Es ist Nacht, die letzte Nacht, bevor die letzte Hafenstadt in diesem Bürgerkrieg fällt, die letzte Chance, das kleine Lieblingsleben noch zu retten - oder gibt es längst keine Chance mehr?
Ein selbst für die Verhältnisse dieses Autors besonders düsterer und dabei überaus spannender Roman, sein erster überhaupt, entstand nach Erzählungen glücklich entkommener Spanien-Kämpfer (Juan Carlos Onetti: Für diese Nacht. Roman. Übers. von Svenja Becker, Suhrkamp Verlag, Berlin 2020, 247 S.). Onetti wollte, wie so viele junge Idealisten Mitte der Dreißiger Jahre, dringend nach Spanien, um auf der Seite der Guten zu kämpfen. Von dem, was sein Kollege George Orwell "die strahlenden Hoffnungen und den zynischen Betrug" der spanischen Republik nannte, ist in diesem Buch, wie in der Wirklichkeit, nur das Zweitere geblieben.
Durch einen glücklichen Zufall bin ich auf die vermutlich lustigste Geistergeschichte der an solchen reichen englischen Literatur gestoßen (Richard Middleton: Das Geisterschiff. Übers. und hrsg. von Andreas Nohl, Steidl Verlag, Göttingen 2020, 127 S.). Nahe einem südenglischen Dörfchen, 50 Meilen vom Meer, weht der Sturm eines Nachts besagtes Schiff auf den Acker des Wirtes, wo es liegenbleibt und wegen des exquisiten Rums, den man direkt an Bord ausschenkt, zum Hotspot für die Gespenster des Ortes wird. Abgesehen von der Titelgeschichte lernt man einen ungemein empfindsamen, punktuell heiteren und dann wieder unbeschreiblich traurigen jungen Erzähler von vor hundert Jahren kennen.

Wir befinden uns hier in einer neuen Buchreihe mit dem romantisch angehauchten Titel "Nocturnes", dessen zweiter Band uns mit einem hierzulande kaum bekannten französischen Erzähler des 19. Jahrhunderts bekannt macht, der auf eine eigenständige und -artige Weise Romantik und Realismus mischt (Prosper Mérimée: Tamango. Drei Novellen. Übers. von Arthur Schurig und Adolf von Bystram. Steidl Verlag, Göttingen 2020, 123 S.). Die Titelgeschichte erzählt von den finstersten Seiten einer sowieso schon finsteren Sache, nämlich vom Sklavenhandel, und dementiert ganz nebenbei die heute grassierende Auffassung, dass dieser einerseits von Europäern erfunden und ausschließlich ausgeübt worden sei und andererseits um die Mitte des 19. Jahrhunderts sich allseitiger Zustimmung erfreut habe.
Seit einigen Jahren hat sich der umtriebige Berliner Verlag Matthes & Seitz des argentinischen Schriftstellers César Aira und seiner ungezählten, stets sehr kurzen Romane angenommen. Wenn ich von dem ausgehe, den ich nun gelesen habe (Die Wunderheilungen des Doktor Aira. Roman. Übers. von Christian Hansen, Matthes & Seitz, Berlin 2020, 109 S.), dann handelt es sich bei Aira um einen entfernten Verwandten von Thomas Pynchon, dem es ebenso wie dem amerikanischen Großmeister einen Heidenspaß bereitet, ausgehend von realen Situationen die Erzählung selbst auf Abenteuer zu schicken, je bizarrer, desto besser. Wenn man sich nicht zu sehr darauf versteift, die Auflösung dieses Erzähl-Knotens in Erfahrung zu bringen, also wissen zu wollen, was es denn mit den Wunderheilungen des Titels "wirklich" für eine Bewandtnis habe, dann hat man mit dem Doktor Aira sicher sein Vergnügen.