Nichts ist so alt wie die Zeitung von gestern, lautet ein deutsches Sprichwort. Und ja, das stimmt. Schon gibt es neue Nachrichten, neue Entwicklungen, Journalisten wenden die Scheinwerfer von da nach dort. Da versinkt ein Ort wieder im Schatten, da interessiert ein Thema nicht mehr – oder eben plötzlich sehr. Und dennoch haben die Ereignisse, über die medial berichtet wurde, die Welt wieder ein Stück verändert. Auch wie berichtet wurde beziehungsweise wie Menschen diese Nachrichten aufgenommen und weiterverbreitet haben, ändert etwas.

Die jüngste kriegerische Auseinandersetzung zwischen der Hamas und Israel ist beendet. Die Aufregung in und das Stellungbeziehen auf Social Media ist anderen Debatten gewichen. Aber das, was passiert ist, hallt nach. Die Gräben, die da aufgerissen wurden, die schütten sich eben nicht so rasch zu wie neue Schlagzeilen formuliert werden.
Krisen wie die jüngste stellen Juden und Jüdinnen weltweit vor die Herausforderung, dass von ihnen erwartet wird, Stellung zu beziehen. Verurteilen sie die Raketenangriffe der Hamas und bekunden sie Solidarität mit Israel, ist die Sache rasch klar: Rechtszionisten seien das. Denen mache es auch nichts aus, dass palästinensische Kinder getötet werden. Werden Nachrichten aus israelischer Perspektive geteilt, wird das von manchen als Hetze eingestuft. Auch wenn es sich einfach nur um Zeitungsberichte etwa von Haaretz oder der Jerusalem Post handelt.
Welches Verhalten wird erwartet?
Was mir in diesem Kontext wieder einmal unterkam: es gibt immer wieder Situationen, in denen einem von manchen aus der nichtjüdischen Mehrheitsgesellschaft vermittelt wird, wann man ein guter Jude, eine gute Jüdin ist und wann eben nicht. Ein guter Jude während einer gewalttätigen Auseinandersetzung im Nahen Osten, in der Israel involviert ist, ist offenbar einer, der Friedensbotschaften postet. Und zwar ausschließlich. Und der ideale Jude verurteilt Israel. Lautstark.
Nicht so gut kommt an, wer sich über Ursache und Wirkung Gedanken macht oder darüber, dass die Hamas eine Terrororganisation ist und Israel ein demokratischer Staat. Erwartet wird, dass zumindest beide Seiten verurteilt werden, und dann aber vielleicht Israel doch ein Stück mehr, denn dieses habe ja ein schlagkräftiges Militär, sei hier der Goliath, der viel mehr Leid und Elend durch seine Bomben schaffe als dies der Hamas mit ihren eher einfachen Raketen gelinge. Es müssten sich ja nur beide Seiten bemühen und den Streit beilegen. So einfach ist das.
Nur so einfach ist das nicht. Und nun halte ich Friedensbotschaften auch für sehr wichtig. Doch damit alleine wird das Problem nicht gelöst werden. Vor allem nicht, wenn diese Friedensbotschaften einfach negieren, dass hier Terroristen am Werk sind, dass es mitnichten nur um die Interessen von Palästinensern in Gaza geht, denen ich im Übrigen eine demokratische Führung und ein besseres Leben wünsche.
Für ein besseres Leben für alle
Und ja, das sollte doch eigentlich das grundsätzliche Ziel sein: ein besseres Leben, ein Leben ohne Unterdrückung, ein Leben, ohne instrumentalisiert und immer wieder in kriegerische Zustände verwickelt zu werden. Da braucht es aber dann eben den klaren Blick auf das, was eine Terrororganisation wie die Hamas vorhat. Da geht es darum, das Existenzrecht Israels in Frage zu stellen, da geht es eben nicht darum, sich um eine Lösung – wie die Zwei-Staaten-Lösung – zu bemühen. Ich würde mir wünschen, es gäbe hier tatsächlich Unterstützung und Solidarität für Palästinenser, nämlich insoferne, dass sie endlich eine demokratische Regierung bekommen. #freegazafromhamas ist daher ein Hashtag, mit dem ich mich identifizieren kann. Der Hashtag #freegaza dagegen impliziert, wenn man sich eben mit den Zielen der Hamas beschäftigt, dass Juden nichts in Israel zu suchen haben.
