Die Osterfeierlichkeiten sind zu Ende, die Ostereier sind gefunden (oder nicht), das eine oder andere Schokohäschen harrt wohl noch des Verspeistwerdens (oder landet irgendwann im Schokoladefonduetopf). Ebenfalls zu Ende ist das heurige Pessachfest, und honestly: nach einer Woche freut man sich dann doch schon sehr, wieder normales Brot zu essen. Noch dazu, wenn man, wie wir, heuer auf das retrospektiv ziemlich falsche Pferd gesetzt hat: Vollkorn-Matzot. Die schmecken nämlich dann neben knäckebrotartig auch noch so ein bisschen verbrannt und nein, das ist keine Wiederholung wert. Nächstes Jahr gibt es dann wieder die ganz herkömmlichen und wer nun den Rest der Vollkorn-Variante aufisst, deren Stapel nur langsam kleiner werden wollte, weiß ich noch nicht. Irgendjemand wird sich erbarmen müssen. Oder sie werden zu Matzeknödel verarbeitet, nur: schmecken die Knödelchen dann auch so ein bisschen angebrannt? Try and error.

Nun ist es ja so, dass Ostern und Pessach oft zeitlich sehr nahe beieinander liegen. Und Eier spielen kulinarisch da wie dort eine Rolle. Beim Pessachfest ist das Ei Bestandteil jener symbolischen sechs Speisen, die auf der Seder-Platte angerichtet werden. Die Gründe, warum die beiden Feste begangen werden, sind aber völlig unterschiedliche: Pessach erinnert an den Auszug der Israeliten aus Ägypten, Ostern an die Auferstehung von Jesus. Dass nicht theologisch Gebildeten da vielleicht einmal etwas durcheinandergeraten kann: soll sein. Dass das aber einem Kardinal passiert, ist eher erstaunlich.
Gedanken zu Pessach von Kardinal Schönborn
Insofern war ich dann doch etwas überrascht, als ich Ende März einen Beitrag von Kardinal Christoph Schönborn in der Kronenzeitung las. Die Überschrift lautete "Ostern bei Juden und Christen", der erste Satz: "Gestern Abend hat Pessach, das jüdische Osterfest, begonnen." Bevor der Kardinal, ja grundsätzlich sehr nett, "unseren jüdischen Mitbürgerinnen und Mitbürgern", die Freude und den Segen des Festes wünschte (wobei: die leidigen Mitbürger), beschrieb er genau, worum es bei Pessach geht: "die Befreiung der Versklavung aus Ägypten". Und: "Pessach lehrt bis heute die Juden, dass die Situation nie verloren ist. Darum ist es für sie so wichtig, beim Pessachmahl, dem Seder, an all die Ereignisse zu erinnern, die damals in Ägypten geschehen sind, besonders in der Nacht, in der die Israeliten aus Ägypten in die Freiheit gelangten."
Die Überleitung zu Ostern ist dann stringent: "Unser Osterfest ist untrennbar mit seinen jüdischen Wurzeln verbunden. Ohne sie ist gar nicht verständlich, was Jesus in diesen Tagen in Jerusalem getan und erlitten hat. Mich berührt es jedes Jahr, wenn Juden und Christen, oft zeitgleich, Ostern feiern. Auch für die Christen ist es der Höhepunkt des Jahreskreises. Ostern verbindet uns und zeigt zugleich die schmerzliche Trennung, die nach wie vor zwischen uns besteht."
Und da ist dann doch ganz klar zu sagen: nein, nein und nochmals nein. Juden und Christen feiern nicht Ostern – Juden begehen Pessach und Christen Ostern. Und nein, Pessach ist nicht das jüdische Osterfest. So wie es keine jüdischen Kirchen gibt, die heißen Synagogen, so wie es kein jüdisches Weihnachten gibt, denn zu Chanukka wird eine ganz andere Begebenheit gefeiert als zu Weihnachten, so gibt es auch keine jüdisches Ostern. Und wenn man die eigenen Kategorien über alles andere drüberstülpt, dann ist das, trotz aller Freundlichkeit und aller Auseinandersetzung mit dem Anderen, dennoch kein Austausch auf Augenhöhe.
