Die "Judensterne" der Nazis, mit dem Schriftzug "Ungeimpft" darauf, sind seit Monaten auf Demonstrationen gegen Maßnahmen zur Eindämmung der aktuellen Pandemie in Österreich, aber auch in Deutschland zu sehen. Ein Schild mit Hitler-Konterfei und der Aufschrift "Impfen macht frei" wurde jüngst von einer Demoteilnehmerin am Wiener Heldenplatz getragen, Fotos davon machten postwendend auf Social Media die Runde.

Auf einer Schautafel in der Freiluftausstellung "Das Wiener Modell der Radikalisierung" des Hauses der Geschichte am Wiener Heldenplatz ist der von den Nazis geschaffene "Judenstern" zu sehen. Auf den Straßen heute hat dieser Stern nichts mehr zu suchen. 
- © Alexia Weiss

Auf einer Schautafel in der Freiluftausstellung "Das Wiener Modell der Radikalisierung" des Hauses der Geschichte am Wiener Heldenplatz ist der von den Nazis geschaffene "Judenstern" zu sehen. Auf den Straßen heute hat dieser Stern nichts mehr zu suchen.

- © Alexia Weiss

Anti-Impf-Aktivisten ziehen zudem bei Demo-Auftritten immer wieder merkwürdige Vergleiche, wie etwa Robert F. Kennedy junior, der kürzlich bei einer Rede in Washington kundtat, Impfgegnern gehe es heute schlechter als Anne Frank damals. Die Rechte der Menschen würden durch die Schutzmaßnahmen der Gesundheitsbehörden verletzt, die Empfehlungen des Chef-Virologen der US-Regierung, Anthony Fauci, erinnere an "faschistische Maßnahmen", so Kennedy weiter. Da reihen sich auch Sticker ein, die Hannah Menne, Mitarbeiterin der Theodor Kramer-Gesellschaft, heute in Wien ausgerechnet in der Leopoldstadt entdeckte: sie zeigen Gesundheitsminister Wolfgang Mückstein, darunter steht "Dr. Mengele".

"Neue Juden"

Lachhaft, könnte man in einer ersten Reaktion sagen. Aber auch: was für eine Farce, dass gerade auf Demonstrationszügen, bei denen Rechtsextreme wie der mehrmals wegen NS-Wiederbetätigung verurteilte Gottfried Küssel oder Vertreter der Identitären mitmarschieren, wie das in Wien immer wieder der Fall ist, der Holocaust herangezogen wird, um seiner Empörung Luft zu machen. Man stellt sich in eine Linie mit den Opfern von damals – wie sagte der frühere FPÖ-Chef Heinz-Christian Strache vor zehn Jahren beim Ball der Burschenschafter zu anderen Gästen: "Wir sind die neuen Juden."

Das stimmt auf ganz vielen Ebenen nicht. Erstens ist der Begriff "Jude" kein Synonym für "Opfer". Vor allem aber würdigen jene, die hier solche unpassenden Vergleiche ziehen, das Leid der tatsächlichen Opfer von damals herab. Sie relativieren damit den Holocaust. Und das ist nicht zu tolerieren.

Am morgigen 27. Jänner wird in vielen Staaten der Welt der Holocaust-Gedenktag begangen. An diesem Tag wurde 1945 das Vernichtungslager Auschwitz-Birkenau durch die Rote Armee befreit. In Wien lädt seit vielen Jahren das Bündnis "Jetzt Zeichen setzen", dem neben der Israelitischen Kultusgemeinde (IKG) und dem Mauthausen Komitee viele NGOs, Gewerkschaften, die Österreichische HochschülerInnenschaft (ÖH) aber auch grüne und sozialdemokratische Organisationen und Verbände, die KPÖ und verschiedenste Gedenkinitiativen angehören, zu einem Festakt auf dem Heldenplatz. Pandemiebedingt fällt die Feier vor Ort – wie bereits in den vergangenen Jahren von der Schauspielerin Katharina Stemberger moderiert - heuer klein aus, sie wird aber als Lifestream im Netz zu sehen sein. Ebenfalls online veröffentlicht werden zudem Interview mit Zeitzeugen und –innen und deren Enkeln, die an Wiener Schauplätzen von damals mittels Videoprojektion gezeigt werden.

