Wir gehen ins zweite Jahr der Pandemie. Mein Mann und ich zählen uns seit Beginn zum "Team Vorsicht", doch ja, langsam wird es auf gut Wienerisch zach. Die Parole heißt Durchhalten und alles zu tun, um sich so gut als möglich zu schützen: FFP2-Maske in Innenräumen außerhalb der eigenen Wohnung tragen, Abstand halten, keine Hände schütteln, sie stattdessen oft zu waschen und außer Haus zu desinfizieren. Es gibt keine Besuche – nicht einmal die Familie treffen wir indoors. Berufliche Gespräche führe ich telefonisch oder im Freien.
Und über die Monate haben wir auch viel von dem, was erlaubt gewesen wäre, nicht gemacht, da es dem widersprach, was seriöse Studien bereits seit dem Frühjahr 2020 immer wieder festhalten: Zusammentreffen in Innenräumen ohne Maske sind mit einem hohen Ansteckungsrisiko verbunden. Seit vergangenem März habe ich mich daher auch mit niemandem mehr in einem Lokal indoors verabredet – wie fein war es da, wenigstens während des Sommers Freunde und Familie in Gastgärten zu treffen. Ein Schwachpunkt waren die Schulen – meine Tochter trug daher bereits im vergangenen Herbst, als dies noch nicht während des Unterrichts verpflichtend vorgesehen war, durchgängig Maske.
Natürlich steht im Vordergrund, sich selbst eine Infektion zu ersparen, bei der man nicht weiß, wie sie sich auswirkt. Da geht es nicht nur um einen potenziell tödlichen Verlauf. Da geht es auch um Long Covid, um langfristige Schädigungen etwa von Lunge oder Herz oder um neurologische Probleme. Ich finde aber auch, dass der Solidaritätsaspekt wichtig ist. Bin ich vorsichtig, schütze ich auch andere. Das entspricht auch den Vorgaben der Tora. Hier wird sogar die Gesundheit anderer nicht zu gefährden als noch wichtiger eingestuft als die eigene Gesundheit zu schützen, wie mir Gemeinderabbiner Schlomo Hofmeister dazu zu Pandemiebeginn erklärte.
Wie eine Fata Morgana
Wäre die Situation nun so, dass es einfach kein anderes Mittel gäbe, als dieses Verhalten fortzuführen und sich zu sagen: es gibt keinen anderen Weg und daher heißt es durchhalten, durchhalten, durchhalten, dann wäre dies leichter zu akzeptieren. Was nun nicht heißt, dass ich an meinem vorsichtigen Verhalten etwas ändere. Aber. Inzwischen wurden Impfstoffe entwickelt, die wirken, die in jedem Fall einem schweren oder gar tödlichen Verlauf gut vorbeugen. Nur erscheint die potenzielle Impfung an manchen Tagen wie eine Fata Morgana. Manchmal rückt sie in greifbare Nähe, dann wieder ist sie sehr weit entfernt.
In Israel erhielt inzwischen jeder, der geimpft werden wollte, zumindestens bereits den ersten Shot. Das Land verfügt über so viel Impfstoff, dass jeder geimpft werden könnte. Wenn man dann Fotos von einer Initiative des Rettungsdienstes Magen David Adom sieht, der einen mobilen Impfwagen in einem Naherholungsgebiet aufstellte, um bisher impfskeptische Menschen, die dort spazieren gingen, zu animieren, sich impfen zu lassen, dann ergeht man sich kurz in Tagträumereien: mal schnell zur Kaiserwiese im Prater spazieren und dort auf einen solchen Impftrailer stoßen. Aber ja, natürlich absurd, wie es Träume oft sind: denn würden wir auch in Österreich über ausreichend Impfstoff verfügen, hätte ich ja schon längst einen Termin in einer Impfstraße bekommen.
Ich freue mich für jeden und jede meiner Freunde und Bekannten in Israel, die bereits geimpft wurden. Da wurde auf Social Media Impffoto nach Impffoto gepostet und die begleitenden Worte drückten Erleichterung und ja, große Freude, aus. Was absolut nachvollziehbar ist. Ich würde mir auch einen Haxn ausfreuen, wäre ich schon geimpft.
Zumal die Ergebnisse, die mit der Impfkampagne in Israel einhergehen – denn ein Teil des Deals etwa mit Biontech-Pfizer war, dass das Land seine Daten anonymisiert, aber umfassend zur Verfügung stellt – zeigen, dass das Impfen wirkt. Vier Krankenkassen gibt es in Israel, eine davon ist Maccabi. Von 523.000 dort Versicherten, die bereits beide Teilimpfungen erhalten haben, steckten sich nur mehr 544 Personen mit dem Virus an – das sind 0,1 Prozent. Von diesen 544 mussten zudem nur 15 Patienten in einer Klinik behandelt werden und nur vier hatten einen schweren Verlauf. Keiner der Betroffenen verstarb.
Über Impfneid und Vordrängler
Viel wird dieser Tage über Impfneid gesprochen. Aber nein, ich bin niemandem neidig, der bereits geimpft wurde. Verschnupft bin ich, wenn allerdings Menschen bereits eine Impfung bekamen, denen sie noch nicht zustand, die sich also vorgedrängt haben. Berichte dazu gibt es inzwischen zuhauf, nicht nur aus Österreich, sondern weltweit – es scheint in der (schwachen) Natur des Menschen zu liegen, in Situationen, in denen man die Möglichkeit hat, einen Vorteil für sich herauszuschlagen, dies auch auszunützen. Da wurde hier ein Bürgermeister geimpft, dort waren es Angehörige von Bewohnern eines Pflegeheims, und nochmal woanders kam das Verwaltungspersonal eines Spitals früher an die Reihe als dort tätige Pfleger und Ärzte.