Das andere hat Bestand für sich alleine, es muss in keine Kategorien gepresst werden. Es muss für sich und nur für sich stehen können und sich nicht dem Verständnis von der eigenen Religion unterordnen. Natürlich gibt es Kontinuitäten zwischen Judentum und Christentum, ohne Judentum gäbe es kein Christentum, das eine baut auf dem anderen auf, die Tora, die zehn Gebote, darauf gründen die ethische Überlegungen von Juden und Christen, darauf gründen unsere Ansprüche an uns als Menschen. Und dennoch gibt es auch große Unterschiede und gerade diese großen christlichen Feste Weihnachten und Ostern, bei denen es um Jesus geht, Jesus, ohne den die Gründung des Christentums nie erfolgt wäre, die sind etwas eigenes Christliches und können schon von daher keine jüdische Entsprechung haben.
Wenn Regeln erdrückend werden
Was richtig ist, ist, dass Jesus, der Jude war, viel am damaligen Verständnis von Religion – und das war damals eben das Judentum als erster Ein-Gott-Glaube - auszusetzen hatte. Er war, wie man heute sagen würde, ein Revolutionär, ein Kritiker seiner Zeit. Und ja, Religion kann Menschen viel Trost spenden, Religion kann aber mit ihrem Regelwerk und ihren strikten Vorgaben auch erdrückend wirken. Es kommt also immer darauf an, wie Religion praktisch gelebt wird, wie sie sich weiterentwickelt, wie sie der Zeit und den Bedürfnissen der Menschen angepasst wird.
Zu Ostern und zu Pessach, da gibt es dann doch wieder eine Gemeinsamkeit, denn es kehrt (nach den aufwendigen Vorbereitungen vor allem kulinarischer Art) immer etwas Ruhe ein, Arbeit wird zurückgestellt, die Familie tritt in den Vordergrund und da gibt es dann gemeinsame Zeit, Zeit für Unternehmungen, Zeit für Gespräche, Zeit, die Seele baumeln zu lassen. Nun, Pessach in Lockdown-Zeiten, damit haben wir ja nun schon Erfahrung. Das Ausweichen ins Digitale wurde uns in diesem Jahr inzwischen zur Gewohnheit und da war es fein, dass jüngst die dritte Staffel der israelischen TV-Serie "Shtisel" on air ging.
Und "Shtisel" ist, wäre die Geschichte in Buchform erschienen, ein page turner: man will wissen, wie es weitergeht, sofort. So bingt man eben Folge um Folge und da boten sich die Feiertage wunderbar dazu an. Nun ist gerade diese dritte Staffel "Shtisel", die in der Ultraorthodoxie im Jerusalemer Stadtteil Geula spielt, allerdings keine Wohlfühlkost. Natürlich könnte man sich das schönreden, denn wann sonst wird so selbstverständlich das Jiddische in Konversationen eingebettet? Aber nein, man möchte wissen, wie es mit diesen geplagten Seelen weitergeht, ob ihr Schicksal vielleicht doch noch in eine gute Richtung gewendet werden kann, besser: ob sie sich bitte vielleicht einmal nicht selbst im Weg stehen.
Denn ja, das muss man ganz direkt aussprechen: in "Shtisel" kommt ganz klar hervor, wie sehr ein gesellschaftliches System, das derart von religiösen Regeln und Dos und Donts und Konventionen geprägt ist, den Einzelnen daran hindert, sich zu entfalten oder schlicht glücklich zu werden. Den Frauen möchte man zurufen: warum tut ihr euch das an! Ihr könntet euch selbst erhalten, ihr seid gar nicht abhängig, warum ordnet ihr euch so sehr unter! Und den jungen Männern möchte man sagen: lernt doch einen Beruf. Erkundet die Welt. Und verschiebt das mit dem Heiraten, bis ihr auf eigenen Beinen steht und bis ihr die Frau gefunden habt, die zu euch passt. Aber gleichzeitig ist hier auch immer jemand da, der einen auffängt. Da ist sehr viel Not auf verschiedensten Ebenen, aber am Ende ist niemand in seiner Not alleine. Und das wiederum finde ich einen sehr positiven und durchaus tröstlichen Aspekt.
Und nun heißt es warten auf die nächste Staffel, von der noch nicht einmal sicher ist, dass es sie geben wird. Dabei müssen die Geschichten von Akiva und Yosale und Ruchami und auch Shulem doch weitergehen und fertig erzählt werden. Vielleicht ist es ja zu Pessach 2022 so weit. Vielleicht werden wir zu Pessach im kommenden Jahr aber auch gar keine Zeit zum Bingewatchen von was auch immer haben, weil wir so damit beschäftigt sein werden, Familie und Freunde im wirklichen Leben zu treffen. Denn ja, diese Pandemie hinter uns zu lassen, das wäre natürlich besser als jede noch so gut gemachte Fernsehserie.