Falsche Vergleiche

Das Thema, dem sich die Plattform "Jetzt Zeichen setzen" heuer widmet: "Niemals vergessen: Keine Relativierung des Holocaust!" "Die Relativierung der Schoa, der schrecklichen Verbrechen des Nationalsozialismus, durch falsche Vergleiche darf nicht schweigend hingenommen werden", heißt es in dem Aufruf für die Veranstaltung. Und weiter: "Durch die Corona-Pandemie hat die Relativierung der Verbrechen der Nationalsozialist:innen weiter Verbreitung gefunden. Doch ungeimpfte Menschen sind nicht ‚die neuen Juden’ und die Maßnahmen der Regierung sind, auch dort, wo sie kritikwürdig sind, nicht ‚das neue 1938’. Unrecht wird nicht weniger schlimm, wenn es lange vorbei ist. Menschenrechtsverletzungen werden nicht weniger krass, wenn es niemanden mehr gibt, der direkt davon Zeugnis ablegen kann."

In Berlin geht die Polizei nun gegen das Tragen von "Ungeimpft"-Sternen vor. Dies wird nun dort ganz offiziell als Verharmlosung des Holocaust und damit als Straftat gewertet. In Österreich ließ hier heute Nationalratspräsident Wolfgang Sobotka (ÖVP) aufhorchen. Er wünsche sich einen neuen Straftatbestand zu Antisemitismus, sagte er. "Wenn man heute den Hitler-Gruß macht, dann ist das strafbar. Aber wenn jemand den David-Stern trägt oder mit Parolen wie ‚Wir sind die neuen Juden’ bei einer Demonstration durch die Stadt marschiert, hat das keine strafrechtlichen Folgen. Die Verächtlichmachung der Opfer des Nazi-Regimes muss ein Straftatbestand sein", forderte Sobotka laut mehreren Medienberichten am Rand einer Berlin-Reise. Ob es hier ein eigenes Gesetz geben oder das Verbotsgesetz entsprechend novelliert werden soll, darüber solle das Parlament auf breiter Basis diskutieren. Zustimmung kam hier von der IKG, aber auch Justizministerin Alma Zadic (Grüne) sagte, sie schließe sich hier der Meinung Sobotkas an und werde das prüfen.

In der internen Anweisung an die Berliner Polizei wurde übrigens vorsorglich festgehalten, dass das Tragen blau-weißer Davidsterne in der Öffentlichkeit als religiöses Zeichen nicht strafbar sei. Wie immer macht hier also der Kontext auch die Konnotation aus. Der gelbe "Judenstern" der Nazis, finde ich, gehört jedenfalls grundsätzlich nicht mehr auf die Straße – sondern ausschließlich in Geschichtsbücher und ins Museum beziehungsweise in Ausstellungen.

Gelbe Stoffbahnen

In einer solchen ist er übrigens aktuell gerade auf dem Heldenplatz zu setzen: Das Haus der Geschichte Österreich (hdgö) präsentiert derzeit in einer Freiluftausstellung "Das Wiener Modell der Radikalisierung. Österreich und die Shoah". Darin zu sehen sind nicht nur Fotos mit Menschen, die in der NS-Zeit gezwungen wurden, den "Judenstern" zu tragen, sondern gezeigt wird auch eine Aufnahme einer Stoffbahn, aus der dann die einzelnen Sterne herausgeschnitten wurden. Man steht vor dieser Aufnahme und denkt sich: selbst da waren sie noch effizient, die Nazis. Auf gelbem Stoff wurde da dicht an dicht in schwarz ein Stern neben dem anderen mit der Aufschrift "Jude" gedruckt. Sieht man genauer hin, sieht man rund um jeden Stern eine feine gestrichelte Linie – hier entlang sollte geschnitten werden. Am Ende blieben nur kleine Rauten gelben Stoffes über.