Das ist zutiefst unsolidarisch, denn angesichts des Mangels, den es derzeit etwa in den EU-Staaten an Impfstoff gibt, wurde jede dieser Impfdosen potenziell jemandem vorenthalten, der diese dringender gebraucht hätte. Das Impfen erfolgt ja nicht aus Jux und Tollerei nach einem Plan, der jene zuerst für eine Immunisierung vorsieht, die ein hohes Alter, eine schwere Vorerkrankung oder einen Beruf haben, in dem sie ein hohes Ansteckungsrisiko haben. So sollen einerseits Todesfälle und schwere Verläufe, wie sie bei sehr betagten Menschen gehäuft vorkommen, vermieden und andererseits Ansteckungsketten unterbrochen werden.
Aber ja, gäbe es einen legalen Weg, sich privat eine Impfdosis zu kaufen, die niemand anders weggenommen würde, würde ich nicht zögern das zu tun. Das wäre ja aber nur der Fall, gäbe es ausreichend Impfstoff, und nicht den Mangel, den es nun gibt und ja, auch hier – siehe Tagträumerei – zeigt das neuerliche Durchdenken: wenn dem so wäre, würde eben bei dem derzeit bestehenden Mangel der als erster geimpft werden, der am meisten zahlt. Und das wäre ebenfalls zutiefst unethisch und nicht der richtige Weg, einer Pandemie zu begegnen. Es ist gut, dass der Staat Impfstoff für alle, die sich impfen lassen wollen, besorgt, es ist gut, dass die öffentliche Hand diese Impfkampagne organisiert.
Eine bescheidene Perspektive
Und ja, ich weiß, Israel hat unter ganz anderen Rahmenbedingungen mit Herstellern verhandelt, es zahlt einen höheren Preis pro Dosis und ist seinerseits der Impfstoffentwicklung durch die Daten, die es weitergibt, eine große Hilfe. Und grundsätzlich ist es gut, dass die EU hier für alle Mitgliedstaaten gemeinsam verhandelt hat. Aber dennoch lässt mich das schleppende Anlaufen der Impfungen in Österreich verzagen. Laut Impfplan sind die Unter-65-Jährigen, die nicht in einem Risikoberuf arbeiten, ab dem dritten Quartal an der Reihe. Mit dann 50 Jahren ist eine Impfung, wenn überhaupt noch in diesem Jahr, irgendwann im Spätherbst oder Winter wahrscheinlich. Das heißt: noch ein Sommer, ohne zu verreisen. Das heißt: warten, durchhalten, aufpassen, sich selbst motivieren, immer wieder. Und das wird von Tag zu Tag schwieriger. Weil es ja da etwas gäbe, das einen schützen würde, würde man es nur bekommen: die Impfung.
Ich kann mich an nichts erinnern, das ich mir in den vergangenen Jahren sehnlicher gewünscht hätte. Andererseits rückt das dann auch wieder ein bisschen die Perspektiven zurecht. Ganz im Sinn der Tora lernt man so auch, was für ein wichtiges Gut die Gesundheit ist und wie sehr sie über materiellen Wünschen steht. Was uns diese Pandemie aber auch gelehrt hat: wie wichtig Freundschaften und soziale Kontakte sind. Einkaufen konnten wir die ganze Zeit, wenn nicht in Geschäften, so doch online. Allerdings hat gerade das Shopping – so jedenfalls mein persönliches Erleben – massiv an Attraktivität verloren.
Ich habe in diesem Jahr kaum etwas gekauft, das nicht nötig gewesen wäre: also im Wesentlichen Lebensmittel, Medikamente, Kleidung, aber nur um solche zu ersetzen, die kaputtging, und ja, ein paar Bücher, einen Laptop, den ich für die Zoomkonferenzen brauchte, da mein PC über keine Kamera verfügt. Aber keinen Schnickschnack, nicht den zehnten Rucksack, die zigste Jacke, obwohl ich genügend davon im Kasten hängen habe, nicht noch jenes Paar bunte Sneakers, das mich in Normalzeiten vielleicht angelächelt hätte. Eine neue Chanukkia habe ich mir diesen Winter geleistet. Die war dann aber auch wirklich so ein bisschen Balsam auf der Seele – ihr Kerzenlicht brachte nicht zuletzt in der Chanukkawoche auch ein bisschen Normalität ins Leben: wenigstens das konnte man so tun wie immer, Abend für Abend den Leuchter am Fensterbrett entzünden.
Eine Pandemie lehrt in gewisser Weise auch Bescheidenheit. Heute wünsche ich mir, dass ich mir davon auch ein Quäntchen in die Postpandemiezeit hinüberrette. Deren Beginn wird aber erst eingeläutet, wenn genügend Menschen geimpft wurden. Womit wir wieder beim Anfang dieses Eintrags sind: ich wünsche sie mir so sehr, diese Impfung. Und kann aber selbst nichts dazu beitragen, um dieses Ziel zu erreichen. Zach ist das und lässt sich dennoch nicht ändern. So bleibt nur, sich nicht allzu sehr in diese Sehnsucht zu vertiefen, denn das demotiviert mehr als es motiviert.