Österreich hat also wieder eine ÖVP-FPÖ-Regierung. "Fein, großartig!", sagen die einen. "Wird auch wieder vorbeigehen", sagen die anderen. "Wir müssen widerständig sein", meinen die Dritten. Zu letzteren zählt auch Benjamin Hess, Jusstudent und Co-Vorsitzender der Jüdischen Österreichischen HochschülerInnen (JÖH). Er ergriff am Montag bei der Kundgebung am Heldenplatz anlässlich der Regierungsangelobung das Wort und betonte: Die JÖH stehe "für Demokratie, den Rechtsstaat, die Menschenrechte, die Rechte von Minderheiten sowie Pluralismus". Anschließend ging er mit der FPÖ hart ins Gericht.

Benjamin Hess, Co-Vorsitzender der Jüdischen Österreichischen HochschülerInnen (JÖH), warnt in einer Rede am Heldenplatz vor Rassismus, Diskriminierung und Hetze.  - © Alexia Weiss
Benjamin Hess, Co-Vorsitzender der Jüdischen Österreichischen HochschülerInnen (JÖH), warnt in einer Rede am Heldenplatz vor Rassismus, Diskriminierung und Hetze.  - © Alexia Weiss

"Die FPÖ setzt rechtsextreme Burschenschafter nicht nur ins Parlament, sondern dank der Unterstützung seitens der Kurz-ÖVP auch in die Regierung. Die FPÖ ist eine Partei, die nicht nur mit dem organisierten Rechtsextremismus kokettiert, sondern ihn auch nachweislich fördert. Diese FPÖ, die nur so von lauter antisemitischen Einzelfällen eingedeckt ist, soll nun in dieser Regierung die vollkommene Kontrolle über alle uniformierten Kräfte erhalten. Wir lassen uns nicht davon blenden, dass die FPÖ sich mit ihrer vermeintlichen pro-israelischen Haltung von den zahllosen Einzelfällen in ihren Reihen ablenken will. Diese FPÖ, die sich in verfassungsfeindlichen Kreisen bewegt, erhält nun das Sagen über den Verfassungsschutz. Wir werden am heutigen Tag Zuschauer eines erschreckenden Ereignisses. Wir werden heute Zeugen davon, wie Rechtsextremen der rote Teppich in die Hofburg ausgelegt wird."

"Preis für Ohnmacht ist zu hoch"

Die Jüdischen HochschülerInnen wollen hier nicht tatenlos zuschauen, so Hess weiter. "Wir müssen gegen Rassismus, Diskriminierung und Hetze auftreten, egal, ob wir oder andere davon betroffen sind, egal ob wir die Betroffenen mögen oder nicht, egal, ob wir von der Hetze vermeintlich profitieren oder nicht. Es ist unsere Pflicht, das Aufkommen von menschenverachtendem rassistischen Gedankengut entschieden zu verhindern." Die demokratische Zivilgesellschaft dürfe nie wieder ohnmächtig sein, denn der Preis, der dann gezahlt werde, sei zu hoch. "Meine Großmutter war wegen dieser Ohnmacht im KZ. Wir dürfen es niemals wieder so weit kommen lassen! Wir müssen zusammen den Protest leben. Toleranz gegenüber Intoleranz ist keine Lösung, sondern Teil des Problems."

Hess sprach damit einen Punkt an, über den in der jüdischen Gemeinde gerade dieser Tage, gerade nach den weltweiten Protesten gegen die Anerkennung von Jerusalem als Israels Hauptstadt durch US-Präsident Donald Trump, bei der auch Antisemitisches, auch in Wien vor der US-Botschaft, zu hören war, viel diskutiert wird. Die Sorge vor muslimischem Antisemitismus, den die Freiheitlichen versprechen zu bekämpfen, dieses Versprechen aber von ihnen gleichsam als Teil von Hetze gegen Muslime missbraucht wird.