Die Effizienz im Morden stand im Mittelpunkt der "Wannseekonferenz" im Jänner 1942. Der neue TV-Film "Die Wannseekonferenz" von Matti Geschonek mit Philipp Hochmair als Reinhard Heydrich und Johannes Allmayer als Adolf Eichmann lief diese Woche auf mehreren deutschsprachigen Fernsehsendern. Tage lang habe ich überlegt, ob ich in mir nun ansehen soll, diesen Film, oder nicht. Warum? Weil Filme wie dieser bei mir Alpträume auslösen und ich wohl nicht zu der Gruppe von Menschen zähle, die hier Aufklärung und Bewusstmachung brauchen. Am Ende habe ich ihn mir natürlich doch angesehen. Wo bringe man denn die Juden nach ihrer Ankunft im Osten unter, wurde da im Film die Figur Dr. Rudolf Lange (gespielt von Frederic Linkemann), er war in Lettland eingesetzt, gefragt. "Ein kleiner Waldspaziergang und das war’s", antwortet diese betont nonchalant. Ich habe mir diese Worte sofort notiert und seitdem spuken sie mir im Kopf herum und sie wollen nicht wieder verschwinden. "Ein kleiner Waldspaziergang und das war’s."

Am selben Abend zeigte der ORF diesen Montag die Dokumentation "Jud Süß 2.0" (sie ist auch noch für einige Tage in der TVthek des ORF abrufbar). Der Arte-Film mit dem Untertitel "Antisemitismus – ein hartnäckiges Virus" seziert, wie sich Antisemitismus damals und heute äußert. Er zeigt schonungslos Parallelen in Darstellungen und Deutungen auf. Juden wollen einerseits verdienen, andererseits die Menschheit vergiften – mit beidem wird auf verschwörungstheoretischen Seiten auch heute gegen die Impfung gegen Covid-19 mobilgemacht.

Über Kontinuitäten

Da provozierte zum Beispiel der oberösterreichische Künstler Manfred Kielnhofer auf Social Media, aber auch auf seinem Blog, mit einer Fotomontage: sie zeigte einen aus Spritzen geformten Davidstern. Gegenüber den "Oberösterreichischen Nachrichten" räumte er dann zwar ein, übers Ziel hinausgeschossen zu sein. Aber in demselben Interview sagt er auch: Es sei "doch klar, dass die Hersteller von Impfstoffen oft jüdisch sind. Ich hab’ das irgendwo gelesen. Schauen Sie doch nach, wer die Chefs der Pharma-Industrie sind." So funktioniert Verschwörung 2022. "Ich hab das irgendwo gelesen" – und schon wird ein antisemitisches Motiv ins Netz gestellt. Sowohl in Steyr als auch in Linz werden übrigens seine bis dahin im öffentlichen Raum aufgestellten Skulpturen nicht mehr zu sehen sein.

Solchen Aktionen ist ebenso Einhalt zu gebieten wie der aktuell zu beobachtenden Verharmlosung des Holocaust durch unpassende Vergleiche. Ja, es gab viele Genozide in der Geschichte und sie waren alle schrecklich und für den einzelnen Betroffenen tödlich. Aber nicht zuletzt diese eindrückliche filmische Darstellung der "Wannseekonferenz" diese Woche sollte vielen klar gemacht haben: die hier durchgeplante Ermordung und vorherige Ausbeutung – durch Vermögensentzug, durch Arbeit –, von Millionen Menschen, bei der man möglichst viele Menschen in möglichst kurzer Zeit töten wollte, und dabei auch noch mitbedachte, dass dieses Morden für die Mordenden nicht allzu belastend sein sollte, die ist in der Geschichte bisher wirklich einzigartig. Und ja, das darf niemals vergessen werden. Nicht am morgigen Holocaust-Gedenktag und nicht an jedem anderen Tag des Jahres.