrauch. "Ich bin in einem komplizierten Elternhaus aufgewachsen", bilanziert sie nun. "Es war ein liebevolles, lustiges, künstlerisch inspirierendes und unterstützendes Zuhause, aber meine Eltern hatten mit psychischen Erkrankungen zu kämpfen. Viel. Gemeinsam und jeder für sich: es war nicht einfach. Viele meiner Entscheidungen, wie ich mein Leben führe, beruhen auf den Werkzeugen, die ich erwerben musste, um in einem von psychischen Störungen geprägten Zuhause zurechtzukommen. Wir haben nicht darüber gesprochen. Wir wussten nicht einmal, was 'es' war. Aber ich weiß es jetzt. Wir alle wissen es jetzt. Der Tod meines Vaters vor fünf Jahren hat mehr Wunden geöffnet als geschlossen."
Gehäuft in jüdischen Familien?
Dieses Phänomen begegnet mir über die Jahre immer öfter. Lange dachte ich: in jüdischen Familien überproportional öfter als in nichtjüdischen. Hat das mit den vielen Traumata zu tun, verursacht durch Verfolgung und Flucht und einem Leben in der Emigration? Weitergegebene Traumata sind da ein wichtiges Schlagwort. Inzwischen konnte nachgewiesen werden, dass beispielsweise selbst Menschen der dritten Generation gehäuft psychische Probleme entwickeln. Als erste Generation gelten Holocaust-Überlebende, die zweite Generation sind ihre Kinder, die dritte Generation ihre Enkel.
Inzwischen aber kommt mir vor: dysfunktionale Familien begegnen einem in den verschiedensten Kontexten. Und oft hat diese Dysfunktionalität mit psychischen Erkrankungen oder Phasen einzelner Familienmitglieder mit psychischen Problemen oder eben Traumata zu tun und nicht selten wurden diese nicht einmal diagnostiziert geschweige denn behandelt. Mit dem heutigen Wissen um die Symptomatik solcher Erkrankungen werden sie aber im Rückblick sichtbar und damit gewisse Dynamiken verständlicher.
Umso trauriger finde ich, dass hier zu Lande psychische Erkrankungen teilweise immer noch mit Scham besetzt sind. Umso trauriger finde ich, dass es hier zu Lande immer noch keine flächendeckende Versorgung für Menschen mit psychischen Problemen oder Erkrankungen auf E-Card gibt. Mehr noch: wie eben erst auch im Zug der aktuellen Covid-Krise seitens der Kinder- und Jugendpsychiatrien herausgestrichen wurde, gibt es hier viel zu wenige Plätze für betroffene Kinder und Jugendliche, ob ambulant oder stationär. Vor allem aber stationäre Plätze gab es schon vor der Coronapandemie viel zu wenige und nun, wo Kinder zunehmend nicht zuletzt durch das Home Schooling und die schwierige soziale Situation psychisch unter Druck kommen, macht sich der Mangel umso stärker bemerkbar.
Ich freue mich schon auf das Regiedebüt Bialiks. Und ja, manchmal können gerade Kinofilme ein schwieriges Thema greifbarer machen und auch zu einer medialen und damit gesellschaftlichen Auseinandersetzung führen. Vielleicht transportiert Bialik in ihrem Film aber ja auch ein Stück Jüdischkeit. Passen würde es zu ihr. Lassen wir uns überraschen.