In einer Elefantenrunde steckten Kandidaten der zehn Fraktionen, die bei der diesjährigen Wahl des Vorstands der Israelitischen Kultusgemeinde (IKG) Wien antreten, Dienstag Abend im Gemeindezentrum ihre Anliegen und künftigen Vorhaben ab. Wer dabei wen verbal attackierte, wer wem im Gegenteil schmeichelte, wer die meisten Lacher und den lautesten Applaus bekam, das wird hier allerdings nicht verraten: keine Medienöffentlichkeit lautete, wie immer wieder bei Veranstaltungen der IKG, in denen es auch um Gemeindeinterna geht, die von der IKG-Führung ausgegebene Devise.

Wahlkampf führen bedeutet ja aber viel mehr, als sich einmal in einer großen Diskussionsrunde zusammenzufinden, bei der nur ein Bruchteil der Wahlberechtigten anwesend ist. Exakt 7.676 Mitglieder hat die IKG Wien aktuell, von diesen sind am 11. November, dem Wahlsonntag, 5.451 wahlberechtigt. 54,67 Prozent jener Gemeindemitglieder, die 2007 wählen durften, gaben damals ihre Stimmen ab. Wählermobilisierung ist daher bei allen Fraktionen ein großes Thema.
Facebook-Auftritte, Homepages, E-Mail-Newsletter, Postwurfsendungen, Zeitungen, Parteiprogramme, Veranstaltungen: die benutzten Kanäle werden immer vielfältiger. Was heuer allerdings auffällt: ein Generationswechsel wurde nicht nur an der Spitze der größten Fraktion Atid (Hebräisch: Zukunft) mit der Übergabe des IKG-Präsidentenamts vom heutigen IKG-Ehrenpräsident Ariel Muzicant an Oskar Deutsch vollzogen. Auch die Orthodoxie tritt heuer mit deutlich jüngeren Kandidaten als bisher an.

Was die Vertreter der religiösen Fraktionen eint: sie kommunizieren klar und deutlich die Bedürfnisse ihrer Gruppen. Sie sprechen aber auch darüber, was sie für die Gemeinschaft und damit auch für die Erhaltung des Judentums tun. Ehrenamtliches Engagement wird im Judentum groß geschrieben und entsprechend gerade in den religiösen Teilen der Gemeinde stark praktiziert. Bedürftigen unter die Arme zu greifen, gilt als Mitzwa, als religiöse Pflicht. Es geht dabei aber nicht nur um Geld. Es geht grundsätzlich darum, für die anderen Mitglieder der Gemeinde da zu sein, eben etwas für das Gemeinwohl zu tun.

Die Möglichkeiten, sich hier zu engagieren, sind schier endlos: eine Gruppe in einer Jugendorganisation zu führen gehört ebenso dazu, wie Kranke zu besuchen oder auch jenen Kindern eine gute Bildung zu ermöglichen, deren Eltern sich zum Beispiel das Schulgeld in einer der jüdischen Schulen (Privatschulen mit Öffentlichkeitsrecht) nicht leisten können. Vieles federt hier die IKG als Institution etwa durch Stipendien ab. Dann, wenn es um den direkten menschlichen Kontakt geht, sind aber eben die religiösen Gruppierungen besonders aktiv – ohne es an die große Glocke zu hängen oder dies für eine mediale Inszenierung zu nutzen.

Worauf die Orthodoxie aber in diesem Wahlkampf besonders hinweist: ohne sie würde es heute zum Beispiel die Vielfalt der koscheren Versorgung, die – zum Beispiel zu Pessach, wenn man die Matzot, das ungesäuerte Brot, isst und dieses eben nur in den koscheren Geschäften zu erhalten ist – auch von den weniger Religiösen genutzt wird. Sie ist es, die die Mikwen, die rituellen Tauchbäder, führt. Sie ist es, die dafür sorgt, dass es in den Synagogen Schabbat für Schabbat – und nicht nur zu den Hohen Feiertagen – ein Get together gibt. Sie bietet einen ehrenamtlichen Mopedrettungsdienst, der schneller bei Patienten sein kann, die eben einen Herzinfarkt oder Schlaganfall erlitten haben, als die Rettung, die sich nicht einfach an anderen Autos vorbeischlängeln kann.

Was dabei klar wird: eine kleine jüdische Gemeinde in der Diaspora kann nur überleben, wenn sie über einen religiösen Kern verfügt. Ansonsten wäre rasch völlige Assimilierung erreicht und damit würde auch die jüdische Identität schwächer und schwächer. Auch wenn viele in der Wiener jüdischen Gemeinde nicht religiös leben: dadurch, dass es andere tun, gibt es die Infrastruktur, die ein religiöses Leben erfordert. Und die dann auch von den Säkularen genutzt werden kann: dann, wenn eine Hochzeit gefeiert wird, eine Brit Mila, also eine Beschneidung, oder eine Bar Mitzwa.