Seit einem Jahr gibt es in Wien das Museum "Für das
Kind". Eröffnet wurde es von Milli Segal, die damit an die "Kindertransporte"
in der NS-Zeit erinnern möchte. Anders, als der Name auch suggerieren könnte,
waren dies nicht Transporte in Lager, sondern Zugfahrten ins rettende Exil: mit
solchen Transporten konnten 1938 und 1939 rund 10.000 jüdische Mädchen und
Buben aus Österreich, Deutschland, Polen und der Tschechoslowakei vor der
Ermordung durch die Nationalsozialisten gerettet werden.
Das Museum, beheimatet in Wien-Landstraße, zeigt
Gegenstände, welche Eltern den Kindern in ihren kleinen Köfferchen mitgaben.
Das waren Bücher, Spielsachen, Alltagsdinge. Das Gepäck der Kinder durfte nicht
groß ausfallen. Die britischen Kuratorinnen Rosie Potter und Patricia Ayre haben
für ihre Objekte, die in dem Museum zu sehen sind, einerseits solche von den
Mädchen und Buben mitgenommene Gegenstände in Koffern drapiert und dann
fotografiert. Ergänzt haben sie die so entstandenen Collagen um in Glas
eingravierte Erinnerungen der ehemaligen Kinder an ihre Flucht. So bekommt man
einen beklemmenden Eindruck, wie es für die Eltern damals gewesen sein muss,
ihre Kinder wegzuschicken – um sie zu retten, dabei aber zu riskieren, sie nie
mehr wiederzusehen.
Zur Ein-Jahres-Feier hat Segal in Kooperation mit dem
Jewish Welcome Service Alisa Tennenbaum nach Wien eingeladen. Sie wird heute
Nachmittag über ihre Erlebnisse von damals erzählen: Tennenbaum konnte knapp
vor ihrem zehnten Geburtstag im August 1939 mit dem letztmöglichen Kindertransport
dem Nazi-Regime entkommen. Sie verbrachte die gesamte Kriegszeit in England –
und hatte das Glück, dass auch ihre Eltern und ihre Schwester den Holocaust
überlebten. Viele Kinder von damals erfuhren nach Kriegsende, dass sie
inzwischen zu Waisen geworden waren. Tennenbaum lebt inzwischen hochbetagt in
Israel.
Auch heute sind viele Kinder auf der Flucht. Einige von
ihnen werden in Österreich betreut – sie kommen aus Syrien, dem Irak,
Afghanistan und anderen Staaten und man nennt sie "unbegleitete minderjährige
Flüchtlinge". Darf man die Fluchtgeschichten von damals überhaupt mit jenen von
heute vergleichen? Manche in der jüdischen Gemeinde fühlen sich dadurch vor den
Kopf gestoßen – die Schoa sei einzigartig, mit nichts vergleichbar. Andere meinen,
Menschen in Not sind Menschen in Not, egal wie die genauen Umstände konkret
aussehen.
Milli Segal sagt: "Wir leben wieder in einer Zeit, wo
Kinder ohne Eltern unterwegs sind. Allein, auf sich selbst gestellt. Und zum
Glück ist Europa, bis auf einige Ausnahmeländer, bereit zu helfen, bereit,
diese Kinder aufzunehmen und zu integrieren. Doch es gibt einen Unterschied zu
damals: die Kinder von heute kommen aus Ländern, wo Krieg und Gewalt herrscht,
wo Menschen keinen Respekt vor dem Leben haben. Die Kinder von damals waren mit
dem Tod bedroht, nur weil sie jüdische Kinder waren, weil der Nazi-Terror in
Kulturnationen wie Deutschland, Österreich und der Tschechoslowakei herrschten
und darauf zielte, die gesamte jüdische Bevölkerung umzubringen."