Wie schon öfter an dieser Stelle ist die Neuübersetzung eines großen klassischen Romans zu vermelden, diesmal der 1869 publizierten "Éducation sentimentale" von Gustave Flaubert. Wie die Übersetzerin in ihrem kenntnisreichen Nachwort darlegt, hat dieser Roman im Deutschen bis heute keinen allgemein akzeptierten Titel gefunden; die seit 1904 zehn Übersetzungen weisen sieben verschiedene Titelvarianten auf. Sie hat daraus die Folgerung gezogen, dass es noch eine achte braucht (Lehrjahre der Männlichkeit. Roman. Hrsg. und übers. von Elisabeth Edl. Carl Hanser, München 2020, 799 S.). Das klingt wie ein brandaktuelles Produkt aus der genderistischen Wörterfabrik, ist aber ein Zitat von Friedrich Schlegel.

Es wird ausführlich und auch plausibel begründet, bloß scheint mir das Ergebnis am gleichen Mangel zu kranken wie alle bisherigen Lösungen (Lehrjahre des Herzens, der Gefühle usw.). Es ist der selbe Mangel, der schon beim Originaltitel auftritt, wenn man ihn nämlich als affirmativ in Bezug auf den Inhalt des Romans auffasst. Es bleibt so oder anders und auch von links hinten angeschaut dabei, dass die "Lehrjahre" zu keiner Lehre welcher Art auch immer geführt haben, dass der Held Frédéric am Ende dasteht wie am Anfang, nämlich so klug als wie zuvor, nicht anders als seine Freunde und wer sonst noch in dem Buch vorkommen mag.
An der Übersetzung selbst gibt es nichts zu mäkeln, frappiert haben mich allerdings aus dem Original wörtlich übernommene und als solche ad hoc eingedeutschte Vokabeln, die uns vermutlich nahelegen sollen, dass Flaubert hier ein im Französischen sehr seltenes Wort verwendet im Zuge seines allbekannten Fimmels, der Suche nach dem mot juste. Und so erhalten wir im Deutschen dafür ein außergewöhnlich seltenes deutsches Wort, das dann auch noch in dem ansonsten höchst ausführlichen Anmerkungsteil nicht weiter erklärt wird (etwa: Schnepfensalmi, Gipüre, Fraise).
Um nicht beim Gemäkel hängenzubleiben: Ich finde es ganz hervorragend, wenn auf diese Weise ein Klassiker wieder einmal Beachtung und hoffentlich auch Leser findet, und dazu ist der Band auf jeden Fall gut geeignet. Auch er wird allerdings ein im Flaubertschen Werk grundsätzlich vorhandenes Problem kaum beseitigen, an dem sich schon die Zeitgenossen abgearbeitet haben: Sein Blick auf die Welt hat mit den seit damals verflossenen Jahrzehnten nichts von seiner allumfassenden Trostlosigkeit eingebüßt, im Gegenteil haben wir zusätzlich Gelegenheit, die damals gerade blühenden Narreteien mit den aktuellen zu vergleichen und festzustellen, dass die éducation ganz im Allgemeinen bis heute noch nicht rasend vorangeschritten ist. Das lässt beim Lesen keine besonders heitere Stimmung aufkommen, und folglich werden ziemlich viele potentielle Leser das auch weiterhin nicht mögen, wie schon bisher.

Ziemlich kurz vor Weihnachten flatterte mir noch das dünnste Büchlein der Saison ins Haus. Es ist jenes, um das in der politisch verdüsterten Welt anno 2020 ein Mordsgetue war, weil die Autorin von ihrem Verlag S. Fischer hinausgeworfen wurde und daraufhin bei Hoffmann & Campe ein neues Heim fand. Der Krebs, der auf Englisch Cancel Culture heißt, frisst sich auch in den deutschen Landen ins Gewebe des Geisteslebens. In dem Büchlein selber (Monika Maron: Bonnie Propeller. Hoffmann & Campe, Hamburg 2020, 52 S.) ist von dem ganzen Theater keine Rede, es ist eine Hundegeschichte - und sonst nichts. Ich kenne nun aus der Weltliteratur nicht gar viele Hundegeschichten, aber so viel ist mir gleich klar geworden, dass diese, die Geschichte von Monika und ihrer Bonnie, eine der nachdenklichsten und zugleich lustigsten sein dürfte, die das Genre aufzuweisen hat.