Und ja, ich muss zugeben, das Thema wirft dann doch auch einen Schatten auf mein grundsätzliches Bemühen, im Dialog zu sein, aufeinander zuzugehen, niemanden vorzuverurteilen. Oft wird bei offiziellen jüdisch-muslimischen Dialogtreffen das Gemeinsame betont, und das ist wichtig, dann aber auch gesagt: klammern wir den Nahostkonflikt doch aus. Ich muss inzwischen dazu aber sagen: In der Realität erweist sich das nicht als praktikabel. Denn kaum ist die nächste kriegerische Auseinandersetzung da, wird natürlich Stellung bezogen. Und wenn ich da dann auf einem Social Media-Profil ein #freegaza-Meme nach dem anderen lese und ausschließlich Berichte über getötete Kinder (und ich möchte hier natürlich sagen: ich trauere hier um jedes getötete Kind, egal ob palästinensisch oder israelisch, Kinder sind die Hauptleidtragenden solcher Konflikte) und nichts über die Hamas, dann hinterlässt mich das doch etwas ratlos.
Die Sache mit der Islamlandkarte
Genauso ratlos übrigens wie in Österreich die Sache mit der Islam-Landkarte. Denn einerseits verstehe ich das Bemühen, hier Information zu sammeln und zu vermitteln. Je mehr man über etwas weiß, desto eher werden auch Sorgen entkräftet. Ich würde zum Beispiel gerne mehr über die Ausrichtung der Moschee wissen, die sich in meiner Wohngegend befindet. Wer sind die Menschen, die dort beten? Woher kommen sie? Wofür treten sie ein?
Doch der erste Gedanke, den ich anlässlich der Präsentation dieser Landkarte hatte, war: und wer wird nun all diese Einrichtungen schützen? Und es dauerte nicht lange, da berichteten die ersten Moscheen und Vereine, dass Taferln in ihrem Umfeld angebracht worden seien, die vor dem politischen Islam warnten. Ein Bumerang also, die Landkarte in dieser Umsetzung.
Ja, es braucht eine klare Auseinandersetzung damit, welche islamischen Initiativen näher beim Extremismus als bei der Religionsausübung angesiedelt sind. Da kommt dann auch das Thema Antisemitismus ins Spiel. Nur: da muss man sensibel und vorsichtig vorgehen. Da darf es nicht passieren, dass alle Muslime unter Generalverdacht gestellt werden. Das schafft doch nur neue Probleme, noch mehr Abgrenzung und Ausgrenzung, noch weniger Dialog. Und den braucht es. Dringend.
Und vielleicht sogar noch mehr. Vielleicht wäre es auch an der Zeit, über schwierige Themen wie eben die Situation in Gaza und in Israel zu sprechen. Gewitter sind auch reinigend, heißt es. Aussprachen können heftig sein, aber vielleicht wird dann doch eine bessere Basis für ein gutes Miteinander geschaffen. Vielleicht gelingt es in so einem Prozess auch, von beiden Seiten aus der jeweiligen Perspektive die geschichtliche Genese, die politischen Rahmenbedingungen, die Interessen hinter dem Konflikt zu sezieren, zu analysieren. Das würde nämlich auch mehr Information, mehr Fakten in den Diskurs zu dem Thema hier in Österreich einfließen lassen.
Das wäre aber auch wichtig, um dem Thema Antisemitismus nachhaltig zu begegnen. Denn ja, der machte sich in den vergangenen Wochen wieder kräftig bemerkbar. Und wenn man sieht, wie jüdische Jugendliche hier damit kämpfen, wenn in ihrem Peer-Umfeld Israel pauschal verteufelt wird, wenn sie nicht mehr wissen, wie sie sich angesichts dieser Flut von problematischen Memes diverser Influencer, die im Freundes- und Bekanntenkreis fleißig weiterverteilt werden, positionieren, behaupten, verhalten sollen und sich fragen, was das mit ihren Freundschaften mit Klassen- oder Studienkollegen macht, dann braucht es so eine grundsätzliche und offen ausgetragene Debatte dringend.