Anlässlich des Erscheinens meines neuen Buches "Jude ist kein Schimpfwort" (Verlag Kremayr & Scheriau) habe ich in den vergangenen Wochen in Interviews viele Fragen beantwortet. Oft wollten die Kollegen und Kolleginnen wissen: wie aber kann man einen unbeschwerteren Umgang von Nichtjuden mit Juden erreichen? Ist da nicht das beste Rezept, miteinander ins Gespräch zu kommen? Und ja, das ist es. Persönliche Begegnungen schaffen Verständnis, entkräften Vorurteile, führen zueinander. Nur: wie soll eine kleine jüdische Gemeinde mit knapp 8.000 Mitgliedern in einer Millionenstadt wie Wien das bewerkstelligen?
Es gibt sie dennoch, die Bemühungen in diese Richtung. Da steht etwa – wenn nicht gerade eine Pandemie solche Veranstaltungen verunmöglicht – im Frühsommer das jüdische Straßenfest auf dem Kulturprogramm der Israelitischen Kultusgemeinde (IKG) Wien, bei dem sich nicht nur die Einrichtungen der jüdischen Community vorstellen, sondern auch Vereine, NGOs, Geschäfte, Gastronomen präsent sind. Da gibt es im Herbst den Tag der Offenen Türen. Und es gibt Likrat.
Das Motto von Likrat lautet: "Lasst uns reden!" Die Likratinos sind jüdische Jugendliche, die in Schulklassen an nichtjüdischen Schulen gehen und sich dort all den vielen Fragen stellen, die an sie gerichtet werden. Von diesem Dialog profitieren beide Seiten: nichtjüdische Jugendliche bekommen Antworten auf ihre offene Fragen, jüdische Jugendliche bekommen ein Gefühl dafür, wie andere über sie denken beziehungsweise wo in der Kommunikation der Schuh drückt. Probleme, die man kennt, kann man bearbeiten. Wissenslücken, die sich offenbaren, kann man schließen.
Corona-bedingt waren nun eine lange Zeit keine Besuche von Likrat an Schulen möglich. Darüberhinaus gibt es, eben der Kleinheit der jüdischen Gemeinde geschuldet, zu wenige Likratinos, um Schulen wirklich flächendeckend besuchen zu können.
Sheela-Clips
Nun hat Likrat ein neues digitales Format entwickelt, das einen einfachen Zugang zum Leben junger Jüdinnen und Juden ermöglicht. Auf dem Youtube-Kanal von Likrat Austria finden sich seit ein paar Wochen immer wieder Spots unter dem Motto "Sheela" – "Frage". Die Likratinos greifen in den kurzen Clips Fragen auf, die ihnen auch im Präsenzformat immer wieder gestellt werden und beantworten sie pointiert und locker.
Vier Folgen wurden bisher gedreht und online gestellt: sie reichen von "Wieso gibt es keinen Platz für nichtjüdische Menschen im Himmel?" über "Warum macht ihr mit den Palästinensern das, was die Nazis mit euch gemacht haben?" bis zu "Sind Frauen im Judentum benachteiligt?" Schon diese drei Fragen machen klar, wie vorurteilsbehaftet die Vorstellungen von dem, was Judentum bedeutet beziehungsweise wie Juden denken und handeln, noch immer ist. Denn nein, das machen die Jugendlichen in einem der Videos klar, der Himmel steht natürlich nicht nur Juden offen – sondern jedem, der "die Welt zu einem besseren Ort gemacht" habe.
Und was diesen Vergleich zwischen Holocaust der Nazis mit dem Umgang der Israelis mit Palästinensern betrifft: da verbirgt sich schon der erste Fallstrick. Jüdische Jugendliche in Wien sind eben jüdische Jugendliche in Wien. Punkt. Er sei schon ein bisschen traurig über diese Frage, sagt einer der Likratinos, nämlich deshalb, "dass man so etwas denkt oder so etwas sagt". "Ich habe nichts mit Palästinensern gemacht", meint ein Mädchen, ein Bursche: "Ich lebe in Wien und ich habe einem Palästinenser noch nie etwas Schlimmes gewünscht." Hier überhaupt so einen Vergleich zu ziehen, das verharmlose die Schoa, denn in der NS-Zeit seien sechs Millionen Jüdinnen und Juden systematisch ermordet worden.
Auf dem Youtube-Kanal kann unter den Clips per Kommentarfunktion diskutiert werden – hier ist auch der Ort, neue Fragen zu formulieren, die dann vielleicht in künftigen Spots beantwortet werden. Noch ist das Echo hier verhalten. Das Format hat im raschen Social Media-Zeitalter allerdings durchaus Potenzial: komplexe Themen werden hier flott und knapp in wenigen Minuten abgehandelt, dabei gehen die Likratinos aber doch insoferne in die Tiefe, als sie den Zusehenden jede Menge Denkanstöße mitgeben. Vielleicht tut sich da reaktionsmäßig in den kommenden Wochen noch ein bisschen mehr.
Ich hätte da ja auch einige Fragen an die jüdischen Jugendlichen, die sich bei Likrat engagieren: Warum macht ihr das? Inwiefern hat euch dieser Austausch persönlich weitergebracht? Was war die absurdeste Frage, die euch je gestellt wurde? Und haben sich aus diesen Begegnungen an Schulen auch Freundschaften entwickelt?