Serien wie "Shtisel" und "Unorthodox" holen die Lebenswelt ultraorthodoxer Jüdinnen und Juden in vielen Ländern der Welt via Streaming-Diensten in die Wohnzimmer und erfreuen sich großer Beliebtheit. Der Blick in eine Gesellschaft, deren Alltag so anders ist als jener von christlichen Familien in Europa oder Amerika, scheint eine besondere Faszination auszuüben.

Beide genannten Serien schildern allerdings die ultraorthodoxe Gesellschaft nicht überschwänglich positiv. "Unorthodox" nimmt seinen Ausgang in der Satmarer Community in New York, erzählt wird die Geschichte einer Aussteigerin. Dass hier die Charedim nicht besonders positiv wegkommen, liegt in der Natur der Sache. Der Serie liegt ein Buch zu Grunde, dessen Autorin Deborah Feldman selbst ihrer Herkunftsgemeinde den Rücken gekehrt hat. "Shtisel" ist wiederum eine israelische Produktion und auch in Israel angesiedelt. Hier steht vor allem die Sozialkritik im Vordergrund, die hier gezeichneten Figuren scheinen gefangen in gesellschaftlichen Zwängen und Traditionen.

Auf Facebook machte in den vergangenen Wochen ein Eintrag eines Israeli die Runde, laut Eigendefinition "ein ultraorthodoxer, chassidischer, charedischer Jude", der säkular aufwuchs und sich als Erwachsener entschloss, fromm zu leben. Doniel Katz geht mit Fernsehproduktionen, welche die Ultraorthodoxie thematisieren, dabei hart ins Gericht. Die Darstellung von Charedim sowohl in Serien als auch immer wieder in Nachrichtenbeiträgen "is somewhere between delusion, slander and the literal equivalent of racism" ("ist irgendwo zwischen Wahnvorstellungen, Verleumdungen und Rassismus angesiedelt", Anm.).

Über Wärme und Verbundenheit

Katz hält dem entgegen, wie das Leben in einer charedischen Nachbarschaft wirklich sei. Er erzählt, dass die meisten Männer neben dem täglichen Tora-Studium auch einer Erwerbsarbeit nachgehen, dass viele Frauen arbeiten, seine Frau allerdings nicht, sie habe sich trotz eines Abschlusses an einem Ivy League College dazu entschieden, Fulltime-Mutter zu sein. Seine Kinder besuchen Tora Schulen, lernen aber auch Grammatik, Mathematik und Wissenschaft. Sie spielen Musikinstrumente und üben Sportarten wie Schwimmen und Tae Kwo Do aus. Männer wie Frauen kleiden sich "modest" (entsprechend bedeckt und sittsam, Anm.), Mädchen fänden das nicht bedrückend, sie würden im Rahmen der eigenen Mode genauso wie andere Mädchen versuchen, hübsch zu sein und keinesfalls würden sie gelehrt, ihren Körper zu hassen.

In Familien, die er kenne und in denen sich Kinder vom ultraorthodoxen Judentum abwenden, gehe das nicht automatisch mit einem Verstoß der Tochter oder des Sohnes einher. Er sage nicht, dass es das nicht gebe. "I’m just saying it’s not as common as it’s made out" ("Ich sage nur, dass es nicht so üblich ist, wie behauptet.", Anm). Natürlich gebe es auch bei den Charedim unterschiedliche Menschen, manche seien wärmer, netter und offener, andere verschlossener, dogmatischer, wertender. So sei das aber in anderen Nachbarschaften auch.

Als jemand, der eben säkular aufgewachsen sei und inzwischen charedisch lebe, könne er jedenfalls bezeugen, "that in these communities there is generally a greater and more tangible sense of well-being, warmth, tranquillity connection and meaning" ("dass in diesen Gemeinschaften im Allgemeinen ein größeres und greifbareres Gefühl von Wohlbefinden, Wärme, Ruhe, Verbundenheit und Sinn herrscht", Am.).

Eine Frage de Perspektive

Nun verstehe ich den Reflex, den Lifestyle, den man für sich selbst gewählt hat, zu verteidigen. Es schmerzt, wenn das, was man selbst als glückliches und sinnerfülltes Leben empfindet, von anderen anders gesehen wird. Das hat aber natürlich immer mit der Frage der Perspektive zu tun. Dass Deborah Feldman, die bei den Satmarern alles andere als glücklich wurde, die Utraorthodoxie vor allem als einengend und bedrückend schildert, ist nachvollziehbar. Heißt das, dass alle, die so aufwachsen, ähnlich fühlen und leiden? Natürlich nicht.

"Shtisel" ist überhaupt eine fiktive Familiensaga und da spielt die Dramaturgie natürlich eine große Rolle. Lebensgeschichten, die völlig friktionsfrei von der Geburt über die Hochzeit und Familiengründung bis zum Tod verlaufen, sind erzählerisch wenig spektakulär. Gute, spannende Geschichten leben von Brüchen, von überraschenden Wendungen, von Schmerz und Hochgefühl, von Irrungen, Missverständnissen, Charakteren, die eben nicht immer alles unter Kontrolle haben.

Was solche Produktionen allerdings sicher nicht sind, ist rassistisch. Und nein, sie sind auch nicht Auswuchs von Wahnvorstellungen. Feldman hat erlebt, was sie erlebt hat. Katz erlebt seinen Alltag völlig anders, was vielleicht auch damit zu tun hat, dass er dieses Leben für sich selbst gewählt hat. Es ist schön und auch legitim, dass er nun versucht, das öffentliche Bild von der Ultraorthodoxie mit seinen Schilderungen zurechtzurücken. Aber eben: es ist seine Perspektive. Das Ganze wird ein Außenstehender nur zu fassen bekommen, wenn er Zugang zu verschiedensten Blickwinkeln hat. Da ist Katz Beitrag ein wichtiger. Er wäre es aber auch, wenn er anderen Darstellungen nicht Rassismus unterstellen würde.