"Wachsam und kritisch bleiben"

Und so betonte auch Oskar Deutsch, Präsident der Israelitischen Kultusgemeinde (IKG) Wien, am Montag, in einer Stellungnahme anlässlich der Regierungsangelobung: Die Regierungsbeteiligung der FPÖ sei besorgniserregend. Darüber könnten auch die Bekenntnisse zu Menschenrechten und Europa nicht hinwegtäuschen. "Die ÖVP und die parlamentarische Opposition sowie die Zivilgesellschaft sind aufgerufen, besonders wachsam und kritisch zu bleiben." Und: "Es kann niemals Normalität werden, dass eine rechtspopulistische bis rechtsextreme Partei, deren Vertreter immer wieder Schwierigkeiten hatten, sich vom Nationalsozialismus zu distanzieren und Stimmung gegen Menschen anderer Kulturen und Religionen gemacht haben, in Regierungsverantwortung gelangt." Für besonders bedenklich hält Deutsch, dass gerade diese Partei nun die politische Verantwortung sowohl für Polizei und damit die Geheimdienste sowie für das Bundesheer trägt.

Der jüdische Neo-ÖVP-Abgeordnete Martin Engelberg freute sich indessen bereits am Wochenende auf seiner Facebook-Seite, dass das Koalitionspapier ein "Bekenntnis zu Israel als jüdischem Staat" und eine "Unterstützung einer Friedenslösung im Nahen Osten, mit besonderer Berücksichtigung der Sicherheitsinteressen Israels" enthält. Dass dies in ein Regierungsprogramm explizit hineingeschrieben wird, ist tatsächlich bemerkenswert, heißt aber nicht, dass diese Linie nicht auch von vorangegangenen Regierungen verfolgt worden wäre. Es hat ein bisschen den Anschein, hier setzen sich vor allem die Bemühungen der FPÖ der vergangenen Jahre fort, sich als besonders guter Freund Israels zu positionieren und sich damit als staatstragend zu geben.

Derweilen wird allerdings eine problematische Aussage der neuen Außenministerin Karin Kneissl, die von der FPÖ für diesen Ministerposten nominiert wurde, in Mails und sozialen Netzwerken herumgereicht. Die Nahostexpertin schrieb in ihrem 2014 erschienenen Buch "Mein naher Osten", der Zionismus sei eine "an den deutschen Nationalismus angelehnte Blut-und-Boden-Ideologie".

Der Staat Israel ist Garant dafür, dass so etwas wie die Schoa nie mehr passieren kann. Jeder Jude, jede Jüdin findet in Israel Zuflucht, wenn er oder sie sich im bisherigen Herkunftsland nicht mehr willkommen und nicht mehr sicher fühlt. Es ist der sichere Hafen, den es für Jüdinnen und Juden während des Nationalsozialismus nicht gab. Und Israel ist Garant für den Fortbestand des Judentums. Ohne Zionismus wäre es nie zu einem Staat Israel gekommen. Hier Blut-und-Boden-Mentalität zu unterstellen, versucht Parallelen zu ziehen, wo keine sind. Denn der Zionismus ging vor allem von Linken und Sozialdemokraten aus.

Die Regierung sei demokratisch gewählt und nun von Bundespräsidenten Alexander Van der Bellen ordnungsgemäß angelobt worden, sagten heute die, welche die Proteste am Heldenplatz nicht guthießen. Ja, das ist korrekt. Diese Regierung ist demokratisch gewählt. Gegen konkrete politische Absichten und Entscheidungen auf die Straße zu gehen, ist allerdings ein Grundrecht. Mit ihrem Regierungsprogramm haben ÖVP und FPÖ schon viel dessen vorgelegt, was sie in den kommenden fünf Jahren beabsichtigen umzusetzen. Vieles in dem Programm enthält Verschärfungen für Migranten und Migrantinnen, für Asylwerber und Asylwerberinnen, für Geflüchtete mit Asylstatus oder subsidiärem Schutz. Viel ist in diesem Programm vom Islam die Rede, oft verknüpft mit dem Thema Sicherheit.

Benjamin Hess hat es heute auf den Punkt gebracht: "Wir müssen gegen Rassismus, Diskriminierung und Hetze auftreten, egal, ob wir oder andere davon betroffen sind, egal, ob wir die Betroffenen mögen oder nicht, egal, ob wir von der Hetze vermeintlich profitieren oder nicht." Das gilt für Juden, für Christen, für Muslime, für Konfessionslose, für In- und für Ausländer. Das gilt für die gesamte Gesellschaft, denn wie stark diese ist, zeigt sich nicht zuletzt darin, wie sie mit ihren schwächsten Mitgliedern umgeht.